MDRfragt Schuldenbremse: Mehrheit für Beibehaltung – mit einer Ausnahme

17. Oktober 2024, 12:00 Uhr

Einer grundsätzlichen Lockerung der Schuldenbremse steht die Mehrheit der MDRfragt-Gemeinschaft kritisch gegenüber. Geht es jedoch um Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, ändert sich das Meinungsbild. So befürwortet jeder zweite Befragte ein Aussetzen der Schuldenbremse für Investitionen in diesem Bereich. Das zeigt das aktuelle MDRfragt-Stimmungsbild aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit mehr als 22.000 Befragten.

Der Einsturz der Carolabrücke in Dresden löste eine bundesweite Debatte über den Zustand der öffentlichen Infrastruktur aus. Die Bundesingenieurkammer und der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie beispielsweise forderten bereits kurz danach höhere Investitionen in die Infrastruktur. 

In der MDRfragt-Gemeinschaft stößt diese Forderung fast ausschließlich auf Zuspruch: 98 Prozent der Befragten befürworten sie. Die Mehrheit der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer ist zudem der Meinung, dass die Schuldenbremse für Investitionen im Bereich der öffentlichen Infrastruktur ausgesetzt werden sollte.

Aussetzen der Schuldenbremse für Investitionen in öffentliche Infrastruktur
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Mehrheit gegen grundsätzliche Lockerung der Schuldenbremse

Einer grundsätzlichen Lockerung der Schuldenbremse stehen die Befragten hingegen mehrheitlich kritisch gegenüber. So sollte diese aus Sicht von 52 Prozent nicht per se gelockert werden – 41 Prozent würden dies hingegen befürworten.

Lockerung der Schuldenbremse – grundsätzlich
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Auch in den Kommentaren der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer wird zwischen einer grundsätzlichen Lockerung der Schuldenbremse und ihrem Aussetzen für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur unterschieden.

So schreibt MDRfragt-Mitglied Petra (72) aus Dresden zum Beispiel: "Die Schuldenbremse an sich ist richtig. Wenn das Geld für Investitionen benötigt wird, sollte man diese aber auch lockern."

Andrea (67) aus dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen sieht das ähnlich und fordert: "Jetzt die Schuldenbremse lockern, es wird immer nur teurer [...] die Baukosten steigen immer weiter und somit werden die Schulden, die wir unseren Kindern hinterlassen, nicht geringer."

Wem nützt die Schuldenbremse, wenn alles den Berg hinab geht?

MDRfragt-Mitglied Erika (86) aus Dresden

Die Dresdnerin Ines (49) formuliert es etwas drastischer. Sie meint: "Deutschland ist gefühlt im totalen Absturz – im Gesundheits- und Pflegewesen, bei der Verkehrsinfrastruktur, in den Kultureinrichtungen und Schulen." Wenn es nach ihr ginge, "sollte daher dringend die Schuldenbremse für einen Zeitraum X ausgesetzt werden". Analog dazu fragt sich Erika (86) aus Dresden: "Wer hat keine Schulden und wem nützt die Schuldenbremse, wenn alles den Berg hinab geht?"

Einige sprechen sich darüber hinaus auch für eine grundsätzliche Abschaffung der Schuldenbremse aus. So kommentiert Justin (27) aus Leipzig: "Sie muss endlich weg. Es muss endlich investiert werden!" Seiner Meinung nach "hat uns erst die Schuldenbremse an den Punkt geführt, an dem wir heute stehen".

Wir haben kein Einnahmen-Problem im Land, wir haben ein Ausgaben-Problem.

MDRfragt-Mitglied Thorsten (51) aus Chemnitz

MDRfragt-Mitglied Markus (65) aus Landkreis Meißen widerspricht dem jedoch und kommentiert: "Eine Lockerung der Schuldenbremse belastet künftige Generationen. Um das zu vermeiden, wurde sie eingeführt und muss stringent eingehalten werden."

Frank (53) aus dem Landkreis Gotha teilt diese Einschätzung. Zudem schreibt er: "Wir haben in Deutschland kein Einnahme-Problem [...] wir verteilen das Geld nur nicht gerecht." Auch Thorsten (51) aus Chemnitz schließt sich dem an und meint: "Wir haben kein Einnahme-Problem im Land, wir haben ein Ausgaben-Problem." Passend dazu ist Jürgen (71) aus dem Landkreis Nordsachsen der Meinung, "man muss die Mittel nur richtig verteilen und nicht unbedingt immer mehr Schulden machen". Aus seiner Sicht muss man "dort investieren, wo es der Allgemeinheit nutzt und nicht dort, wo es Einzelnen den Profit erhöht".

Großteil fordert Investitionen in Verkehrsinfrastruktur

Egal ob mit oder ohne Schuldenbremse, das Stimmungsbild zur Frage, in welche Bereiche der öffentlichen Infrastruktur mehr investiert werden sollte, fällt eindeutig aus. So fordert ein Großteil der mehr als 22.000 Befragten höhere Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, das Gesundheitswesen und in die Bildungseinrichtungen. Auch in die Sicherheitsinfrastruktur, zu der zum Beispiel Polizei und Feuerwehr zählen, sollte aus Sicht von drei Vierteln mehr investiert werden.

Investitionsbereiche für öffentliche Infrastruktur
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8 von 10 empfinden Investitionsstau als Gefahr

Der deutsche Städte- und Gemeindebund beziffert allein den kommunalen Investitionsstau in diesem Jahr auf 186 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte davon entfällt auf Straßen und Schulen. Grundsätzlich haben 82 Prozent der Befragten das Gefühl, dass dieser Investitionsstau eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit darstellt.

Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch Investitionsstau
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Ähnlich wie Dirk (58) aus dem Jerichower Land kritisieren viele Befragte den Zustand der öffentlichen Infrastruktur. Er wundert sich, dass "die Peinlichkeit solch maroder Infrastruktur trotz immer noch recht starker Wirtschaftskraft nicht dazu führt, dass hier deutlich mehr unternommen wird".

Wie viele andere hat auch Ilona (67) aus Weimar den Eindruck, dass alles "kaputt gespart" wurde, was "die Lebensräume der Menschen" betrifft. Passend dazu kommentiert Olaf (61) aus Magdeburg: "Momentan wird Vieles auf Verschleiß gefahren."

Das wird jetzt eine Mammutaufgabe, die Infrastruktur zu sanieren und instand zu halten.

MDRfragt-Mitglied Ute (63) aus Erfurt

Mit Blick in die Zukunft schreibt Ute (63) aus Erfurt: "Das wird jetzt eine Mammutaufgabe, die Infrastruktur zu sanieren und instand zu halten" und Sigi (87) aus Leipzig fragt sich: "Was über 30 Jahre verpennt wurde, ist nicht in ein oder zwei Jahren wieder auf die Reihe zu bekommen, oder?"

Viele MDRfragt-Mitglieder werten auch die Privatisierung als Problem. Vor diesem Hintergrund kommentiert Elke (67) aus Erfurt: "Wenn man Krankenhäuser, die Bahn, die Post und unser digitales Netz privatisiert, steht halt nur der Gewinn im Vordergrund." Analog dazu spricht sich Joachim (41) aus dem Landkreis Stendal für eine Verstaatlichung des "Gesundheitswesens, der Bahn und der Wasserversorgung" aus.

Mehr als ein Drittel für staatliche Wirtschaftssubventionen

Sorgenkind ist derzeit nicht nur die Infrastruktur, sondern auch die Wirtschaft. Bestand im Frühjahr noch die Hoffnung, dass es mit ihr wieder bergauf geht, macht sich nun Ernüchterung breit: Die Bundesregierung hat ihre Konjunkturprognose für dieses Jahr nach unten korrigiert und rechnet mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent.

Auch der Automobilhersteller Volkswagen gab Anfang September bekannt, künftig Sparmaßnahmen ergreifen zu müssen und schloss Werksschließungen nicht aus. Zu den möglichen Streichkandidaten zählen auch die Standorte in Chemnitz und Zwickau. 

Nicht zuletzt die Debatte um staatliche Wirtschaftssubventionen wird dadurch lauter – in der MDRfragt-Gemeinschaft steht man diesen jedoch eher kritisch gegenüber. Noch weniger sind der Ansicht, dass der Volkswagen-Konzern mit staatlichen Subventionen gefördert werden sollte.

Staatliche Subventionen für… Volkswagen, Wirtschaft insgesamt
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Auch in den Kommentaren sprechen sich viele Befragte aus unterschiedlichen Gründen gegen steuerfinanzierte Subventionen aus. MDRfragt-Mitglied Jennifer (30) aus Gera kommentiert zum Beispiel: "Seit Jahren gilt in Deutschland für private Unternehmen 'Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren', und das ist grundlegend falsch." Sie kritisiert zudem, dass viele Unternehmen die Wirtschaftstransformation nicht ohne staatliche Hilfen bewerkstelligen würden und merkt an: "Es ist halt bequemer auf den Staat zu setzen." Chris (25) aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld ist da hingegen anderer Meinung. Ginge es nach ihm, sollte die deutsche Industrie "stärker bei der Investition und Transformation unterstützt werden, da Deutschland langfristig nur über Qualität mit Staaten konkurrieren kann, die deutlich niedrigere Löhne zahlen".

Auch Michael (61) aus dem Landkreis Harz sieht das ähnlich und denkt, dass Deutschlands Wirtschaft "durch hohe Kosten ohne Subventionen nicht mehr wettbewerbsfähig" ist. Dem schließt sich Anna-Katharina (49) aus dem Salzlandkreis an und schreibt: "Subventionen sollten dann gezahlt werden, wenn dadurch Wettbewerbsfähigkeit hergestellt oder Zukunftsindustrien angeschoben werden."

Subventionen verzerren den Wettbewerb total.

MDRfragt Mitglied Heiko (24) aus Dresden

Heiko (24) aus Dresden entgegnet dem wiederum: "Subventionen verzerren den Wettbewerb total." Auch Rüdiger (68) aus Mansfeld-Südharz lehnt Wirtschaftssubventionen ab, da diese "immer mit Bürokratie verbunden sind". Er würde stattdessen eine steuerliche Entlastung der Unternehmen bevorzugen. Darüber hinaus fordert Helmut (70) aus dem Landkreis Nordhausen verlässliche Rahmenbedingungen von der Politik und denkt: "Alles Weitere macht die Wirtschaft selbst."

Was denken VW-Beschäftige?

Einige Befragte sind oder waren selbst für VW tätig. In den Kommentaren äußern auch sie sich zum Teil kritisch über mögliche Subventionen. So schreibt ein VW-Mitarbeiter aus dem Landkreis Zwickau: "Die Fehler der Manager sollte nicht die Gesellschaft ausgleichen." Ein weiteres bei VW tätiges MDRfragt-Mitglied aus dem Landkreis Zwickau schließt sich dem an und kommentiert: "Es wurden und werden nach wie vor hohe Sonderzahlungen an VW-Mitarbeiter und Vorstände gezahlt, außerdem hohe Gewinnausschüttungen an Aktienbesitzer. Wieso soll ich das als Steuerzahler fördern? Welche kleinen und mittleren Unternehmen erhalten derartige staatliche Zahlungen?"

Eine VW-Mitarbeiterin aus dem Landkreis Börde sieht das jedoch anders und schreibt: "Andere Konzerne bekommen auch Unterstützung: Meyer Werft, Lufthansa. Warum nicht auch VW?"

Meyer Werft, Lufthansa. Warum nicht auch VW?"

VW-Mitarbeiterin aus dem Landkreis Börde

Unabhängig davon sind einige VW-Beschäftige der Meinung, dass das "Verbrenner-Verbot" ab 2035 und die Ausrichtung auf die Elektromobilität den Volkswagen-Konzern in Schwierigkeiten gebracht habe. Beispielhaft dafür kommentiert ein VW-Mitarbeiter aus Leipzig: "Sie stürzen sich zu schnell auf den E-Auto-Ausbau, obwohl dies von staatlicher Seite nur lose Versprechungen waren, da die Infrastruktur noch immer nicht geschaffen ist."

Ein weiterer VW-Mitarbeiter aus dem Land Börde sieht das jedoch grundsätzlich anders: "VW und andere deutsche Hersteller haben lange Zeit die Politik beeinflusst, um notwendige Änderungen zu verhindern. Es ist seit langem absehbar, dass Forschung und Änderung notwendig sind, aber es ging nur darum, schnell Geld zu verdienen."


Über diese Befragung Die Befragung vom 10. bis 14. Oktober 2024 lief unter der Überschrift: "Infrastruktur und Wirtschaft: Steckt Deutschland in der Krise?"

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 22.458 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

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Dieses Thema im Programm: Das Erste | ARD Mittagsmagazin | 17. Oktober 2024 | 12:00 Uhr