Amira Mohamed Ali, Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine nach den ersten Prognosen zur Europawahl in Berlin.
Amira Mohamed Ali, Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine nach den ersten Prognosen zur Europawahl in Berlin. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Wagenknecht-Partei BSW sieht sich vor "Verantwortung" in Landtagen

14. Juni 2024, 03:00 Uhr

Wenn das Europawahl-Ergebnis in Ostdeutschland als Vorschau für die Landtagswahlen am 1. September in Sachsen und Thüringen gelesen wird, dann könnte das noch junge BSW hier bald wirklich gefordert werden.

Bei der Europawahl – der ersten bundesweiten Wahl für das noch junge Bündnis Sahra Wagenknecht – hat das BSW in Ostdeutschland einige der "etablierten" Parteien klar überholt. Politologen und BSW sind sich einig: Das hat vor allem am Fokus auf Frieden gelegen und der Forderung nach einem Ende der Waffenlieferungen an die von Russland attackierte Ukraine.

"Ich bin so erleichtert und freue mich riesig über dieses Ergebnis", sagte Sahra Wagenknecht nach der Europawahl am Sonntag. Ein Grund: Ihr Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW, gibt es noch nicht lange. In Sachsen am 24. Februar und in Thüringen am 15. März haben sich die BSW-Landesverbände erst kurze Zeit vor der Wahl konstituiert. Und in Sachsen-Anhalt gibt es noch gar keinen.

Die 6,2 Prozent bei der Europawahl bundesweit, in Sachsen 12,6 Prozent sowie 15 Prozent in Thüringen und Sachsen-Anhalt sind wohl mehr als ein Achtungserfolg: "Aus dem Stand so schnell bei einer bundesweiten Wahl tatsächlich über fünf Prozent erreicht", sagte Wagenknecht dann: "Ich glaube, das gab es überhaupt noch nie in der bundesdeutschen Geschichte!"

Co-Parteichefin Amira Mohamed Ali sieht auf das BSW nun "Verantwortung" zukommen. Sie sagte MDR AKTUELL am Donnerstag nach der Wahl: "Wenn wir in die Landtage mit entsprechender Stärke einziehen", sei das BSW bereit, auch mit der Union zu sprechen, jedoch nicht nur als "Steigbügelhalter".

Vorländer: BSW profitiert von drei Themen

Auch Politikwissenschaftler Hans Vorländer findet das BSW-Ergebnis der Europawahl "bemerkenswert". Er zeigte sich bei MDR AKTUELL aber nicht überrascht. Das BSW habe vor allem mit drei Themen viele Wähler von SPD und Linken abgezogen: Es sei "gesellschaftspolitisch-konservativ gegen ungesteuerte Migration" gegangen. Da habe die Linke eine andere Position. Dann habe das BSW sich mit sozialstaatlich-wirtschaftspolitischen Themen profiliert. Und hinzu komme die Kritik an der Ukraine-Unterstützung.

BSW in Görlitz: Menschen gegen Krieg

Eben jene Ukraine-Unterstützung war Jens Hentschel-Thöricht zufolge entscheidend. Er hat mit dem BSW im Kreis Görlitz 12,3 Prozent geholt. "Kernthema war die Frage um Krieg und Frieden", sagte er dem MDR: "Wir sind fest der Annahme, dass das ein Großteil der Bevölkerung und vor allen Dingen natürlich unsere Wählerschaft ablehnt", Waffenlieferungen an Kiew etwa. Man wolle "auch diesen Krieg in der Ukraine diplomatisch lösen".

Dass die Linke das Thema nicht gut besetzt habe, kritisierte der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann. Er sagte bei MDR AKTUELL, seine Partei habe es nicht konsequent genug in den Vordergrund gestellt und sich nicht einheitlich dazu geäußert: "Dieser Zwieklang in einer Partei macht es nicht unbedingt leichter, in der Friedensfrage klar Position zu beziehen."

Träger: Europawahl zeigt Trend für Landtage

Die Wählerwanderung zeigt: Das BSW hat weniger von der AfD, als vielmehr Stimmen von SPD und Linken abgezogen. Für beide Parteien könnte es so bei den Landtagswahlen am 1. September eng werden, was nach der Ansicht des Leipziger Politologen Hendrik Träger auch für die Grünen gilt. Er sagte dem MDR, dass die Europawahlen einen Trend für die Landtagswahlen zeigen und in Sachsen die Linke, SPD und Grüne durchaus an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnten: "Dann hätte die CDU die Wahl, ob sie mit der neuen Partei von Sahra Wagenknecht oder mit der AfD zusammenarbeitet."

BSW und AfD bräuchten in diesem Fall gar nicht viel machen und könnten trotzdem guter Ergebnisse bekommen, erläuterte Träger. Und die CDU könne mit einem Amtsinhaber-Bonus des Ministerpräsidenten rechnen. Das könne dazu führen, dass auch die CDU noch Stimmen von SPD und Grünen abziehe und ihre bisherigen Koalitionspartner damit nur noch weiter schwäche.

BSW könnte entscheidende Rolle bekommen

So deuten also Ergebnisse der Europawahlen in Mitteldeutschland an, dass das BSW in Sachsen und Thüringen einen größeren, wenn nicht sogar einen entscheidenden Einfluss in beiden Ländern bekommen könnte.

Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen
Michael Kretschmer muss sich etwas einfallen lassen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Hannes P Albert

In Sachsen kam das BSW auf 12,6 Prozent, die AfD auf 31,8 und die CDU auf 21,8 Prozent. Die SPD lag bei 6,9 Prozent, die Grünen bei 5,9 und die Linke bei 4,9 Prozent.

Ginge die Landtagswahl am 1. September ähnlich aus, hätte die aktuelle Koalition aus CDU, SPD und Grünen keine Mehrheit.

Eine Regierungsbildung ohne AfD wäre in Sachsen dann nur mit dem BSW möglich – sofern es keine Minderheitsregierung werden soll. Seine bisherigen Landtagswahl-Umfrage-Ergebnisse hat das BSW übertroffen.

Vor der Europawahl hatte CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer das BSW noch als "Medienkonstrukt" abgetan. Sollte jedoch die Landtagswahl wie die Europawahl ausfallen, könnte Kretschmer geradezu abhängig vom BSW werden – sofern er sich nicht mit der AfD einlassen will.

Verfahrene Lage auch in Thüringen

Ähnlich verfahren ist die Lage in Thüringen, wenn auch auf etwas andere Weise. Auch hier lag bei der Europawahl die AfD mit 30,7 Prozent klar vorn, die CDU bei 23,2 Prozent, und das BSW traf mit 15 Prozent seine Umfrage-Prognose für die Landtagswahl ziemlich genau. Die Thüringer SPD kam bei der Europawahl auf 8,2 Prozent, die Linke nur noch auf 5,7 Prozent.

Rede von Ministerpräsident Bodo Ramelow
Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow: Für seine Linke dürfte es ganz schwer werden. Bildrechte: IMAGO/Funke Foto Services

Kämen die Grünen bei der Landtagswahl im Herbst wie bei der Europawahl auf 4,2 Prozent, wären sie nicht mehr im Landtag. Auch für die FDP könnte es nicht mehr reichen.

Auch hier dürfte dann, sollten sich die Ergebnisse der Europawahl am 1. September in etwa wiederholen, ohne das BSW kaum eine Regierungsbildung möglich werden.

BSW-Landeschefin Katja Wolf will in Thüringen jedenfalls mindestens ein ähnliches Ergebnis. Es sei spürbar, dass ihre Partei für die Menschen eine Hoffnung und eine demokratische Alternative sei. 

Auch in Sachsen-Anhalt holte das BSW bei der Europawahl 15 Prozent. Hier aber gibt es noch gar keinen Landesverband und die nächste Landtagswahl findet voraussichtlich erst 2026 statt.

dpa, MDR AKTUELL (ksc, ana)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | RADIO | 13. Juni 2024 | 18:18 Uhr

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