Zwei junge Familien mit Kindern begegnen sich, als sie über eine Straße gehen. Bei der einen Familie schiebt die Mutter den Kinderwagen, bei der anderen der Vater.
Es gibt keine genaue Statistik über die Zahl der Patchwork- oder Stieffamilien in Deutschland. Laut einem Bericht des Bundesfamilienmisieriums liegt ihr Anteil jedoch bei schätzungsweise 13 Prozent. Bildrechte: picture alliance / Wolfram Steinberg | Wolfram Steinberg

Streit um Vaterschaftsanerkennung Leiblicher Vater kämpft um Recht auf Vaterschaft

09. April 2024, 12:20 Uhr

Kinder werden heute oftmals außerhalb der Ehe geboren und wachsen in Patchworkfamilien auf. Das deutsche Abstammungsrecht stößt dabei vermehrt an Grenzen. Das Bundesverfassungsgericht muss nun ein Grundsatzurteil zur Anerkennung und Anfechtung von Vaterschaften fällen.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Alexander Laboda
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Wenn es in Familien Streit gibt, landen die Beteiligten mitunter bei Antonia Speerforck. Sie bietet in Leipzig Beratungen, Mediationen und Therapien für Familien an. Über mangelnde Arbeit kann sich die Psychologin und Juristin nicht beklagen: "Es gibt heute vermehrt Patchwork-Situationen und buntere Modelle des Zusammenlebens als früher. Natürlich birgt das auch Konfliktpotenzial", berichtet Speerforck aus ihrer Praxis.

Die Konstellationen seien vielfältig, erzählt Speerforck. Menschen fänden neue Partner, die schon Kinder haben. Oder zum leiblichen Baby kämen angenommene Kinder hinzu. Zu offenen Konflikten darum, wer die wichtigere Bezugsperson für ein Kind ist, kommt es nach Einschätzung der Familientherapeutin dabei nur selten. "Das läuft oftmals unbewusst. Manchmal ist das wahre Problem, dass eine Paarbeziehung noch nicht richtig abgeschlossen ist. In anderen Fällen glauben die neuen Partner, dass sie bessere Vorstellungen davon haben, wie ein Kind erzogen werden soll." Im Grunde gäbe es aber heute oft eine große Bereitschaft, die Schwierigkeiten zum Wohl der Kinder zu lösen.

Leibliche Väter kämpfen um Rechte

Dass Konfliktlösungen nicht immer gelingen, zeigt ein Fall aus Sachsen-Anhalt, über den am Dienstag das Bundesverfassungsgericht entscheidet. In dem Verfahren kämpft ein leiblicher Vater um die rechtliche Anerkennung der Vaterschaft. Der heute 44-Jährige war zum Zeitpunkt der Geburt nicht mit der Mutter verheiratet. Nur unter dieser Bedingung wäre er automatisch als Vater anerkannt gewesen. Die Mutter ließ jedoch ihren neuen Lebensgefährten beim Standesamt als rechtlichen Vater eintragen – dem sie sich nur wenige Wochen nach der Entbindung zugewandt hatte. Der leibliche Vater stritt sich durch alle Instanzen, konnte bislang aber nur eingeschränkte Umgangs- und Auskunftsrechte erreichen.

Ein Vater steht an einem Spielplatz. Der Vater eines Kindes zieht wegen einer Vaterschaftsanfechtung vor das Bundesverfassungsgericht.
Der Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht möchte namentlich nicht genannt werden. Er kämpft um die rechtliche Anerkennung der Vaterschaft für seinen heute dreijährigen Sohn. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jan Woitas

Jeden zweiten Freitag sehe er seinen dreijährigen Sohn im Moment, für drei Stunden, erzählt der Mann der Deutschen Presse-Agentur. Sein Sohn komme oft kuscheln, sie spielten zusammen. "Er freut sich jedes Mal." Es werde immer schwieriger, den Umgang zu beenden. Wenn er den Kleinen nach Hause bringt, möchte dieser demzufolge oft noch länger bleiben und klammert sich schon mal am Auto fest.

Es gibt keine Zahlen dazu, wie häufig solche Fälle vorkommen. In einer Stellungnahme zum Verfahren schreibt die Bundesrechtsanwaltskammer immerhin, dass "Vaterschaftsanfechtungsverfahren durch den biologischen Vater in der Praxis zunehmend eine wichtige Rolle spielen". Die beteilgten Juristen fordern deshalb dringend eine "Anpassung beziehungsweise Ergänzung der gelternden Vorschriften" in Hinblick auf die "sich stetig weiterentwickelnden Beziehungs- und Partnerschaftsgefüge".

Neues Abstammungsrecht angekündigt

Die Bundesregierung hat dies auch erkannt. Bundesjustizminister Marco Buschmann stellte im Januar Eckpunkte für eine neues Abstammungs- und Kindschaftsrecht vor. "Wir wollen die Rechtsposition von leiblichen Vätern stärken, die als rechtliche Väter Verantwortung für ihr Kind übernehmen möchten", sagte der FDP-Politiker seinerzeit. So soll künftig etwa verhindert werden, dass "eine Elternschaft nur zu dem Zweck anerkannt wird, die gerichtliche Feststellung des leiblichen Vaters zu verhindern".

Aus diesem Grund soll es in Zukunft nicht mehr möglich sein, dass ein anderer Mann als nicht leiblicher Vater die Vaterschaft anerkennt, solange ein gerichtliches Verfahren zur Feststellung einer Vaterschaft läuft. Außerdem soll eine sozial-familiäre Beziehung des Kinds zum rechtlichen Vater künftig nicht mehr in jedem Fall verhindern, dass der leibliche Vater die rechtliche Vaterschaft anfechten kann. Familiengerichte sollen im Einzelfall abwägen.

Eckpunkte des neuen Abstammungs- und Kindschaftsrechts Neben der Stärkung der Rechte von leiblichen Vätern plant die Bundesregierung weitere Änderungen im Abstammungs- und Kinschaftsrecht.

So sollen etwa auch gleichgeschlechtlichen Paare mehr Rechte erhalten. Bei lesbischen Ehepaaren ist geplant, dass die Frau, die das Kind nicht austrug, automatisch Mitmutter wird. Bei einem nicht verheirateten lesbischen Paar soll die Partnerin das Kind anerkennen können.

Vor der Zeugung bei Samenspenden sollen die Beteiligten vertraglich klären können, wer der zweite rechtliche Elternteil wird.

Am Grundsatz, das ein Kind nur zwei Elternteile haben kann, will die Regierung festhalten. Allerdings sollen künftig bis zu zwei weitere Erwachsene gewisse sorgerechtliche Befugnisse bekommen können. Kinder sollen ein Recht auf Umgang mit Großeltern und Geschwistern, mit anderen Bezugspersonen sowie mit leiblichen, nicht rechtlichen Elternteilen erhalten. Bundesministerium für Justiz

Genetik versus familiäre Beziehung

Das Bundesverfassungsgericht muss dafür nun Leitplanken setzen. Die Berliner Anwältin Kerstin Niethammer-Jürgens, die an der Stellungnahme der Anwaltskammer mitgearbeitet hat, sagte MDR AKTUELL dazu: "Wir brauchen vom Bundesverfassungsgericht eine begründete Aussage, was die genetische Verwandtschaft eines Kindes zu einem Elternteil, hier dem biologischen Vater, für das Kind bedeutet."

Die Familienrechtlerin spricht sich – ebenso wie ihre Kolleginnen und Kollegen in der Stellungnahme – dafür aus, im konkreten Fall dem leiblichen Vater Vorrang zu geben, ihm also die rechtliche Vaterschaft zu übertragen: "Nach dem bisherigen Abstimmungsrecht gehen wir davon aus, dass wenn ein genetischer Vater da ist und der sich auch bemüht um die Vaterschaft, dann muss es möglich sein, dass die Elternstelle von ihm auch besetzt werden kann." Es sei im konkreten Verfahren eindeutig so, dass der Vater alles getan hat, was er tun konnte, um die Vaterschaft zu erlangen.

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Kerstin Niethammer-Jürgens bezieht sich damit auf ein früheres Urteil des Verfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter entschieden bereits 2018 zum Thema. Sie sagten seinerzeit, dass es relevant sei, ob ein leiblicher Vater – als ihm die rechtliche Vaterschaft offenstand – alles getan habe, diese zu erlangen. Konkret muss sich ein Vater demnach bald nach der Geburt bemühen. Ansonsten erhält die sozial-familiäre Beziehung zum neuen Partner der Mutter die größere Bedeutung. Auf diesen letzten Punkt berief sich die Vorinstanz.

Strittig sind die genauen zeitlichen Grenzen. Reichen einige Wochen mit einem Säugling schon aus, um die Vaterschaft legitimerweise zu übernehmen? Wie zeitig nach der Geburt muss sich ein leiblicher Vater kümmern? Was ist entscheidender: Gene oder alltägliche aktive Elternschaft?

Entstehung von Bindungen komplex

Um diese Fragen zu entscheiden, haben die Richter diverse Sachverständige angehört. Einfache Antworten gibt es nicht. Annika Falkner, Professorin für Psychologie an der Hochschule Merseburg, sagt: "Die Bindung zwischen einem Kind und einer Bezugsperson entsteht letztlich durch ein komplexes Wechselspiel zwischen biologischen Faktoren und Umweltfaktoren." Es komme auf die Qualität der Interaktionen zwischen einer Bezugsperson und einem Kind an. Wertschätzung, Förderung, gemeinsame Aktivitäten und vor allem die Stabilität der Präsenz – unter anderem dadurch festige sich die Bindung. Auf der anderen Seite sei etwa das kindliche Temperament durch genetische Faktoren beeinflusst.

In erster Linie ist für ein Kind das Wissen über seinen leiblichen Vater wichtig und im Idealfall auch ein regelmäßiger Kontakt zu ihm.

Inés Brock-Harder Bundesverband Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

Im konkreten Fall ergreift Inés Brock-Harder, Vorsitzende des Bundesverbandes für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, Partei für den leiblichen Vater: "In erster Linie ist für ein Kind das Wissen über seinen leiblichen Vater wichtig und im Idealfall auch ein regelmäßiger Kontakt zu ihm. Denn das ist Teil seiner Identitätsentwicklung." Sie fordert vom Gericht, auf jeden Fall dem leiblichen Vater auch einen rechtlichen Status einzuräumen. "Weil er sich ja eben tatsächlich bemüht hat. Und weil er tatsächlich auch am Lebensbeginn eine Beziehung zu dem Kind aufgebaut hat, die man nicht einfach aus seinem Leben herauslöschen kann."

Ein Vater schaut in einer Wohnung in Berlin mit seinem Kind in einem Bilderbuch
Gemeinsame Erlebnisse und eine stabile Präsenz sind für die Entwicklung der Vater-Kind-Bindung besonders wichtig, sagen Fachleute. Bildrechte: picture alliance / dpa-tmn | Christin Klose

Es spreche jedoch im Sinne eines Kindes überhaupt nichts dagegen, dass auch zwei väterliche Bezugspersonen existieren, erklärt Brock-Harder, die in Halle forscht, lehrt und berät. "Für das Kind ist es egal, was irgendwo rechtlich draufsteht. Für das Kind ist es wichtig, wie sein Alltag, seine Interaktionen und Bindungserfahrungen sind." Es sei selbstverständlich auch wichtig, einen sozialen Vater im Alltag zu erleben, der das Kind begleitet. "Weder das eine noch das andere ist verzichtbar."

Von der Konfrontation ins Verständnis

Doch was können Familien tun, wenn der Streit um die Kinder kein Ende findet? Die Leipziger Familientherapeutin Antonia Speerforck rät: "Hilfreich ist immer sich zusammenzusetzen und auch auf einer emotionalen Ebene auszusprechen, was in einem los ist. So kommt man aus der Konfrontation wieder in das Verständnis füreinander." Wenn Mütter und Väter tatsächlich nicht mehr auf der Sachebene weiterkommen, etwa bei der Frage nach den Besuchszeiten für die Kinder, könne eine Mediation helfen. "Das ist ein strukturiertes Verfahren mit einer Person, die allparteilich ist, die also die Bedürfnisse aller Beteiligten im Blick hat."

Ein eindeutiges Erfolgsmodell gäbe es nicht. "Die Konstellationen sind vollkommen unterschiedlich und so finden Familien heute auch ganz verschieden Lösungen für sich." Ein guter Weg sei auch, für die Erziehung der Kinder an einem Strang zu ziehen und diese Frage gegebenenfalls von anderen bestehenden Konflikten zwischen den Erwachsenen zu lösen.

mit Material von dpa und AFP

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 09. April 2024 | 19:30 Uhr

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