Kassenleistung Trisomie-Bluttest: Arzt sieht mehr soziale Gerechtigkeit

31. Dezember 2022, 05:00 Uhr

Seit einem halben Jahr wird der vorgeburtliche Bluttest auf Trisomie von den Krankenkassen übernommen. Bis dahin wurde vor allem invasiv getestet, per großer Nadel wurde Fruchtwasser aus der Gebärmutter entnommen, um es zu untersuchen. Den risikoärmeren Bluttest musste man dagegen aus eigener Tasche bezahlen. Kritiker befürchteten, dass der Druck auf Schwangere steigen würde, sich testen zu lassen und wiederum die Zahl der Abtreibungen zunehmen könnte.

Seit ab 1. Juli die sogenannten nicht-invasiven Pränatal-Tests von den Kassen übernommen werden, hat sich in der Abteilung Geburtsmedizin der Uniklinik Leipzig eigentlich rein gar nichts verändert, sagt Abteilungsleiter Holger Stephan: "Der Test ist heute Bestandteil der pränatalen Diagnostik und auch ein gut akzeptierter Bestandteil. Die Übernahme der Kassen hat im Prinzip am medizinischen Vorgehen gar nichts geändert."

All die Befürchtungen, dass es durch die neue Kostenübernahmeregelung zu einer Art Dammbruch komme, also die Trisomie-Diagnostik zu weit ausgedehnt und Frauen unter Druck gesetzt würden, so Stephan, all das habe sich in seiner Geburtenabteilung in Leipzig nicht bewahrheitet. Auch sei die Zahl der Abtreibungen und invasiven Fruchtwasser-Untersuchungen nicht gestiegen.

Mehr soziale Gerechtigkeit durch Kostenübernahme

"Im Gegenteil: Wir sehen das positiv. Die Übernahme von der Kasse hat nämlich auch dazu geführt, dass sich eine gewisse soziale Ungerechtigkeit abgeschafft hat", sagt Stephan. Denn vorher hätten nur Schwangere, die sich den Test leisten konnten, Zugang zu diesem gehabt.

Bundesweite Zahlen, wie viele nicht-invasive Pränataltests, kurz NIPT, seit der Änderung durchgeführt wurden, gibt es noch nicht. Dazu heißt es vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Anfrage von MDR AKTUELL schriftlich, dass der NIPT auf das Vorliegen einer Trisomie erst zum 1. Juli 2022 in den EBM aufgenommen wurde und für das dritte Quartal 2022 noch keine Abrechnungsdaten vorlägen.

Die moralisch aufgeheizte Debatte rund um die Kostenübernahme der Trisomie-Bluttests sei verfehlt, findet der Leipziger Holger Stephan, der auch im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin ist. "Denn wenn man diesen Test ablehnt, aus Gründen, die man ja durchaus nachvollziehen kann, dann müsste man generell die vorgeburtliche Diagnostik, auch die invasive, in Frage stellen oder hinterfragen, das tut ja niemand."

Früherkennung hilft Eltern bei Entscheidung

Der Vorsitzende des Allgemeinen Behindertenverbands in Deutschland, Marcus Graubner versteht die Debatten, aber auch sein Verband begrüßt die Kostenübernahme für die Bluttests. "Alles, was zur Früherkennung dient, dient ja auch für eine Entscheidung, die die Eltern treffen müssen. Und welche Entscheidung sie treffen, darüber hat niemand zu urteilen."

Der 55-Jährige Marcus Graubner erzählt aus Erfahrung. Er selbst hat eine lebenslange Behinderung und arbeitet in einer gynäkologischen Praxis in Tangerhütte. Er findet, statt über die Entscheidungen werdender Eltern zu urteilen, sollten Politik und Gesellschaft vielmehr dafür sorgen, dass Menschen mit Behinderungen in dieser Gesellschaft anerkannt würden. Gesetzliche Möglichkeiten dahingehend auszubauen, sei der eigentliche Beitrag.

"Wir sind ja nicht in der schönen neuen Welt, wo es um Einheitskind und perfekte Kinder geht. Sondern hier geht’s einfach um gesellschaftliche Realitäten, denen man gerecht werden muss", sagt Graubner.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 31. Dezember 2022 | 05:00 Uhr

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