recap Reformbedarf: Wie kaputt ist Bafög?
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25. November 2022, 17:00 Uhr
In Deutschland sollen eigentlich alle die gleichen Chancen im Studium oder der Ausbildung haben - sichergestellt durch das staatliche Fördernetz, genannt Bafög. Doch in den 50 Jahren seit seiner Einführung sind immer mehr junge Menschen durchs Raster gefallen. Angesichts der aktuellen Inflationsrate fordern Bildungsexperten, Jugendorganisationen und Studierendenvertretungen strukturelle Reformen, die über die Maßnahmen der Ampel-Koalition aus dem Sommer 2022 hinausgehen.
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes haben 2021 etwa elf Prozent aller Studierenden Bafög bekommen. "Viel zu wenig", findet Lone Grotheer, Sprecherin der Initiative "50 Jahre Bafög - (K)Ein Grund zum feiern", einem bundesweiten Bündnis aus parteinahen Jugendorganisationen und anderen hochschulpolitischen Akteurinnen. Schließlich lebten derzeit knapp 40 Prozent der Studierenden unter der Armutsgrenze.
Angesichts der hohen Inflation und der stark steigenden Preise auf dem Wohnungsmarkt hat die Ampel-Koalition im Sommer neue Bafög-Reformen in Kraft treten lassen: So wurden die Bafög-Sätze und die Elternfreibeträge angehoben, ebenso die Zuverdienstgrenzen und die Vermögensfreibeträge. Auf diese Weise sollen Studierende und Auszubildende nicht nur mehr Geld bekommen, es sollen auch insgesamt mehr Menschen gefördert werden können. Nach Einschätzung von Grotheer reicht das aber nicht aus:
Diese Änderungen sind leider nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Viel zu lange wurden Reformen und Anpassungen beim BAföG verschlafen.
Bafög-Erhöhung bleibt hinter Inflation zurück
Die Bafög-Reform der Ampel wird vor allem deswegen kritisiert, weil sie nach Einschätzung verschiedener Experten nicht einmal aktuelle Preissteigerungen ausgleiche, geschweige denn dem Reformbedarf vergangener Jahre Rechnung trage. Schließlich liege die Anhebung der Bafög-Sätze mit knapp sechs Prozent deutlich unter der Inflationsrate von aktuell über zehn Prozent, so Grotheer. Auch der Wohnkostenzuschuss, der nach der Erhöhung nun bei 360 Euro liegt, sei zu gering: "Studierende geben schon im Durchschnitt über 400€ monatlich für die Miete aus".
Ob man überhaupt Bafög fürs Studium oder die schulische Ausbildung bekommt, hängt vom Einkommen der Eltern ab. Ab einem bestimmten Verdienst wird nämlich erwartet, dass sie für die Bildung ihrer Kinder aufkommen. Das Problem daran: "Das Bafög wurde viel zu lange nicht an die Einkommen angepasst", erklärt Stefan Grob vom deutschen Studentenwerk. Die Konsequenz sei, dass viele Studierende aus dem Bafög rausfielen, obwohl ihre Eltern gerade in der unteren Mittelschicht große Probleme hätten, das Studium ihrer Kinder zu finanzieren.
Damit mehr Menschen gefördert werden können, wurden mit der Reform die Elternfreibeträge um 20 Prozent auf 2.400 Euro angehoben. Alles was darüber liegt, mindert den Bafög-Anspruch. Was das nun konkret bringt, wollte die bildungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Nicole Gohlke, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung wissen. Staatssekretär Jens Brandenburg (FDP) erklärte, die Regierung rechne mit einem Anstieg der Gefördertenquote um 1,8 Prozentpunkte. Damit steige die Bafög-Gefördertenquote "von 'total wenig' auf 'sehr wenig'", erklärte Gohlke daraufhin gegenüber dem Tagesspiegel.
Stefan Grob vom deutschen Studentenwerk kritisiert außerdem die Teil-Digitalisierung der Antragsstellung. Der Bafög-Antrag könne zwar digital eingereicht werden, in den Ämtern selbst müsse aber nach wie vor alles auf dem Papier geschehen: "Es gibt keine E-Akte, es gibt keinen E-Bescheid. Die Bafög-Ämter müssen die online eingegangenen Bafög-Anträge ausdrucken, müssen Papierakten anlegen, müssen Personal anstellen, dass nur ausdruckt. Digitalisierung ad absurdum, das ist Stoff für Satiresendungen."
Strukturelle Reformen gefordert
Sowohl Stefan Grob als auch Lone Grotheer fordern strukturelle Reformen. Beide sind der Meinung, die Bafög-Sätze müssten angesichts der Inflation noch weiter angehoben werden. Lone Grotheer erklärt zudem: "Ein zeitgemäßes BAföG wäre kein Teildarlehen mehr, sondern wieder ein Vollzuschuss wie bei seiner Einführung."
Außerdem sollte die Unterstützung nach ihrer Einschätzung elternunbhängig sein. "Studierende sind erwachsene Menschen und sollten nicht von ihren Eltern abhängig sein müssen. Wir können nicht davon ausgehen, dass alle Studierenden überhaupt Kontakt zu beiden Elternteilen haben oder mit ihnen in einem guten Verhältnis stehen".
Grob plädiert für einen Automatismus, über den das Bafög regelmäßig an die Inflation und die Entwicklung der Einkommen angepasst wird. Außerdem brauche es eine grundlegende Modernisierung: "Das BAföG muss digitalisiert und an die Lebenswirklichkeit der Studierenden angepasst werden, an andere Bildungsverläufe, längere Studienzeiten", sagt Grob.
Derzeit werde Bafög nur für die Regelstudienzeit (meist sechs Semester im Bachelor) ausgezahlt. Doch nur ein Drittel der Studierenden schafft es in dieser Zeit, der Rest braucht im Schnitt zwei Semester länger und fällt dann ausgerechnet in der Examensphase aus dem Bafög. Nach Grobs Einschätzung sollte daher die Förderdauer um mindestens zwei Semester verlängert werden.
Wie Bafög genau funktioniert, wie Auszubildende und Studierende unter Problemen mit der Förderung leiden und wie ein zeitgemäßes und gerechtes Bafög aussehen kann, darüber sprechen wir auch in der aktuellen Folge recap.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | recap – bei Youtube | 25. November 2022 | 17:00 Uhr
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