Meinung Organspende
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Kommentar Organspende: Entscheidung nicht Angehörigen aufzwingen

03. Juni 2023, 05:00 Uhr

Tod, Verlust, Krankenhaus. Eine Frage, die gerne verdrängt, mindestens vertagt wird, weil sie mit dem Tod zusammenhängt, ist die nach der Organspende. Warum es trotzdem wichtig ist, eine Entscheidung zu treffen und zu dokumentieren, kommentiert MDR-AKTUELL-Redakteurin Nastassja von der Weiden.

Vor drei Monaten ist mein Vater gestorben. Ganz plötzlich, er ist in seinem Sessel eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Mit 73 Jahren. Ob das nun "kein Alter" oder ein "gutes Alter" zum Sterben ist, weiß ich nicht.

Auf jeden Fall kam der Tod, trotzdem, wie so oft, unerwartet. Und wenn der Tod eines Menschen, der uns viel bedeutet, mit dem wir tief verbunden sind, so nahe kommt, nämlich an das eigene Leben, das ja weitergeht, immer weiter, während der andere fehlt – das macht Angst. Es ist schmerzlich, eigentlich unerträglich.

Den Tod einkalkulieren

Ich konnte und wollte mich nie, bis zuletzt nicht, damit beschäftigen, dass mein Vater sterben wird. Er hat mich sogar darauf angesprochen, mehrmals, wollte Vollmachten ausfüllen, zum Notar, seine Patientenverfügung beglaubigen lassen. Ich wollte das nicht.

Denn meine Vorstellungskraft, die reichte nicht bis zu dem Punkt, an dem mir rational klar sein hätte sollen: Das ist sinnvoll. Es ist wichtig, Dinge und Wünsche festzuhalten. Zu wissen, was passieren soll, nach dem Tod. Oder im Koma. Oder bei einem Hirntod.

Zum Glück konnte mein Bruder das, was da anstand, im Zustand des Lebendigen, mit meinem Vater regeln. Eine sogenannte "Generalvollmacht über den Tod hinaus" aufsetzen, ihn fragen: Was wünschst du dir, welche Art von Beerdigung soll es sein? Im Sarg in die Erde, verbrannt in einer Urne?

Entscheidung dokumentieren

Die Frage nach einer Organspende stellte sich aus vielerlei Gründen bei meinem Vater nicht. Aber bei mir, bei mir vielleicht schon. Ich hatte lange keinen Organspende-Ausweis, weil, wie beschrieben, ich bis vor wenigen Monaten dem Thema Tod noch wunderbar ausweichen konnte. Weil das nichts war, das in meinem Leben, so nah an mir selbst, stattfand.

Es zählt eben oft nur das Hier und Jetzt. Und jetzt gerade, da brauche ich all meine Organe natürlich selbst. Tod, nein, darüber möchte ich nicht nachdenken. Aber auch ich kann zum Beispiel bei einem Unfall ums Leben kommen, ganz plötzlich, im Krankenhaus, weit vor meiner Zeit, was auch immer das bedeuten soll, "die Zeit", die dann kommt, in der man "geht", für immer.

Wäre es da nicht gut, meinen Angehörigen, sollten sie in die Situation kommen, entscheiden zu müssen, ob meine Organe gespendet werden dürfen, eben diese Entscheidung abzunehmen? Dieses Gedankenexperiment durchzuspielen, es auszuhalten, das scheinen einige für sich verhandelt zu haben und sind damit schon einen Schritt weiter als ich.

Denn 61 Prozent der Deutschen haben ihre persönliche Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende getroffen. Deutlich weniger Menschen, nur 43 Prozent, haben ihre Entscheidung dann aber auch dokumentiert. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Vorsorgen, auch als junger Mensch

Es ist nun nicht so, als hätte ich – vorsorglich – schon ein Testament aufgesetzt und eine Patientenverfügung unterschrieben. Aber es gibt den Gedanken vorzusorgen; sich Gedanken zu machen, auch als junger, oder sagen wir "jüngerer" Mensch, über Entscheidungen, die ich im Falle meines unerwarteten Todes nicht meinen Angehörigen aufzwingen möchte.

Denn so wäre es nunmal, meine Familie müsste sich eventuell mit der Frage, ob ich meine Organe spenden möchte, auseinandersetzen. Statt mir. Klingt für mich nicht fair. Ich möchte das nämlich nicht für jemand anderen entscheiden, da bin ich ganz ehrlich.

Ich war heilfroh, dass mein Vater vorgesorgt hatte und sogar die Musik für seine Beerdigung in einer Playlist hinterlegt hatte. Mit solchen Details kann man sich dann offenbar auch beschäftigen, wenn die großen Fragen geklärt sind.

Im Fall der Fälle

Es ist übrigens ein gutes Gefühl, Wünsche erfüllen zu können, auch nach dem Tod. Nicht in abstruser Weise; nicht so, dass es in der Gegenwart mehr schadet als gute Gefühle bringt. Aber Orientierung zu haben, was passieren soll, "im Fall der Fälle", das ist etwas Gutes, finde ich.

Mein Vater hat zu Lebzeiten für viel Chaos gesorgt. Was seinen Tod angeht überraschenderweise nicht, ganz im Gegenteil. Und wenn ich zwei, drei Erkenntnisse aus der Zeit nach seinem Ableben hatte, dann ist eine davon, meinen Angehörigen so viele Fragen, "wie ich es denn gerne hätte" und "was richtig ist", auch und gerade beim Thema Organspende, zu beantworten, solange ich da bin.

Es gibt für mich viele gute Gründe, das Kreuz bei "Ja, ich will meine Organe spenden" zu setzen. Es kann jemand anderes Leben verbessern oder retten. Deshalb habe ich einen Organspende-Ausweis ausgefüllt und hinterlegt. Als ersten, ganz praktischen Schritt. Und das sollten mindestens all jene, die wissen, ob sie ihre Organe "im Fall der Fälle" spenden wollen oder nicht, auch tun.

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MDR Investigativ Podcast Organspenden 36 min
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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 03. Juni 2023 | 19:30 Uhr

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