Protestgruppe Klima-Aktivisten: Das Netzwerk der "Letzten Generation"
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22. April 2023, 05:00 Uhr
Sie verärgern Autofahrer und stören den Verkehr vor allem in großen Städten wie Dresden, Leipzig oder Berlin. Die Aktionen der "Letzten Generation" sorgen für Diskussion. Die Klima-Aktivisten gehen bei ihren Protesten immer weiter. Wie geht die Gruppe vor und welche Struktur steckt dahinter?
Der dunkelblaue LKW rollt genau auf die Demonstranten vor dem Dresdner World Trade Center zu. Kurz vor der Gruppe der "Letzten Generation vor den Kipppunkten" stoppt der Fahrer und drückt auf die Hupe – lange dröhnt das Horn auf die Teilnehmer der Sitzblockade ein. Ein anderer Verkehrsteilnehmer stürmt aus seinem Auto und brüllt auf die festgeklebten Aktivisten ein: "Haut ab! Ihr Idioten. Ihr seid wirklich die letzte Generation. Das Allerletzte. Die letzte Scheiße seid ihr."
Die Wut der Autofahrer und Passanten lassen die Aktivisten der "Letzten GeneratioN" über sich ergehen. Ziviler Ungehorsam? Ja. Gewalt? Nein. Daran halten sie sich strikt.
Die Struktur: Bienenkönigin, Bienen und Hummeln
"Das ist eine Situation, in der die Bedrohung von außen sehr groß ist", erklärt die Wirtschaftspsychologin an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg Maria-Christina Nimmerfroh. Sie forscht zu den Organisationsstrukturen von Protestgruppen. "Aggressive Autofahrer, Auseinandersetzungen mit der Polizei. Das schweißt diese kleine Gemeinschaft nach innen zusammen." Nur so könne die Gruppe auch agieren und nur so funktionierten die Strukturen.
MDR Investigativ konnte bei der Vorbesprechung einer Blockade der "Letzten Generation" dabei sein. Alle Aktivisten haben eine klare Rolle, mit einer internen Bezeichnung. Die Führung übernimmt die "Bienenkönigin", die Blockierer werden "Bienen" genannt und die Unterstützer "Hummeln".
"Ich bin extrem nervös wegen morgen, wie das abläuft, ob das alles steht, ob das alles passt", erklärt die sogenannte Bienenkönigin. Den richtigen Namen will sie nicht veröffentlichen. Ziel der Blockade ist das Blaue Wunder in Dresden. Besprochen wird auch, wie im Notfall eine Rettungsgasse gebildet werden soll. Statt auf die Straße kleben sich zwei Aktivisten gegenseitig an die Hände, können so eine Lücke freimachen. Zum Schluss des Treffens werden Pakete voll mit Sekundenkleber an die "Bienen" verteilt.
Das Anliegen der "Letzten Generation"
Am nächsten Morgen haben Pressevertreter per SMS die Koordinaten für einen Treffpunkt bekommen – auch die Polizei ist bereits vor Ort. Dann geht es schnell: Vor den Augen der Beamten gelingt es den Aktivisten in den orangen Warnwesten, sich auf die Straße vor dem Blauen Wunder zu setzen – mitten in der morgendlichen Rush-Hour. Sofort beginnen die Autofahrer vor ihnen zu hupen. Andere schreien die Demonstranten an und versuchen sie von der Straße zu zerren.
Darf ich Ihnen sagen, dass das hier die Möglichkeit ist, wie wir es schaffen, dass Menschen sich überhaupt für den Klimaschutz wieder interessieren.
"Ihr behindert die Leute beim Arbeiten. Ihr behindert die Kinder, dass sie in die Schule gehen können", sagt eine Frau, die in ruhigem Ton versucht, die Aktivisten von ihrer Blockade abzuhalten. Die "Bienenkönigin" erwidert: "Darf ich Ihnen sagen, dass das hier die Möglichkeit ist, wie wir es schaffen, dass Menschen sich überhaupt für den Klimaschutz wieder interessieren." Die Frau antwortet: "Und ich bin auch für Klimaschutz. Und ich bewege mich auch ganz normal wie jeder andere Bürger. Aber ich nehme mir nicht das Recht raus, alle Menschen hier an ihrem alltäglichen Leben in der Gesellschaft zu behindern."
Auf den Transparenten, die vor den Aktivisten liegen, steht der Verweis auf den Artikel 20a des Grundgesetzes. Darin heißt es: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen." Dazu erklärt die Aktivistin: "Wir haben so viel Respekt vor dem Rechtsstaat. Wir erinnern ihn daran, dass er sich selber zur Pflicht gemacht hat, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Eben Artikel 20a. Es geht uns darum, dass wir der Feueralarm sind, der vor dem drohenden Klimakollaps warnt."
Die Ziele der Kampagne
Die Forderungen der Protestgruppe sind klar definiert. Die Kampagnenziele bisher: Ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung, die Weiterführung des Neun-Euro-Tickets und Tempolimit 100 auf der Autobahn. Seit Beginn dieses Jahres fokussiert die Gruppe ein neues Ziel, sie fordern einen "Gesellschaftsrat Klima".
Die Idee dahinter erklärt Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von "Mehr Demokratie": "Die Bürgerräte sind ein exzellentes Beteiligungsformat, für das Menschen aus der Bevölkerung ausgelost werden. Es wird so lange gelost, bis sich eine Mini-Gesellschaft abbildet, was die Geschlechter angeht, was die Bildungsgrade angeht, was die Altersstrukturen an geht."
Diese Mini-Gesellschaft soll dann Maßnahmen erarbeiten, wie mehr Klimaschutz in Deutschland umgesetzt werden könne. Allerdings hat die Sache einen Haken, denn die "Letzte Generation" fordert, dass die Entscheidungen des Bürger- oder Gesellschaftsrates verbindlich sein sollen.
Das jedoch sei mit der parlamentarischen Demokratie nicht vereinbar, so Beck: "Verbindliche Entscheidungen obliegen laut unseren Verfassung dem Parlament oder dem Volk über eine Volksabstimmung. Das sind die beiden Möglichkeiten, die wir haben."
Ist die "Letzte Generation" linksextrem?
Tatsächlich unterscheidet sich die "Letzte Generation" von anderen Protestgruppen vor allem in der linksextremen Szene. Psychologin Maria-Christina Nimmerfroh erklärt: "Für linke Gruppen ist der Staat traditionell eine Art Gegner, vor dem man sich versteckt und zurückzieht und wo man keinen Einblick in die Aktivitäten gewinnt." Dagegen instrumentalisiere die "Letzte Generation" den Staat – durch das Wegtragenlassen oder das Zelebrieren von Gerichtsprozessen. "Das ist eine völlig andere Sicht auf den Staat und damit auch eine völlig unterschiedliche Organisationskultur."
Das ist eine völlig andere Sicht auf den Staat und damit auch eine völlig unterschiedliche Organisationskultur.
Zudem sei die Gruppe nicht etwa basisdemokratisch, sondern zentralistisch und hierarisch organisiert. "Wir haben für den deutschen Bereich ein dreiköpfiges Führungsteam, das ist das sogenannte Strategieteam", erklärt Nimmerfroh, die auch bereits Undercover an Trainingseinheiten der "Letzten Generation" für Blockaden teilgenommen hat. "Und dann gibt es noch ein Strategie-Erweiterungs-Team von einigen Personen, und dort werden die wesentlichen Entscheidungen getroffen – die Formen der Proteste, die Zeit- und Maßnahmenplanung, die Budgetverteilung und auch die Mobilisierung vor Ort."
Ein bezahlter Job bei der "Letzten Generation"
Lars Ritter gehört zum Strategie-Team Ost der "Letzten Generation" – also quasi zum mittleren Management. Für diesen Job wird der Leipziger sogar bezahlt. Das Geld dafür kommt zu großen Teilen aus dem USA, vom Climate Emergency Fund. Dieser unterstützt weltweit Protestgruppen, die mit Methoden des zivilen Ungehorsams die öffentliche Ordnung stören. Das Geld fließt über gemeinnützige Vereine nach Deutschland. Für Blockaden erhält Lars Ritter kein Geld, dafür aber für Vorträge, Trainings und Strategietreffen.
Lars Ritter glaubt an die Ziele des Protests und ist sogar bereit dafür ins Gefängnis zu gehen. Bis vor wenigen Tagen saß der 19-Jährige in Hamburg in Präventivhaft, sollte so an der Teilnahme an weiteren Blockaden gehindert werden. Drei Tage lang in der Einzelzelle, mit nur einer Stunde Hofgang pro Tag.
Der Grund für die Haft: Ende März hatte die Gruppe eine Kampagne in der Hansestadt begonnen, blockierte mehrfach die Hauptverkehrsadern von Stadt und Hafen. Der Protest kam mit Ankündigung. Vorausgegangen war ein Schreiben der "Letzten Generation" an Hamburgs Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD).
Ist das Erpressung?
Darin die Forderung, die Stadt solle die Ziele der Gruppe unterstützen. Geschehe dies nicht: "Wir werden in diesem Fall ab dem 14.04.2023 unseren Protest auf die Stadt Hamburg ausweiten und für eine maximale Störung der öffentlichen Ordnung sorgen." Für Peter Tschentscher ist das eine klare Erpressung, auf die er sich nicht einlässt.
Die "Letzte Generation" reagiert mit einer speziellen Klebermischung bei ihren Aktionen. So ist es für die Polizei nicht möglich, die Aktivisten mit Speiseöl und Spachtel von der Straße zu lösen – wie sonst üblich. Die Beamten müssen mit einer Flex anrücken und sägen den Beton um die Hände heraus.
Auch Lars Ritter wurde später von der Polizei mitgenommen. "Diese maximale Störung der öffentlichen Ordnung, so haben wir das auch in den Briefen an die OberbürgermeisterInnen geschrieben", erklärt er. "Das klingt im ersten Moment nach Erpressung und nach einer Drohung, es soll aber einfach nur symbolisieren: Das ist das, was wir jetzt anscheinend brauchen, damit wir überhaupt mal ins Gespräch kommen."
Im Gespräch mit Bürgermeistern
Tatsächlich stießen die "Erpressungsschreiben" nicht überall auf Ablehnung. In Hannover hat Oberbürgermeister Belit Onay (Die Grünen) ein fast identisches Schreiben bekommen. Mit Bitte um Unterstützung und bei Ausbleiben der Androhung von Protest.
"Aus meiner Sicht war es wichtig, dass wir miteinander sprechen", sagt Onay, der das Gespräch mit der "Letzten Generation" suchte. "Das ist besser gesagt als nicht miteinander zu sprechen. Wir haben hier viele Störaktionen auch in der Stadt gehabt. Das hat schon für sehr viel Unmut gesorgt."
Onay überzeugte die inhaltliche Auseinandersetzung der Aktivisten. Forderungen wie ein Tempolimit auf der Autobahn seien nicht radikal, sondern mehrheitsfähig. Er kam der Bitte nach und schrieb einen Brief an den Bundeskanzler. Denn aus seiner Sicht tue die Bundesregierung zu wenig für den Klimaschutz.
Neue Kampagne in Berlin
Acht Städte haben sich inzwischen bereit erklärt, die Forderungen der "Letzten Generation" zu unterstützen. Protestiert wird dort nicht mehr. Am Mittwochmorgen sammelten sich Aktivisten der "Letzten Generation" in Berlin. Seit Wochen kündigt die Gruppe an, die Hauptstadt lahm legen zu wollen und hat dafür intensiv um neue Aktivisten geworben. Um Personen, die bereit sind, für die Ziele der Gruppe sogar ins Gefängnis zu gehen.
Egal, wie die Polizei reagiert – entweder sie lässt uns protestieren und wir rütteln die Menschen auf. Oder sie sperrt uns weg und wir rütteln die Menschen auf.
So wie Lars Ritter. Er ist mit mehr als 20 Gleichgesinnten aus Dresden und Leipzig nach Berlin gereist. Angst habe er inzwischen nicht mehr: "Egal, wie die Polizei reagiert – entweder sie lässt uns protestieren und wir rütteln die Menschen auf. Oder sie sperrt uns weg und wir rütteln die Menschen auf." Doch er ist auch überzeugt, dass sich Berlin ihren Protest nicht bedingungslos gefallen lassen wird.
Er hat Recht behalten. Am Donnerstag blockierte Lars Ritter zusammen mit seiner Protestgruppe aus Ostdeutschland die Straße des 17. Juni, nahe der Siegessäule. Die Polizei ist bereits vor dem Eintreffen der Gruppe dort präsent, kann die Blockade jedoch nicht verhindern. Mehr als eine Stunde lang legen die Klimaaktivisten den Verkehr lahm.
Dann gibt die Polizei die Auflösung der Versammlung bekannt, droht mit Einsatz von Gewalt, sollte die Straße nicht unverzüglich geräumt werden. Lars Ritter lässt sich davon nicht beeindrucken. Er bleibt sitzen. Zwei Beamte packen ihn, fügen ihm offenbar kalkuliert Schmerzen zu. Lars Ritter schreit auf, wehrt sich aber nicht. Die von der Polizei trainierten Schmerzgriffe bringen ihn an eine physische Grenze. Der Notarzt wird gerufen. Für Lars Ritter endet der Protest im Krankenhaus. Später erfahrt MDR Investigativ: Ernsthaft verletzt wurde er durch die Schmerzgriffe nicht.
Quelle: MDR Investigativ/ mpö
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 19. April 2023 | 20:15 Uhr