Vegane Ernährung Der Kampf gegen das Fleisch
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03. September 2023, 05:00 Uhr
Für die einen gehört Fleisch immer auf den Teller. Andere lehnen tierische Produkte ab und wollen auch andere davon überzeugen – teils mit harten Worten. Doch warum ist es so ein schwer umkämpftes Thema?
Fleisch – für die einen ist das unverzichtbar und gehört zu fast jeder Mahlzeit. Ganz ähnlich wie es Markus Söder im Juni formulierte: "Ein Leben ohne Schweinsbraten mag möglich sein, aber nicht sinnvoll." Für andere ist Fleisch Tierquälerei und schädlich fürs Klima. Fest steht: Der Fleischkonsum in Deutschland ist ein Reizthema: Auf der Straße, im Netz und in der Politik. Doch woran liegt das und kann sich daran etwas ändern?
"Nicht-Veganer missbrauchen Tiere als Sklaven", sagt Rafaela Raab. Die Österreicherin ist als Gast zu einer Demo von Tierrechtsaktivisten nach Magdeburg gereist. Eigentlich ist sie Ärztin, aber für den Aktivismus hat sie ihren Job aufgegeben. In den sozialen Netzwerken nennt sie sich "Die Militante Veganerin" und erreicht dort mit ihren Videos Millionen – auch, weil sie polarisiert, etwa mit solchen Aussagen: "Das sind die Leichenteile von fühlenden Personen, die genauso wenig zum Schlachthof wollten wie ihr", sagt sie, zeigt auf Schweinelende oder Hähnchenkeule und redet Fleischessern lautstark ins Gewissen.
Szenen aus der Massentierhaltung
Um die 27-Jährige Raab stehen an diesem Tag Ende in der Magdeburger Innenstadt zahlreiche weitere Aktivisten. Einige von ihnen halten Bildschirme vor sich, auf denen brutale Szene aus der Massentierhaltung laufen. Die Veranstaltung hat die Tierrechtsorganisation "Anonymus for the Voiceless" organisiert, die es in ganz Deutschland und vielen weiteren Ländern gibt.
In Magdeburg führt Dawid Czech das "Chapter" an, wie es bei den Aktivisten heißt. Die Gruppe hatte sich zuvor darauf geeinigt, dass nur angesprochen werden soll, wer vor den Bildschirmen stehen bleibt. Gründe, aus denen viele andere Menschen auf Fleisch verzichten, zum Beispiel wegen der negativen Auswirkungen auf Klima, Umwelt oder Gesundheit, sind bei ihnen bewusst zweitrangig. Czech und seine Mitstreiter argumentieren vor allem aus ethischen Gründen gegen die Tierhaltung – und das ziemlich konsequent.
Bis auf Familienmitglieder habe ich mit fast niemandem mehr privat zu tun, der nicht vegan ist.
"Bis auf Familienmitglieder habe ich mit fast niemandem mehr privat zu tun, der nicht vegan ist", sagt Aktivist Czech. "Ich setze mich auch nicht mit der Familie oder mit anderen Menschen an einen Tisch, wenn sie tierische Produkte konsumieren." Selbst von seiner Mutter würde er sich wegsetzen. "Alles aus Respekt gegenüber den Tieren."
Warum die Militante Veganerin Fleischesser attackiert
Auch "Die Militante Veganerin" hat mit Freunden und Familie gebrochen, weil sie nicht vegan leben. Konsequent nach ihrem Motto: "Nicht vegan sein, ist nicht okay". Im Internet und in den sozialen Netzwerken ist sie bekannt geworden, weil sie mit den Menschen auf der Straße auf ihre ganz eigene Weise diskutiert. Viele Teenager sind an diesem Tag nach Magdeburg gekommen, die sie von Tiktok kennen. Einige wollen nur Fotos machen. Andere wollen ernsthaft mit ihr diskutieren – und das obwohl sie Fleischesser immer wieder als Mörder und Vergewaltiger bezeichnet.
Doch warum attackiert Rafaela Raab Fleischesser immer wieder so heftig und bezeichnet sie als Mörder oder Vergewaltiger? "Ich finde es sehr wichtig, diese Worte zu verwenden, um auch die ethische Dringlichkeit hervorzurufen", sagt sie gegenüber MDR Investigativ. "Und es ist nicht im Sinne der Tiere, hier meine Sprache zu verwaschen oder meine Wortwahl zu verändern." Sie wolle den Leuten den Spiegel vorhalten. "Ich bin auch nur vegan geworden, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte und das gilt es auch, in meinen Gesprächspartnern hervorzurufen.”
Moralischer Vorteil und starke Gegenwehr
Doch erreicht Raab damit ihr Ziel oder bewirkt sie damit auch genau das Gegenteil? Beim Thema Ernährung habe "der Veganer immer den moralischen Vorteil", sagt die Professorin für Gesundheits- und Ernährungspsychologie an der Hochschule Anhalt in Bernburg, Katja Kröller. "Und ich finde, dass der Druck an der Stelle auch sehr massiv aufgebaut wird. [...] Sodass man sich als Nicht-Veganer schon beständig diesem Druck ausgesetzt sieht: Müsste ich mich nicht eigentlich mehr vegan ernähren oder müsste ich nicht mehr in diese Richtung machen? Und das erzeugt dann auch immer stärkere Gegenwehr.”
Diese Gegenwehr kann massiv werden – das musste etwa Nils Steiger bereits erleben. Er hat Anfang 2023 mit drei Freunden eine vegane Fleischerei mit Ersatzprodukten ohne tierische Inhaltsstoffe in Dresden eröffnet. Vor allem im Netz brach daraufhin ein echter Shitstorm los.
"Wir werden mit Nazis verglichen", sagt Nils Steiger, während er in seiner Fleischerei steht und auf seinem Handy durch Kommentare scrollt. In Kommentaren unter Internet-Artikeln sei sogar zum Mord an ihm und seinen Kollegen aufgerufen worden, berichtet Steiger. Und auch mit Google-Bewertungen werde versucht, den Ruf des Geschäfts zu schädigen. Mittlerweile habe der Hass nachgelassen, sagt er – und die Nachfrage sei inzwischen so groß, dass die "Vegane Fleischerei" größere Produktionsräume suchen musste.
Fakten zum Fleischkonsum
In Deutschland gibt es laut Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach (IfD) rund 1,5 Millionen Veganer und etwa acht Millionen Vegetarier. Die große Mehrheit isst weiterhin Fleisch. Für diesen Fleischhunger wurden 2022 allein in Deutschland mehr als 750 Millionen Landtiere geschlachtet, also Rinder, Schweine und vor allem Geflügel. Das sind über 1.400 Tiere pro Minute.
Und das hat gravierende Auswirkungen – nicht nur für die Tiere, auch für Klima und die Umwelt: Laut den Vereinten Nationen gehen rund 14,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen auf die landwirtschaftliche Tierhaltung zurück. Außerdem braucht diese mehr als drei Viertel der landwirtschaftlich genutzten Flächen weltweit.
Ein Steak als Tattoo
Doch wie sehen passionierte Fleischesser die Diskussion um Fleischverzicht? "Ich habe mir das Steak tätowiert, bin Fleischsommelier", sagt Profi-Griller Willi Gretzschel. Der Koch ist mit seinem Team "Leipzig grillt gut" als Sachsens amtierender Landesgrillmeister zu den Deutschen Grillmeisterschaften Ende Juli nach Stuttgart gereist. Gretzschel sagt: "Aber Beilage ist tatsächlich sehr, sehr wichtig beim Thema Fleisch."
Ich bin zum Beispiel ein großer Verfechter vom Sonntagsbraten. Zurückzugehen zu weniger Fleisch ,dafür hochwertiger.
Das habe auch ernährungsphysiologische Gründe. "Nur Fleisch ist nicht das Wahre, man braucht das Gemüse, um einfach das Fleisch optimal zu verwerten und zu sich zu nehmen”, so Gretzschel. Auch er spricht sich für einen gemäßigteren Fleischkonsum aus. "Ich bin zum Beispiel ein großer Verfechter vom Sonntagsbraten. Zurückzugehen zu weniger Fleisch, dafür hochwertiger. Und Tierwohl ist wichtig, da müssen wir klipp und klar dran arbeiten, das ist furchtbar, die ganzen Skandale, die da entstanden sind.”
Funktioniert es ohne Verbote?
Wie könnte das gehen? "Wenn wir das ernst nehmen mit Nachhaltigkeit, mit Transformation, mit Rechten für Kinder und nachfolgende Generationen, wer soll denn dann steuern, wenn nicht die Politik", fragt Philipp Lepenies, der die Professur für Politik mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit an der Freien Universität Berlin innehat.
Wirtschaft und Verbraucher seien ohne Vorgaben durch die Politik, nicht in der Lage die Nachhaltigkeitswende zu schaffen, sagt Lepenies. "Wir kriegen es ja nicht hin." Die Politik würde aber gleichzeitig so tun als könne es auch ohne Verbote und Verzicht gelingen, kritisiert der Politikwissenschaftler und Ökonom. "Das ist ein Witz, das ist einfach Augenwischerei. Das funktioniert nicht".
Ein Fleisch-Verbot soll es zwar nicht geben, aber die Bundesregierung erarbeitet gerade eine Nationale Ernährungsstrategie, die tatsächlich weniger Fleisch und eine stärker "pflanzenbetonte Ernährung” vorsieht. Etwa in Kantinen von Schulen, Kitas oder Krankenhäusern soll bald weniger Fleisch angeboten werden. Doch reicht das oder kann dies auch wieder das Gegenteil bewirken?
Dieses Thema im Programm: MDR exactly - online | 28. August 2023 | 17:00 Uhr