Nach Magen-OP Das große Abnehmen: Diät mit Adipositas
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06. Mai 2024, 17:00 Uhr
Etwa 17 Millionen Menschen in Deutschland sind adipös. Chronische Fettleibigkeit ist eine Krankheit. Betroffene brauchen meist medizinische Hilfe. Laura hat sich einen Ballon in den Magen legen lassen und dann mit einer strengen Diät über 40 Kilo abgenommen.
- Erst einen Magenballon und dann eine strenge Diät.
- Die Probleme mit der Fettleibigkeit.
- Schräge Begegnungen in der Body Positivity-Bewegung.
- Nach hartem Kampf kann Laura ihr neues Gewicht halten.
Vor einem Jahr hat Laura noch 117 Kilo gewogen. Bei einer Körpergröße von 1,67 Meter war das für die junge Frau völlig okay. "Lange habe ich mich der Body Positivity Bewegung zugehörig gefühlt", sagt die 26-Jährige. Der Tenor: "Egal wie ich aussehe, es ist gut so und ich kann essen was ich will." Doch Laura spürte massive körperliche Einschränkungen. Sie konnte nicht mehr lange stehen und Fahrrad fahren war auch nicht mehr. Sie entschloss sich radikal abzunehmen.
Unter 100 Kilo möchte ich kommen.
"Unter 100 Kilo möchte ich kommen", erklärte Laura. Das Ergebnis sollte auf jeden Fall zweistellig werden. Für ihr großes Ziel holte sie sich medizinische Hilfe und meldete sich beim Adipositas-Programm des Klinikum St. Georg in Leipzig an. Das Programm kommt für Menschen ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 35 in Frage und kann unter gewissen Voraussetzungen von der Krankenkasse übernommen werden. Anfang 2023 hatte sich Laura einen Ballon in den Magen einsetzen lassen. "Der füllt einen großen Teil meines Magens auf, dadurch habe ich weniger Hunger."
Direkt nach der Operation ging es Laura noch ganz gut. Etwas flau im Magen und matt, sei ihr. Danach wurde es härter. "Die zweite Nacht war wild", sagt sie. "Ich musste mich übergeben. Mir war schlecht. Ich hatte Bauchschmerzen, Rückenschmerzen." Ein halbes Jahr soll der Ballon drinbleiben. Wenige Tage später hatte sich Lauras Körper daran gewöhnt.
Strenge Diät nach der OP
Dann begann die Therapie: Verhalten, Ernährung und Sport. "Es ist hart", gibt Laura zu. Knapp 20 Prozent der Teilnehmenden brechen ab, heißt es von der Klinik. Die erste Hürde für Laura: In den ersten zwölf Wochen gibt es eine strikte Flüssigdiät. Vier Drinks am Tag mit allen wichtigen Nährstoffen aber insgesamt nur 900 Kalorien. Das entspricht nicht einmal der Hälfte ihres Tagesverbrauchs. So sollte Laura schnell und viel abnehmen. Doch: So eine radikale Diät sollte nur unter ärztlicher Aufsicht geschehen.
Laura musste auch in ihrem Leben ein paar Sachen umkrempeln. Durch den Magenballon hatte sie zwar weniger Hunger, doch noch immer ordentlich Appetit. Damit sie in schwachen Momenten nicht schnell etwas zum Naschen zur Hand hat, räumte sie ihre Küche aus. "Marzipan, Nudeln, Mehl, Linsen, Bohnen: Das kommt jetzt alles weg. Hätte früher nicht gedacht, dass ich mein Essen mal aus der Bude verbannen würde", sagte sie lachend, während sie alles in Kisten packt. Es blieben nur Gewürze und Kräuter. Weder Öl noch Salz durfte sie in die Shakes mischen.
Gegen die Diskriminierung von dicken Menschen
"Für Jahre habe ich immer gedacht: Wer mein Körper problematisiert, ist Fatshamer oder oberflächlich", erklärt Laura. Fatshaming heißt, jemand wird für sein Übergewicht diskriminiert. Dagegen hat sich die Body Positivity-Bewegung Anfang der Siebzigerjahre in den USA aus der Fat-Acceptance-Bewegung entwickelt. Die setzt sich gegen die Diskriminierung dicker Menschen ein. Durch Body Positivity sollen unrealistische Schönheitsideale bekämpft werden, wie der Schlankheitswahn. Das Motto: Liebe Dich so, wie Du bist. Dicke Menschen sollen als positiv wahrgenommen werden.
'Riots, not Diets' und 'It’s not you, it’s the Pants', fand ich früher auch immer gut.
Auf Instagram und anderen Social Media-Plattformen war auch Laura in diese Welt eingetaucht. Denn auch sie musste sich negative Kommentare anhören, weil sie dick war. In der Body Positivity Bewegung, die sich für Selbstliebe und gegen eine Kultur der Scham gegenüber dem eigenen Körper einsetzt, lernte sie eine andere Sichtweise kennen.
"Diese ganzen Slogans, die man so hört: 'Riots, not Diets.', 'Pizza Rolls, not Gender Roles.' und 'It’s not you, it’s the Pants', fand ich früher auch immer gut", sagt sie. Das war mit leichtem Übergewicht okay. Doch dann kamen die Probleme.
Probleme mit der Fettleibigkeit
Mit 26 Jahren habe sie ähnliche Probleme wie alte Menschen, so Laura. Nach langem Sitzen und nach langem Stehen taten ihre Füße weh. "Das macht mich echt wütend, dass ich mich da hineinmanövriert habe." 20 Jahre lang hatte Laura ein normales Gewicht, wog um die 60 Kilo.
Dann wurde Laura krank und musste Medikamente nehmen. Eine Nebenwirkung: starke Gewichtszunahme. Hinzu kam, Laura begann, sich mit Essen zu trösten. Später folgte eine emotional aufreibende Trennung. "Ich nahm rasant immer mehr zu."
Schließlich wollte sie Abnehmen. Doch dabei muss sich Laura an strenge Regeln halten. Nach knapp einem Monat strenger Diät, wog sie bereits zehn Kilo weniger. Doch der Preis ist hoch. Sie fühlte sich schlapp, konnte sich schwer konzentrieren, der normale Alltag ist anstrengend. Sie überlegte stark, das Programm abzubrechen.
Zwei Wochen, Ende Juni 2023, hatte Laura einen Termin bei Professor Arved Weimann, Leiter des Adipositaszentrums im Klinikum St. Georg. Sie fühlte etwas von ihrer Autonomie genommen, weil sie nicht mehr selbst entscheiden könne, was sie isst.
Professor Weimann entgegnet, dass das Gefühl berechtigt sei. "Die Frage ist, ob sie ihre Persönlichkeit daran festmachen, dass sie sozusagen dieses Wegnehmen als eine Bedrohung empfinden." Oder ob die Autonomie gerade darin bestünde, mit der Ernährung mal einen anderen Weg zu gehen, auch wenn der von außen vorgegeben werde? Laura war wieder überzeugt und machte weiter, obwohl es sie viel Überwindung gekostet hat.
In einer Bubble der Body Positivity-Bewegung
In Lauras alter Social Media-Bubble, der Body Positivity-Bewegung, gibt es auch einige, die Abnehmen und Diäten generell ablehnen. Eine davon ist das "Marshmallow Mädchen". Die Bloggerin bietet Lebenshilfe für dicke Frauen an – garniert mit pinken Donuts.
Kathrin Tschorn war früher Journalistin, und verdient nun ihr Geld hauptsächlich mit ihrem Blog. Auf ihrem Instagram-Account finden sich auch sogenannten "fetten Fakten." Beispiele: "Abnehmen bringt dich um." Oder: "Die einzige Erkrankung, für die jemals ein kausaler Zusammenhang mit einem hohen Körpergewicht nachgewiesen werden konnte, ist Arthrose (Gelenkverschleiß)."
Laura hatte "Marshmallow-Mädchen" Ende August getroffen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits über 20 Kilo abgenommen. "Meine Beweglichkeit hat zugenommen, meine Lebensqualität hat total zugenommen. Ich habe auch eine ganz andere Einstellung zum Essen", erzählt Laura begeistert.
In der Welt des "Marshmallow Mädchens"
"Ich verstehe das alles absolut", antwortet Tschorn. "Aber wir wissen eben auch aus Studien, dass diese erhöhte Lebensqualität, die kommt nicht dadurch, dass du Fett verloren hast", behauptet sie. "Die kommt dadurch, dass du dein Leben verändert hast. Weil gesundheitsfördernde Verhaltensweisen sind ja immer noch gesund, auch wenn du nicht abnimmst."
Kathrin Tschorn erklärt ihre Sichtweise weiter: "Und dass Adipositas eine Krankheit ist, das ist extrem umstritten." Zudem würde Abnehmen auch nicht funktionieren. "Alles, was wir kennen, arbeitet über ein Kaloriendefizit. Iss weniger, bewege dich mehr, auf verschiedene Arten und Weisen. Und wir wissen, dass das einfach nicht funktioniert."
Aus der Sicht von Tschorn sei es ein statistischer Fakt, dass 98 Prozent der Versuche abzunehmen scheiterten und sogar zwei Drittel der Menschen anschließend mehr wiegen würden als zuvor. Sie bezieht sich dabei auf eine über 60 Jahre alte Studie. Neuere Studien zeigen, dass zwar eine große Mehrheit an Diäten scheitert, aber nur rund 80 Prozent. Andere Studie belegen, dass wer nach einer Studie sein Leben dauerhaft ändert, das reduzierte Gewicht auch halten kann.
Krankhaftes Übergewicht verkürzt das Leben
Doch wie sieht die langfristige Bilanz des Adipositaszentrums im Klinikum St. Georg aus? Nach drei Jahren haben knapp ein Viertel der Teilnehmenden 20 Prozent ihres Ausgangsgewichts verloren, sie haben also viel abgenommen, antwortet Professor Weimann. Ein Großteil kann diesen Gewichtsverlust weiter gut halten. Ergebnisse nach zehn Jahren lägen noch nicht vor.
Wie sieht der Experte das Motto der Body Positivity-Bewegung: Du bist gut, so wie du bist, egal mit welchem Gewicht: "Das eine ist das Schönheitsideal einer Gesellschaft und das muss jetzt nicht unbedingt was Gutes sein", sagt Weimann. Doch: "Es gibt keinen Grund den Dicken zu stigmatisieren, sondern es geht alleine um die wirklich medizinischen Gründe. Dass eben ein krankhaftes Übergewicht, eine krankhafte Fettleibigkeit das Leben verkürzt."
Die Frage an sich ist: Wenn ich übergewichtig, krankhaft fettleibig bin, ob ich mit diesen Risiken leben möchte.
Adipöse Menschen haben ein viel größeres Risiko für gravierende Krankheiten: Diabetes, Bluthochdruck, Arthrose, aber auch Krebs. Adipöse Menschen haben eine bis zu zehn Jahre kürzere Lebenserwartung als der Durchschnitt. "Das ist klar gezeigt worden. Und wer das nicht wahrhaben will, der verbreitet dann auch Unwahrheiten", so Weimann. "Die Frage an sich ist natürlich: Wenn ich übergewichtig, krankhaft fettleibig bin, ob ich mit diesen Risiken leben möchte."
Das leichtere Leben nach dem Abnehmen
Für Laura hat sich inzwischen immer mehr verändert. Am Ende des Sommers 2023 geht sie mit einer Freundin das erste Mal nach langer Zeit wieder Fahrrad fahren. Zu diesem Zeitpunkt wiegt sie ersten Mal seit vielen Jahren wieder unter 90 Kilo. Sie isst wieder zwei richtige kleine Mahlzeiten und trinkt zweimal am Tag noch die Shakes. "Ich habe ja auch schon noch viel Fett und alles", gibt Laura zu. Dennoch ist sie stolz: "Aber ich muss sagen, ich gehe schon sehr liebevoll mit meinem Körper um. Und klar, es fangen Sachen an, ein bisschen softer zu werden an meiner Haut", sagt sie und winkt mit dem unteren Teil eines Oberarmes. "Aber das ist mir vollkommen egal."
Schließlich, nach insgesamt fast einem Jahr ist Laura bei 73 Kilo angekommen. Nicht nur das: Sie hält ihr Gewicht bereits seit fünf Monaten. "Und ich habe einen Sport gefunden, der mir Spaß macht", sagt Laura. Es ist Rollkunstlauf.
Ihr Fazit nach einem Jahr: "Ich gefalle mir, doch ich mochte mich auch vorher schon sehr gerne." Inzwischen ist ihre Meinung zu Body Positivity allerdings zwiespältig. "Sich selbst zu mögen ist viel wert und es ist wichtig, Diskriminierung zu bekämpfen", sagt Laura. Doch in der Bewegung gebe es eben auch teils extreme Positionen. Schlussendlich müsse aber jeder für sich selbst den eigenen Weg finden.
Dieses Thema im Programm: MDR+ | MDR exactly | 06. Mai 2024 | 17:00 Uhr
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