Kultur- und Kongresszentrum Warum Gera seinen "Palast der Republik" neu entdecken muss
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20. Juli 2020, 04:00 Uhr
Als herausragendes Zeugnis der Ostmoderne gilt das Kultur- und Kongresszentrum in Gera heute. 1981 wurde es als Haus der Kultur eröffnet. Eine Untertreibung, gleicht der großzügige Bau doch dem Ost-Berliner Palast der Republik. Was das KuK am meisten unterscheidet, ist bekanntlich der Fakt, dass es anders als "Erichs Lampenladen" noch steht. Sogar als Gesamtkunstwerk stuften die Thüringer Denkmalschützer das Haus inzwischen ein. Die Stadt müsse es wieder entdecken, finden Experten.
"Das Haus ist nicht asbestverseucht, aus diesem Grund besteht kein Grund zum Abriss", betont Claudia Tittel. Seit Anfang 2020 ist die Kunst-und Kulturwissenschaftlerin Kulturamtsleiterin in Gera. Für die SPD. Tittel begeistert sich für das einstige Haus der Kultur, das heute kurz "KuK" oder lang Kultur-und Kongresszentrum" genannt wird.
Tittels Amtszimmer befindet sich hier und ist das, was man hip nennt. Tittel ließ es mit DDR-Möbeln aus dem Haus ausstatten, darunter zwei schwingende Sessel von Formgestalter–Legende Rudolf Horn. Tittel kombinierte die alten Möbel mit zeitgenössischer Kunst, hinter dem DDR-Sprelacart-Schreibtisch verkündet sie ihre Vision:
"Ich bekenne mich zu dem Haus, weil ich tatsächlich finde, dass es unser Pfund ist, mit dem wir wuchern müssen. In der Struktur ähnelt es dem Palast der Republik, zum Teil auch in der Außenansicht. Das heißt, die Fenster sind gleich, die Rahmungen, vor allem aber die Idee und der Anspruch, der dahinter steht. In Gera hat man versucht, das Gleiche nur in kleinem Format zu reproduzieren."
Denkmal und Gesamtkunstwerk
Auch Claudia Tittels Amtsvorgänger erkannten den Wert des Hauses der Kultur, das seit 2013 ins Denkmalbuch Thüringen eingetragen ist wegen seiner "kunsthistorischen Bedeutung als Gesamtkunstwerk". Nach 1989 kam das einstige Bezirkskulturhaus in den Besitz der überforderten Stadt. Als ewig klamme Kommune konnte Gera das Haus nur verwalten, und wenige, aber teure Reparaturen anordnen. So kommt es, dass der Originalzustand erhalten ist, wenn man von der Zerstörung der großzügigen Außenlage absieht. Dennoch ist das Haus als Monolith stadtbildprägend. Thüringens Landeskonservator Holger Reinhardt bedauert das geringe Verständnis für die DDR-Moderne in breiten Teilen der Bevölkerung, sieht aber einen Wandel:
"Die Stadt muss diesen Kulturpalast neu entdecken. Es ist ein ganz moderner Bau, in der Konstruktion, im konzeptionellen und funktionellen Ansatz, mit diesem großen Saal, Foyer und diversen angeschlossenen kleinen Räumen. Die Lösung dieser Bauaufgabe hatte im 20. Jahrhundert einen richtigen Höhepunkt. Ich beobachte, dass die Scheu vor dieser DDR-Architektur mittlerweile abnimmt."
Kultur als Verlustgeschäft
Nun im Corona-Jahr 2020 arbeitet das KuK mit Verlust. Den Löwenanteil bringen feste Mieter ein, rund 200 Veranstaltungen gibt es im Jahr. Zu wenig, seufzt Mechthild Zetzsche, und zieht dünne Klebestreifen vom "Lied des Lebens", einer 450 Quadratmeter großen Kalkstein-Reliefwand mit 89 Plastiken. Klebestreifen, die jemand hier hat haften lassen, nachdem er wenigstens seine Plakate entfernt hat. Zetzsche managte bis vor Kurzem die Veranstaltungen. An ihre Arbeit in den 80er-Jahren erinnert sie sich als "Blütezeit". Obwohl es mit der Akzeptanz des Hauses anfangs nicht zum Besten stand, weil man dafür Teile der barocken Altstadt Geras wegreißen ließ.
DDR-Kunst im Bau: "Lied des Lebens" als Kalkstein-Relief
An der Ausgestaltung wirkten dann viele DDR-Künstler, prominente wie weniger bekannte, mit: "Ganz besonders war natürlich, dass von der Idee bis zur Ausführung alles hier im Haus entstanden ist. Man könnte es also vergleichen mit einem Theater auf dem Gebiet der Unterhaltungskunst."
Das "Lied des Lebens" prägt mit seinen Kalkstein-Reliefs über drei Stockwerke hinweg immer noch Treppenhaus und Foyer. Eine kollektive Leistung von 26 Bildhauern, die auch in der DDR nicht alltäglich war. Wer sich mit den 450 Quadratmetern Kunst auseinandersetzt, lernt etwas über Bildhauerei in der DDR. Jo Jastram, prominenter Plastiker aus Rostock, 1977 gar documenta-Teilnehmer, wurde schließlich die Leitung übertragen. 1986 äußerte er sich über seine Kunst in der Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera": "Ich formuliere mein Nachdenken über die Menschen in unserer Zeit, in unseren Tagen, in unserem Lande über künstlerische Mittel. Das ist meine Ausdrucksform. Und ich bin ein schrecklich neugieriger Mensch und möchte deshalb wissen, wie das mit diesem Lande, das so gut unterwegs ist, weitergeht."
Zeugnis der Ostmoderne
Jo Jastram gestaltete im heutigen KuK, gemeinsam mit anderen Künstlern auch Türknäufe und -griffe, menschliche Gestalten in surrealen Situationen, die heute zu jenen Objekten im Haus gehören, die auch Nicht-Ostalgiker verzücken. Wer schließlich den großen Saal betritt, dem wird ein Déjà-vu zu "Erichs Lampenladen", dem Palast der Republik, beschert.
Als exemplarisches Zeugnis der Ostmoderne gilt das KuK in Gera. Es ist eine Mammutaufgabe, diesen monumentalen Kulturtempel mit neuem Leben zu füllen. Mit Claudia Tittel hat er jetzt eine enthusiastische Hohepriesterin.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 20. Juli 2020 | 08:10 Uhr