Investor gefunden Neue Hoffnung für Kulturpalast Bitterfeld
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20. Juli 2020, 04:00 Uhr
Die Höhen der Kultur sollten die DDR-Werktätigen stürmen, damit ihre Intelligenz disziplinieren und Leistungsreserven aktivieren, wie Staats- und Parteichef Walter Ulbricht 1958 formulierte. So wurde die DDR zum "Leseland", viele Theater und Orchester wurden unterhalten, und: Kulturpaläste in der Provinz aus dem Boden gestampft. Dem berühmtesten drohte der Abriss, obgleich der einstige Kulturpalast "Wilhelm Pieck" in Bitterfeld unter Denkmalschutz steht. Nun ist ein Investor gefunden!
Der drohende Abriss des Kulturpalastes Bitterfeld ist abgewendet. Ende Juni konnte Oberbürgermeister Armin Schenk die gute Nachricht im Wolfener Rathaus verkünden. Der CDU-Politiker lenkt seit März 2017 die Geschicke der Doppelstadt Bitterfeld-Wolfen. Zwei Jahre Kraftanstrengung um das Wahrzeichen der Kommune stehen ihm ins Gesicht geschrieben.
Nun wurde der Palast ins Bundesprogramm Nationale Projekte des Städtebaus aufgenommen. Als Schenk den Fördermittelbescheid in die Höhe hält, scheint eine Last von seinen Schultern genommen:
"Große Freude im Augenblick, dass die Stadt Bitterfeld-Wolfen mit ihrem Antrag erfolgreich war, sie hat also bei den nationalen Umbauprojekten einen Fördermittelantrag gestellt, für ein wunderbares Projekt, den Umbau des Kulturpalastes und war damit erfolgreich, die Förderzusage ist da."
Bundesmittel und privates Engagement: "Vom Gebäude profitieren"
Im Rahmen des Bundesprogramms werden 4,37 Millionen Euro an Fördermitteln fließen, um das Gebäude aus den 50er-Jahren nach langem Leerstand zu sanieren. Eine – durch Corona verlängerte - Zitterpartie hat damit vorerst ein glückliches Ende gefunden, steht und fällt doch die Zukunft des Kulturpalastes Bitterfeld mit den Fördermitteln. Den Löwenanteil des Umbaus, von über sechs Millionen, würde Investor Matthias Goßler sonst nicht einbringen. Der Eventmanager und Veranstaltungsagent hat einst im Kulturpalast Gedichte rezitiert, nun ist er in Bitterfeld-Wolfen der Mann der Stunde. Sogenannte Industrie-Veranstaltungen richtet Goßler mit seiner Splitter-Veranstaltungsmanufaktur, bisher mit Sitz in Sandersdorf, aus.
Die Agentur ist deutschlandweit tätig, da kommt ein Schwergewicht wie der Kulturpalast recht, um sich weiter zu profilieren. Firmensitz und genügend Fläche für Events ließen sich dort vereinen. Zudem liegt das Gebäudeensemble verkehrsgünstig zwischen Berlin und Leipzig, was wohl schon die DDR-Funktionäre bewogen hatte, in Bitterfeld einen Kulturpalast aus dem Boden stampfen zu lassen. Matthias Goßler hofft, dass sich die "Firmenwahrnehmung" dort nun "massiv beschleunigen" lasse, weil das Haus "in der Wahrnehmung, nicht nur regional, sondern überregional, so eine Bedeutung hat": "Das wird uns in der Mitarbeiterfindung, in der Projektauswahl künftig sehr weiterhelfen können. Das ist etwas, wo wir vom Gebäude profitieren."
"Bitterfelder Weg": Kunst und Leben
Schließlich steht in Bitterfeld nicht bloß eins der vielen Kulturhäuser der DDR, sondern einer der wenigen Kulturpaläste. In Bitterfeld wurde nicht gekleckert, es wurde geklotzt, auch um die zuletzt 30.000 Beschäftigten des Chemiekombinats bei Laune zu halten. Gebaut im Stil der sogenannten Nationalen Tradition, einem sozialistischen Klassizismus, wurde der Palast 1954 eröffnet.
Proklamiert wurde dort der Bitterfelder Weg, der zeigen sollte, wie man in einem Arbeiter-und Bauernstaat eine Kulturrevolution führen kann. Abgehalten wurden dazu zwischen 1959 und 1964 Konferenzen, der Bitterfelder Kulturpalast wurde zum Laboratorium. Hans Bentzien, Minister für Kultur der DDR, formulierte die Aufgabe auf der 2. Bitterfelder Konferenz so:
"Es galt, wie Genosse Walter Ulbricht auf dem 5. Parteitag ausführte, die Trennung von Kunst und Leben, von Künstler und Volk zu überwinden. Es ging um die Frage, auf welche Weise die sozialistische Kulturrevolution als eine allgemeine Gesetzmäßigkeit beim Aufbau des Sozialismus geführt werden muss. Es ging um den Weg zur sozialistischen Deutschen Nationalkultur."
Neoklassizistische Monumentalarchitektur und spannendes Phänomen
1993 wurde der Kulturpalast unter Denkmalschutz gestellt und gilt als "eindrucksvollstes und am besten erhaltenes Dokument neoklassizistischer Monumentalarchitektur aus der DDR-Zeit überhaupt". Ulrike Wendland, Landeskonservatorin von Sachsen-Anhalt, fieberte bis zum Ende ihrer Amtszeit im Mai 2020 mit, ob Bitterfeld ins Bundes-Förderprogramm aufgenommen werden würde. Die Zeit drängte, auch weil seit Jahren Wasser in die Keller eindringt, das schnellstmöglich gestoppt werden muss.
Aus Wendlands Sicht sind die DDR-Kulturhäuser und -paläste ein spannendes Phänomen: "Einerseits dienen sie ideologisch ja der Arbeiterkultur, andererseits kommen sie in sehr bürgerlichem Gewand daher; es gibt einen Portikus, Foyers, klassizistische, aber auch fast höfisch wirkende, auf den Barock verweisende Säle. Da gibt es also eine Diskrepanz zwischen dem sozialistischen, auf den Arbeiter bezogenen Anspruch und dem bürgerlichen Gewand, in das Kulturhäuser gekleidet wurden."
Ein spannendes Phänomen, das letztlich in einer kurzen Zeit, jener der DDR, erzeugt wurde. Wurden den Arbeitern und Bauern nun bürgerliche (Kultur-)Häuser geschenkt oder waren die Arbeiter auf einmal Teil der bürgerlichen Kultur? - Eine nicht zu lösende Frage, die sich bis heute in Bitterfeld manifestiert.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 20. Juli 2020 | 08:10 Uhr