Der vergessene Völkermord Die Vernichtung von Sinti und Roma im "Dritten Reich"
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26. Februar 2024, 05:00 Uhr
Sinti und Roma galten bei den Nazis als "minderwertig". Im Dezember 1938 erließ SS-Chef Heinrich Himmler einen Erlass zur "Bekämpfung der Zigeunerplage". Es folgte ihre Erfassung und Internierung. Die Grundlagen für die systematische Vernichtung von hunderttausenden "Zigeunern" waren damit gelegt: Am 26. Februar 1943 werden die ersten Sinti und Roma in das sogenannte "Zigeunerfamilienlager" nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Am 16. Mai 1944 brach dort ein Aufstand aus, anrückende SS-Männer wurden zunächst in die Flucht geschlagen.
Die Diskriminierung und Verfolgung der Sinti und Roma hatte bereits damals eine lange Tradition. Schon in der Weimarer Republik waren sie von den Behörden erfasst und entrechtet worden, waren strenger polizeilicher Überwachung und strengen Aufenthaltsbeschränkungen ausgesetzt. Am 26. Februar 1943 werden die ersten Sinti und Roma in das sogenannte "Zigeunerfamilienlager" nach Auschwitz-Birkenau deportiert.
Die Nazis knüpften daran an. 1933 verabschiedeten sie das Gesetz zur "Verhütung erbkranken Nachwuchses". Es ermöglichte Zwangssterilisierungen von sogenannten "Zigeunern". Die "Nürnberger Rassegesetze" schlossen 1935 Sinti und Roma genau wie die Juden aus der "Volksgemeinschaft" aus. 1938 wurde eine "Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" eingerichtet. Im Dezember des Jahres erließ SS-Chef Heinrich Himmler einen Erlass zur "Bekämpfung der Zigeunerplage".
Das "Zigeunerlager" von Magdeburg
Überall im Deutschen Reich wurden Sinti und Roma interniert – auch in Magdeburg. Dort pferchte man sie in einem Lager am Holzweg im Norden der Stadt zusammen. Bei einer Begehung durch die Stadtverwaltung im November 1939 wurden 26 Wohnwagen, acht Bretterbuden und zwei Autos als Unterkunft ermittelt. Die Menschen hausten unter primitiven Bedingungen. Mit Beginn des 2. Weltkrieges wurden die Regeln verschärft. Die SS übernahm die Kontrolle über das Lager. "Zigeuner" durften nun ihren Wohnort nicht mehr verlassen.
Die bekannteste Bewohnerin des Lagers war Erna Lauenburger. Sie war in den 1920er-Jahren in Berlin mit der Schriftstellerin Grete Weiskopf befreundet, die über diese Freundschaft den Jugendroman "Ede und Unku" schrieb, der 1931 im Malik-Verlag erschien und später in der DDR zur Schullektüre wurde. Lauenburger war Anfang der 1930er-Jahre nach Magdeburg gezogen.
Am 1. März 1943 wurden Erna Lauenburger und ihre beiden Töchter, wie auch alle anderen ca. 200 Sinti und Roma im Magdeburger Lager, festgenommen und zunächst ins Gefängnis in der Halberstädter Straße gebracht. Dort trafen im Verlauf des Tages weitere Sinti und Roma aus dem Verantwortungsbereich der Magdeburger Polizei ein, insbesondere aus Salzwedel und Quedlinburg. Am nächsten Tag schon ging ein Sammeltransport vom Magdeburger Güterbahnhof nach Auschwitz.
Der Völkermord an den Sinti und Roma
Am 16. Dezember 1942 ordnete Heinrich Himmler im Auschwitz-Erlass an, alle "Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen."
Für die Sinti und Roma war ein eigener Bereich im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau eingerichtet - das sogenannte "Zigeunerlager". Bis zu 800 Menschen wurden in einer Baracke zusammengepfercht. Von den rund 22.600 Häftlingen, die dort untergebracht waren, starben mehr als 19.000 - vor allem durch Mangelernährung, Krankheiten und Seuchen. Mehr als 5.600 Sinti und Roma wurden in den Gaskammern ermordet (davon knapp 3.000 bei der Auflösung des Lagers am 2. August 1944). Einige wurden auch vom berüchtigten Lagerarzt Josef Mengele für seine medizinischen Versuche missbraucht.
Aufstand im "Zigeunerlager" von Auschwitz
Im Mai 1944 beschloss die SS, das "Zigeunerlager" mit etwa 6.000 Menschen zu liquidieren. Die Vernichtung der ungarischen Juden war angelaufen, man benötigte Platz. Am Abend des 16. Mai ordnete die KZ-Leitung eine Blocksperre an. Die Insassen waren jedoch vorgewarnt und vorbereitet. Viele Häftlinge, oft ehemalige Wehrmachtssoldaten, hatten sich mit Stöcken sowie mit Schaufeln und Messern, die sie aus Blech geschliffen hatten, bewaffnet und schlugen die SS-Männer zunächst in die Flucht.
Daraufhin änderte die KZ-Kommandantur ihre Strategie. Man schickte die Arbeitsfähigen nach und nach in andere Lager. Die in Auschwitz-Birkenau verbliebenen Sinti und Roma, überwiegend Schwache, Alte, Frauen und Kinder, wurden am 2. August 1944 vergast. Augenzeugen berichteten, dass die Menschen sich bis zum Schluss verzweifelt wehrten und SS-Leute mit bloßen Händen angriffen.
Es wird geschätzt, dass in Europa zwischen 220.000 und 500.000 Sinti und Roma dem Nazi-Terror zum Opfer fielen. Von den rund 40.000 deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurden mehr als 25.000 ermordet.
Diskriminierung auch nach dem Krieg
Die Aufarbeitung des Völkermordes ließ lange auf sich warten. Entschädigungsanträge von Sinti und Roma lehnten die bundesdeutschen Behörden in der Regel mit dem Argument ab, es habe sich nicht um rassistische Verfolgung gehandelt. Bis 1963 war ein Urteil des Bundesgerichtshofs in Kraft, welches die Deportation der Sinti und Roma nicht als Verbrechen, sondern als eine "präventive Verbrechensbekämpfung" interpretierte. Auch in der DDR setzte sich die Ausgrenzung, trotz formaler Gleichstellung, teilweise fort: Die Volkspolizei führte die von den Nazis angelegten "Zigeunerpersonalakten" weiter.
Heute leben in Deutschland etwa 70.000 Sinti und Roma. 1995 wurden sie als nationale Minderheit anerkannt. Seit 2012 erinnert das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in der Nähe des Berliner Reichstags an den Völkermord.
Der Artikel wurde erstmalig im Januar 2022 veröffentlicht.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGENJOURNAL | 02. August 2022 | 19:00 Uhr