5teilige Web-Serie Jenny und die Roma-Kinder: Veränderung ist machbar!
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23. April 2024, 09:00 Uhr
2007 entdeckt Jenny Rasche während einer Rumänienreise eine Roma-Siedlung. Noch nie hat die junge Frau aus Stapelburg im Harz solche Armut gesehen. Vor allem die Kinder leiden, sie sind unterernährt, ohne Wasser, ohne Strom, ohne Bildung. Die damals 23-Jährige ist schockiert – und handelt. Was sie vor Ort alles in Bewegung setzt und wie sich das Leben der mehrfachen Mutter seitdem wandelt, zeigt eine zweiteilige Dokumentation und eine fünfteilige Web-Serie in der ARD-Mediathek.
Als Jenny Rasche 2007 einen deutschen Hilfstransport auf den Balkan begleitet, kommt es in Sibiu (Hermannstadt) in Rumänien zu einer denkwürdigen Begegnung, die ihr Leben komplett auf den Kopf stellt. Bei winterlichen Temperaturen entdeckt sie an einer Straßenkreuzung eine Bettlerin mit einem fast nackten Baby im Arm.
Sie entschließt sich, Mutter und Kind nach Hause zu bringen. Doch dieses zu Hause, nahe dem Dorf Sura Mare entpuppt sich als ein Slum. Mitten in Europa. 37 Roma-Familien vegetieren hier in Ruinen, Blechhütten und Erdlöchern. Es gibt weder Strom noch fließend Wasser, dafür Müll, Gestank und Hoffnungslosigkeit. So viel Armut hat Jenny noch nie zuvor gesehen. Die Begegnung ist für die damals 23-Jährige ein Schock.
Von dem Moment an wusste ich, dass wir nie wieder ein normales Leben führen würden, weil es einfach nicht mehr gehen würde.
Helfen in in Sura Mare
Jenny will helfen. Zurück im heimatlichen Stapelburg (Sachsen-Anhalt) gründet sie eine Hilfsorganisation, sammelt Geld und Sachspenden. Ihre Eltern und ihre Schwester unterstützen sie dabei. In Wernigerode, Halberstadt und den umliegenden Harz-Dörfern richten sie Sammelstellen für warme Kleidung, Decken, Medikamente und Lebensmittel ein.
2007 zieht sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern nach Rumänien. Sie will die Hilfsgüter vor Ort selbst verteilen. Jenny konzentriert sich vor allem auf die Kinder – und gründet eine Schule. Der Deal mit den Eltern heißt: Wenn die Kinder nicht betteln gehen, sondern zur Schule kommen, gibt es Essen. Für die gesamte Familie. "Ein Deal im Brecht’schen Sinne: Erst das Fressen, dann die Moral."
Doch Moral ist hier etwas Anderes, als im wohlhabenden Westeuropa. Die Menschen hungern und tun oft fragwürdige Dinge, nur um zu überleben: "Nie vergessen werde ich zum Beispiel den Fall von Flavia. Er treibt mir heute noch tausend Tränen in die Augen", meint Jenny Rasche.
Flavia, ein vierjähriges Mädchen, verbrennt in ihrer Hütte – alleingelassen von ihrer Mutter, die tagelang auf Betteltour ist.
Aufbau eines Tageszentrums und einer Schule für die Roma Kinder
Jenny macht diesen Fall öffentlich. Viele Menschen sind erschüttert und spenden. Mit diesen Geldern will Jenny vor Ort ein Tageszentrum für vernachlässigte Roma-Kinder aufbauen. "Für Flavia kann ich nicht mehr kämpfen, ich kann aber für Kinder wie Flavia kämpfen." 2011 wird das Zentrum eröffnet. Jenny gelingt es, fast alle Kinder der Roma-Siedlung in eine Ganztagsschule und somit in einen geregelten Alltag zu integrieren.
Einige Kinder begleitet Jenny von Anfang an, zum Beispiel Daniel und Milut. Seit der ersten Klasse sind die beiden in Jennys Schulprogramm. Zuerst sind sie nur Banknachbarn, später werden sie beste Freunde. Das ist bis heute so geblieben.
Beide Jugendliche leben ohne Eltern, schlagen sich alleine durch. Dani muss auch seine zwei kleinen Schwestern versorgen. Jenny gibt ihnen Essen, schickt sie zur Schule, hilft im Alltag.
Ich habe mein ganzes Leben auf die Kinder hier ausgerichtet, sie sind mir genauso wichtig wie meine leiblichen Kinder.
Bildung als Schlüssel für ein besseres Leben
2015 schaffen die ersten Roma-Kinder ihren Schulabschluss. Sie können nicht nur schreiben und rechnen, sie begreifen auch, dass sie ihr Leben selbst organisieren müssen. Die großen Kinder und Jugendlichen zeigen ihren Eltern, wie ein strukturiertes Leben funktionieren kann. Sie säubern die Siedlung, sie bauen eine Kanalisation und feste Häuser mit Strom. Keiner denkt hier mehr an Bettelflucht in den "reichen Westen".
Das klingt rückblickend so leicht, das war es aber nicht. Es gab und gibt Rückschläge!
Aufgeben kommt für Jenny jedoch nicht in Frage. Um professioneller zu werden, holt sie - neben der Arbeit - das rumänische Abitur nach und studiert in Sibiu Theologie und Soziale Arbeit.
Zu wenig Zeit für die Familie
Oft ist Jenny nur noch zum Schlafen zu Hause. Philipp, ihr Mann, kümmert sich um die eigenen Kinder und den Haushalt. Ein Punkt, an dem Jenny nachdenklich wird: "Muttersein, das kann man nicht nachholen. Ich habe da einiges versäumt. Mein ältester Sohn zum Beispiel ist jetzt 18 und lebt wieder bei den Großeltern in Deutschland. Es war zu viel für ihn. Es ist schwer für mich, aber ich kann die Kinder da draußen auch nicht im Stich lassen.“
Durch ihre Arbeit rettet Jenny Leben. Manchmal jedoch auf Kosten ihrer eigenen Familie.
Die fünfteilige Web-Serie zeigt zehn bewegte Jahre aus dem Leben von Jenny Rasche. Eine Frau, die im Dezember 2021 für ihr Engagement - neben Angela Merkel und Greta Thunberg - mit dem European Women Award geehrt wird. Eine Frau, die uns zeigt, dass Veränderung möglich ist.
Die Folgen:
Folge 1: Slums – mitten in Europa
Während einer Rumänienreise im Winter 2007 findet Jenny Rasche eine Frau mit Baby an einer Straßenecke.
Sie bringt die beiden nach Hause – in einen Roma-Slum bei Sibiu. Die Menschen hausen teilweise in Erdlöchern. Jenny ist geschockt. Sie beschließt, zu helfen, organisiert Spendensammlungen und den Transport von Hilfsgütern für die Roma-Kinder und wandert schließlich mit ihrer Familie nach Sibiu aus. Sie eröffnet in Sura Mare für die Roma-Kinder eine Klasse für Analphabeten mit einer täglichen warmen Mahlzeit. Sie ist immer zur Stelle, wenn sie gebraucht wird…
Folge 2: Es brennt an allen Ecken
Jenny versorgt die Roma-Kinder nicht nur mit Essen und warmer Kleidung. Sie kümmert sich auch um erkrankte Kleinkinder und beschafft für sie notwendige Medikamente. Als sie glaubt, die schlimmste Not sei überstanden, findet sie nahe einer Müllhalde eine weitere Roma-Siedlung. Hier leben vor allem Kriminelle und viele Kinder. Jenny entdeckt während ihrer ersten Hilfsaktion in Kaskada fünf Kinder, die bei minus 20 Grad in einer ungeheizten Hütte hocken. Der Vater ist im Gefängnis, die Mütter psychisch krank. Jenny kümmert sich fortan um die fünf Geschwister. Sie erholen sich langsam – nur die vierjährige Flavia nicht. Sie ist extrem traumatisiert. Dann bricht ein Feuer in Kaskada aus…
Folge 3: Zwei Kinder sterben
Die vierjährige Flavia überlebt die Brand-Katastrophe in Kaskada nicht. Jenny und Philipp richten Flavias Beerdigung aus. Mittlerweile kümmert sich Jenny um mehr als 50 Roma-Kinder. Für die eigenen sieben Kinder bleibt kaum Zeit, doch ihr Mann Philipp entlastet sie. Jenny beschließt, zusätzlich ein Tageszentrum für die Kinder aus Sura Mare und Kaskada zu eröffnen. Im größten Stress wird Jenny schwanger. Mit Zwillingen! Doch die ärztliche Untersuchung ergibt: Ein Kind wird mit einem Gendefekt zur Welt kommen. Jenny beschließt, in Deutschland zu entbinden. Im Juni 2013 werden Jadon und Lillith geboren. Jadon ist gesund, doch Lillith stirbt...
Folge 4: Hier ist ihre Heimat
Jennys Vater hofft, dass seine Tochter in Deutschland bleibt, um sich von diesem Schicksalsschlag zu erholen. Doch Jenny kehrt schnell nach Sibiu zurück: Eine Fahrt ans Meer für ihre Roma-Kinder soll nicht ausfallen. Diese Reise verändert alles. Die Kinder begreifen, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Sie beginnen, ihre Siedlung zu säubern und in Ordnung zu bringen. Alle Kinder gehen inzwischen zur Schule. Ein Junge hat es sogar auf ein Elitegymnasium für Kunst in Sibiu geschafft. Auch die Behörden arbeiten zunehmend mit Jenny zusammen. Für besondere Härtefälle eröffnet Jenny ein Kinderhaus. Hier wohnen Kleinkinder, deren Leben zu Hause in akuter Gefahr wäre…
Folge 5: Wie Phönix aus der Asche
Eine neue Generation wächst heran. Alle Roma-Kinder gehen regelmäßig zur Schule. Manche sogar auf ein Gymnasium. In den Siedlungen herrscht Aufbruchsstimmung: Hier gibt es inzwischen neue Häuser, befestigte Wege, Strom, eine Kanalisation und Wasserleitungen. Die Kinder lehren ihre Eltern das Lesen und Schreiben. Hilfe zur Selbsthilfe. Jennys Konzept geht auf. Aus Dank erhält sie von den Roma-Familien ein Geschenk, das sie zu Herzen rührt…
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 07. April 2023 | 06:10 Uhr