Mischung aus Angst und Faszination "Mutprobe": So denkt die "Generation Z" über die NS-Zeit
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27. Januar 2022, 20:35 Uhr
Die "Hitlerjugend" oder der "Bund Deutscher Mädel" – das waren die Organisationen, in denen die deutsche Jugend Mitglied sein sollte. Damals, vor mehr als 80 Jahren. Freies Denken war unerwünscht, die Nationalsozialisten gaben vor, wovon man überzeugt sein sollte. Der damit verbundene Führerkult, die Pflichten, der unbedingte Gehorsam und das völkische Denken sind für Jugendliche heute ein Schreckensbild, das fasziniert und gleichzeitig als Extrem gesehen wird. Das ergab eine repräsentative Studie der Arolsen Archives zusammen mit dem Rheingold-Institut.
Was sind die Arolsen Archives?
Das Arolsen Archives ist das weltweit größte Archiv über Opfer und Überlebende des Nationalsozialismus. Die Sammlung zu rund 17,5 Millionen Menschen gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe und beinhaltet Dokumente zu verschiedenen Opfergruppen des NS-Regimes, zur Zwangsarbeit sowie zu Kriegsgefangenschaft und Migration nach 1945.
Interesse der Generation Z größer als gedacht
Als wichtigstes Ergebnis der Studie sehen die Initiatoren, dass 75 Prozent der Generation Z – also die 16- bis 25-Jährigen – Interesse an der NS-Zeit haben. Und damit liegt es sogar höher als das der Elterngeneration, den heute 40- bis 60-Jährigen. Von denen gaben 66 Prozent an, sich für die Thematik zu interessieren. Junge Leute empfinden die Zeit der NS-Herrschaft als extrem, die Verbrechen als monströs und in ihrer Dimension unvorstellbar. Wegen dieser Mischung aus Angst und Faszination sehen sie es als eine Art Mutprobe an, sich damit zu beschäftigten. Mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent) findet es wichtig, sich außerdem auch mit der Täterperspektive zu beschäftigten und sich zu fragen: "Wie hätte ich mich verhalten?"
Parallelen zu heutigem Rassismus
Die Jugendlichen verbinden die Ausgrenzungen zu NS-Zeiten auch mit heutigen gesellschaftlichen Problemen wie Rassismus und Diskriminierung. "Ich gucke jeden Tag Videos auf TikTok, in denen beispielsweise Afroamerikaner von ihren Erfahrungen mit Rassismus erzählen. Das löst in mir den Wunsch aus, mehr zu erfahren und zu verstehen, wie es dazu kommen kann, dass einer einzelnen Person so was Schlimmes widerfahren kann", so einer der Befragten der Studie. Die Befragten, die selbst einen Migrationshintergrund haben, berichten, dass sie von zunehmender Ausgrenzung betroffen sind. Sie fürchten sich vor der Wiederkehr einer rassistischen Ideologie wie zu NS-Zeiten. Die Verbindung der NS-Zeit mit dem heutigen Leben der "GenZ" ist ein wichtiger Grund für die Auseinandersetzung damit. Doch ist die Vermittlung der Inhalte im Unterricht zeitgemäß?
Schule setzt zu sehr auf Fakten
Bei der Behandelung des Themas im Unterricht beklagen viele Befragte die reine Fakten-Vermittlung. Es fehlt die Brücke zum eigenen Alltag, sie erleben die Inhalte abstrakt, überkomplex und langweilig. Schwierig sehen es auch einige Befragte, wenn festgelegte Meinungen und eine verordnete Moral den Eindruck eines abgeschlossenen Diskurses vermitteln, der nicht mehr hinterfragt werden kann. 44 Prozent wünschen sich ein Umfeld, in dem sie frei über das Thema diskutieren können und in dem es möglich ist, ihre eigenen Lehren zu ziehen. Dabei geht es 54 Prozent der Jugendlichen auch um einen Wechsel der Perspektive: Sie wollen sich sowohl in die Opfer als auch in die Täter hineinversetzen:
Ich will auch die Beweggründe der ganzen SS-Offiziere, KZ-Leiter oder der Menschen, die ihre jüdischen Nachbarn verraten haben, sehen. Wenn die Gründe transparent sind, würde ich bestimmt feststellen, dass auch mir so was passieren kann.
Die Jugendlichen fragen sich, wie es überhaupt zu den NS-Verbrechen kommen konnte. Sie beschäftigen sich mit Fragen wie: "Wie wird man böse? Könnte man selbst auch zu so grausamen Taten fähig sein?".
Offen bekennt niemand Sympathie mit der NS-Zeit
Der Großteil der Befragten distanziert sich entschieden von der Zeit des Nationalsozialismus. Es gibt jedoch auch Anzeichen, dass einige der Befragten mit rechtem Gedankengut sympathisieren und in völkischem Denken, Führerkult und Ausgrenzung Antworten sehen. In der Studie hat sich aber keiner offen dazu bekannt. Dieser kleine Teil der "GenZ" assoziiert die NS-Zeit mit klaren, eindeutigen Festlegungen, berauschender Dominanz und Machtentfaltung. Diese Jugendlichen sehnen sich nach klaren Antworten und fühlen sich von komplexen Entscheidungen überfordert.
Was hat das mit Fake-News zu tun?
Die Generation Z erkennt eindeutig einen Zusammenhang von Fake-News mit der Propaganda der NS-Zeit. Sie hinterfragt Medien und Informationen teilweise sehr kritisch. Mit aktuellen Problemen setzt sich die "GenZ" intensiv und sensibel auseinander.
Die Anfänge des Nationalsozialismus zeigen, wie sich Veränderungen einschleichen können und wie gefährlich Manipulationen sind.
Damit die Jugendlichen für die Geschehnisse in der NS-Diktatur sensibilisiert werden, sollten sie Einblicke in konkrete Lebenswirklichkeiten bekommen. Damit kann man – so die Einschätzung der Studienmacher – junge Menschen unterstützen und einen Zugang zu Thema schaffen.
Über die Studie
In einer quantitativen Erhebung wurden insgesamt 1.058 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 25 Jahren befragt. Außerdem wurden 100 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 25 Jahren und Erwachsene zwischen 40 bis 60 Jahren (Vergleichsgruppe), tiefenpsychologisch befragt. Die Studie ist repräsentativ für Alter, Geschlecht und Region in den jeweiligen Altersklassen.