Aussichtsloser Kampf Widerstand in Auschwitz: KZ-Häftlinge im Sonderkommando wagen den Aufstand

06. Oktober 2022, 13:38 Uhr

Schon seit 1943 regt sich in einer Gruppe von KZ-Häftlingen in Auschwitz Widerstand. Es ist die am strengsten bewachte Gruppe: Sie sind diejenigen, die an den Öfen arbeiten und unter SS-Aufsicht Tausende von Leichen verbrennen. Im Oktober 1944 gehen die Häftlinge mit Fäusten, Messern Eisenstangen auf SS-Männer los. Mit verheerenden Folgen.

"Die Leute küssten sich einfach vor Freude, dass sie den Augenblick erleben sollten, bewusst und ohne Zwang, diesem allem ein Ende machen zu können. Obgleich niemand sich der Täuschung hingab, dass man sich auf diese Weise retten könnte - im Gegenteil, alle waren sich darüber vollkommen klar, dass dies ihren sicheren Tod bedeutete - waren doch alle zufrieden."

Als man diese jiddisch verfassten Zeilen 1962 in einem sorgsam versteckten Kassiber im Hof eines Krematoriums von Auschwitz-Birkenau fand, war der Verfasser - der polnische Jude Salmen Lewenthal - bereits 18 Jahre tot. Zum Zeitpunkt der Niederschrift war er einer der Köpfe jener Widerstandsgruppe von Krematoriumshäftlingen - des sogenannten Sonderkommandos - die 1944 den einzigen organisierten Aufstand im Lager wagte. Was hat ausgerechnet diese unter extremer Aufsicht stehende und vom gesamten restlichen Lager separierte Gruppe von Häftlingen dazu gebracht, Aufstand zu proben? Zu einem Zeitpunkt als die Rote Armee nur noch 200 Kilometer entfernt stand?

Fortschritt beim Massenmord: Knowhow aus Erfurt

Rückblende: 5. März 1943. Im Lager Auschwitz-Birkenau beginnt eine neue Ära der technologischen Massenvernichtung, der in den nächsten anderthalb Jahren über eine Millionen Juden aus ganz Europa zum Opfer fallen. Kernstück dieser in Auschwitz perfektionierten Maschinerie des Todes sind fünf neu erbaute Krematorien, die im Frühjahr 1943 in Betrieb genommen werden. Für den 5. März steht die erste Prüfabnahme im Krematorium II an. Im Beisein mehrerer, direkt aus Berlin angereister Höherer SS-Offiziere und gemeinsam mit dem Hersteller, der Erfurter Firma "Topf & Söhne", will man die neuen Krematoriums-Öfen, eine für die SS-Bedürfnisse angepasste Hochleistungs-Verbrennungsanlage, begutachten.  

Zu diesem Zweck hat die SS bereits im Februar Vorkehrungen getroffen und 22 junge, männliche jüdische Häftlinge selektiert, die in einem "einmonatigen Praktikum" im Krematorium I des Stammlagers für ihre neue Tätigkeit im sogenannten Sonderkommando geschult werden. Bis zu 4.800 menschliche Körper konnten laut Berechnungen der Lagerleitung jeden Tag nahezu spurlos beiseite geschafft werden. Die Erkenntnis der Häftlinge des Sonderkommandos, sich von nun an an diesem beispiellosen Vernichtungswerk zu beteiligen und an den Öfen und den darunter liegenden Gaskammern Dienst zu tun ein gewaltiger Schock:

Die Arbeit und der Einsatz in den Sonderkommandos - das waren insgesamt ungefähr 2000 Männer, davon die meisten jüdisch - war extrem zerstörerisch. Sie war körperlich sehr anstrengend. Aber vor allem war sie psychisch zerstörerisch. Denn diese Häftlinge mussten ihre Mitmenschen, zum Teil ihre eigenen Familien in den Tod geleiten und anschließend ihre Leichen verbrennen. Und sie waren dabei selbst permanent von der Ermordung bedroht.

Annegret Schüle stell. Direktorin Geschichtsmuseen Erfurt und Buch-Autorin von "Die Ofenbauer von Auschwitz"

Widerstand im Sonderkommando

Die Männer des Sonderkommandos wurden vom Rest des Lagers durch die SS streng separiert. Denn nur ihnen war das ganze Ausmaß der Vernichtungsmaschinerie bekannt. Und wie die Technik des Massenmordes, von Moment der Entkleidung bis zur Beseitigung der letzten Spuren des Mordes, im Detail funktionierte. Dieses erzwungene Wissen ist gleichermaßen ihr unausgesprochenes Todesurteil. Denn den Sonderkommando-Häftlingen war klar, dass die SS keine Zeugen dieses "nie dagewesenen Menschheitsverbrechens" überleben lassen würde.  

Es gab eine kleine Gruppe in diesem Kommando, die schon vorher Erfahrungen mit politischer Arbeit gesammelt hatten und die ihren Kampfgeist und Willen zum Widerstand bewahrt haben, obwohl sie wussten, dass es ihre kaum vorhandenen Überlebenschancen weiter mindern wird. Wir wissen von einigen wenigen aus dieser Widerstandsgruppe – nicht zuletzt durch diese später entdeckten Kassiber.

Annegret Schüle stell. Direktorin Geschichtsmuseen Erfurt und Buch-Autorin von "Die Ofenbauer von Auschwitz"

Was tun in dieser ausweglosen Situation? Trotz der unmittelbaren Bedrohung, trotz unvorhersehbar angesetzter Selektionen und Ermordungen eines Teils dieser Sonderkommando-Häftlinge bildet sich bereits im Laufe des Jahres 1943 die erste kleine Widerstandszelle. Getragen und angeleitet von Häftlingen, die wie Josef Warszawski und Jankiel Handelsmann als jüdische Kommunisten bereits Untergrund-Kampferfahrungen in der Résistance mitbrachten.

NS-Verbrechen

Auschwitzgefangene vorm Häftlingskrankenhaus mit Video
Als der Marsch am 18. Januar los geht, liegen viele Gefangene im Krankenbau. Der Großteil ist zu schwach um das Lager zu verlassen und bleibt zurück. Hier sind sie kurz nach der Befreiung mit Rotarmisten zu sehen. Bildrechte: Sarah Leyk