Nachgefragt Wie real ist unsere Welt?
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17. Dezember 2021, 12:30 Uhr
Träumen wir unseren Alltag oder ist der wirklich real? Was liefert uns das Gehirn eigentlich für eine Wirklichkeit? Erleben wir die eigentlich alle gleich? Oder träumen wir alle vor uns hin?
Wie real ist die Welt? Oder wie realistisch ist das Bild, das wir von dem haben, was da draußen um uns herum ist? Im laufenden Betrieb kommt einem die Frage überhaupt nicht in den Sinn, wenn ich mich beispielsweise mit einer Magen-Darm-Grippe herumquäle. Auch der Laternenpfahl, der im Weg steht, ist sehr real und lässt sich nur schwer wegdiskutieren. Also: Diese Frage scheint eher was für Leute zu sein, die Zeit haben, auf Dingen herumzudenken, oder sich mal kurz so aus Spaß vor dem Traualtar wundern: "Schatz kneif mich mal. Ich habe Angst, ich träume."
Philosoph Professor Thomas Metzinger denkt zwar nicht, dass wir unser Leben nur träumen. Aber das, was wir um uns herum wahrnehmen, ist definitiv nicht so, wie wir uns das denken und vorstellen, sagt er voller Überzeugung im Gespräch mit MDR WISSEN: "Wenn man die allerneuesten Theorien anschaut, dann ist das, was wir jetzt erleben, die Farben, die Formen, die Gerüche, die Bauchgefühle, eine kontrollierte Halluzination." Das alles also eine kontrollierte Halluzination, eine kontrollierte Sinnestäuschung?
Auch Schmerzwahrnehmung variiert
Offenbar ist da was dran, denn Thomas Metzinger ist mit dieser These nicht allein. Denn objektiv, unbestechlich ist unsere Wahrnehmung nicht. Da braucht man keine großen Theorien, da reicht unsere Alltagserfahrung, sagt Hirnforscherin Professorin Maren Urner: "Selbst ich selber, als eine Person, bin in meiner Wahrnehmung nicht konsistent. Wenn zum Beispiel meine Schmerzwahrnehmung am Morgen, am Mittag oder am Abend getestet wird, ist die unterschiedlich. Wenn meine Wärmeeinschätzung überprüft wird, wenn es draußen gerade schneit und friert oder an einem heißen Sommertag, dann unterscheidet sich das. Und genauso meine Einschätzung darüber, was in der Welt wahr oder falsch ist. Also sind mehr Menschen davon überzeugt, dass der Klimawandel menschgemacht ist, wenn draußen Hitze ist, als wenn es draußen kalt ist."
Kleinste Veränderungen ändern die Wahrnehmung
Wir lassen uns also schon durch kleinste Veränderungen täuschen, im Fühlen und auch im Denken. Wenn wir genauer hinschauen, ist es einfach glitzerklar, dass wir die Welt gar nicht so sehen können, wie sie wirklich ist. Schon der Ort, an dem unser Hirn platziert ist, dort wo unser Bild von der Welt entsteht, lässt keine andere Möglichkeit zu.
Denn dieses Hirn befindet sich nicht in der vordersten Reihe zur Wirklichkeit. Mutter Natur hat es an einen geschützten, einsamen und dunklen Ort unter der Schädeldecke verfrachtet, einzig verbunden mit der Außenwelt durch kleine Drähte: den Nervenbahnen. Das heißt: Das alles, was da drin entsteht, ist nicht die Realität. Es ist ausgedacht, eine Idee von der Welt, ein Modell, erklärt Metzinger: "Das, was wir bewusst erleben, ist nur ein Modell. Das lässt sich an folgendem Beispiel gut verdeutlichen: Egal, wo Sie sind, es ist hell, das Licht ist jetzt an. Da, wo dieses Modell der Situation in ihrem Gehirn entsteht, ist aber garantiert kein Licht.
Das heißt, die Helligkeit, die Sie jetzt erleben, ist wirklich etwas Inneres." Das heißt: Vielleicht sind 'hell' und 'dunkel' nur eine Vorstellung, eine Idee unseres Gehirns, ausgelöst durch bestimmte Wellenlängen, die unsere Augen wahrnehmen können. Denn niemals hat auch nur ein Lichtstrahl unser Hirn erreicht, niemals hat echter Bratenduft eine Hirnzelle im Entferntesten auch nur gestreift, niemals hat sich eine Hirnzelle selbst an einem Streichholz verbrannt und das Gehirn hat niemals selbst in einen Apfel gebissen oder einen Hund gesehen.
Wo sich das Hirn ein Bild der äußeren Reize baut
Äußere Reize müssen in die Sprache unseres Gehirns in elektrische Impulse übersetzt werden. Aus denen bastelt sich das Hirn, viel besser, wäre: bastelt sich jedes Hirn sein Bild, sein Modell von der Welt. Niemals sind elektrische Impulse in der Lage, die Wirklichkeit 1:1 an unser Gehirn durchzureichen. Da passt der Spruch: Schwund gibt' s immer. Aber wenn 's nur das wäre. Den größten Teil der Welt, der Realität bekommen wir gar nicht mit, sagt Thomas Metzinger: "Die allermeisten Dinge nehmen wir gar nicht wahr. Radiowellen, W-LAN, die kosmische Strahlung, die dauernd in Schauern durch unseren Körper rast. All das nehmen wir überhaupt nicht wahr. Wir nehmen das wahr, was unsere Vorfahren wahrnehmen mussten. Das ist bei anderen Tieren ganz anders."
Was das Gehirn alles aus simplen Impulsen hervorzaubert
Aber damit noch nicht genug. Mit dem bisschen Information, das auch noch unvollständig in uns hineinkommt, passiert noch etwas anderes, etwas ganz Entscheidendes, sagt Psychologe Ole Nummssen: "Unsere Sinne funktionieren übersinnlich. Weil wir aus diesem Input viel mehr generieren als eigentlich physikalisch da ist. Wenn ich in meine Küche schaue und die verschiedenen Schattenwürfe, die räumlichen Distanzen erfasse, ist das erstmal ein Gefühl, das nicht auf Wellenlängen basiert, sondern ist eine Interpretation. Die interessante Frage für mich ist, wie kann der Geist aus diesen physikalischen Inputs so viel Informationen aufladen, die gar nicht in dem physikalischen Input messbar sind."
Was wir aus den Reizen machen, hängt also vom Hirn, sozusagen vom Endgerät ab. Wie es funktioniert, wie groß und wie vernetzt es ist. Es ist ein bisschen so, als ob man elektrische Impulse in ein Radio, einen Fernseher oder ein Bügeleisen gibt. Das was reinkommt, ist vergleichbar, aber jedes Gerät macht was anderes daraus: das Radio Töne, der Fernseher Bilder und das Bügeleisen Wärme. Und alle denken, na logisch, genauso muss es laufen. Das haben mir die elektrischen Impulse doch mitgeteilt.
Sinn und Zwecks des Gehirns ist gleich: Organismus am Leben erhalten
Die Unterschiede, wie wir die Welt wahrnehmen, sind zwischen uns Menschen relativ klein, obwohl bei uns auch schon unterschiedliche Programme auf der Festplatte laufen. Aber die Welt, die in den Köpfen von Fledermäusen oder Walen entsteht, hat wahrscheinlich mit unserer nur wenig zu tun. Welche Welt der Wirklichkeit näher kommt, ist dabei völlig schnurz. Wichtig ist nur Folgendes, sagen Thomas Metzinger und Maren Urner: "Also erstmal ist es Sinn und Zweck so eines Gehirns im Organismus, den Organismus möglichst lange am Leben zu erhalten. Punkt!" - "Unser Bewusstsein und unser Wahrnehmungsmodell der Welt ist entstanden, um möglichst viele Kinder zu haben, unseren Fortpflanzungserfolg zu erhöhen."
Das Bild von der Welt muss nicht objektiv sein
Das Bild, das wir von der Welt haben, muss also nicht objektiv sein, muss die Welt nicht 1:1 widergeben. Wichtig ist, dass es uns handlungsfähig macht, dass unser Hirn aus den Informationen, die wir bekommen zuverlässige Vorhersagen treffen kann. Dabei gibt es Dinge, die der Realität möglichst nahe kommen müssen, um zu überleben. Forscher Metzinger sagt: "Ich glaube, alles, was mit unserem Körper zu tun hat: Wie schwer bin ich? Wenn ich mich von diesem Ast zum nächsten schwinge, schaffe ich das oder bricht der ab? Diese Sachen sind sehr physikalisch realistisch. Die Affen, die das nicht richtig konnten, waren auch nicht unsere Vorfahren." Es gibt Dinge, Verhaltensweisen, die uns beim Überleben geholfen haben, die vielleicht gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten. "Also ich hab' zum Beispiel immer die Wahrnehmung, 'Och, ein bisschen könntest du noch essen.' Das ist in der Evolution sehr erfolgreich gewesen, weil es in der Welt unserer Vorfahren wenig zu essen gab und man hat nie gewusst, wann man das nächste Mal was kriegt. Gierig zu sein hatte eine Funktion."
Das Gehirn zeichnet nur ein ungefähres Modell der Wirklichkeit
Auch hier liegen Welten zwischen Gefühl und Wirklichkeit, wer kennt das nicht? Trotzdem können wir es nicht so richtig glauben, dass das da draußen, das Licht, die Farben, die Gerüche und der Geschmack vielleicht nur als Wellenlängen und als Moleküle existieren und dass die Vorstellungen, die Bilder, die unser Hirn daraus zusammensetzt, nur ein ungefähres Modell der Wirklichkeit sind. Für uns macht das nämlich keinen Unterschied, sagt Thomas Metzinger: "Der Trick bei der Sache besteht darin, dass wir das nicht als Modell erleben. Ich hab', wenn ich die Augen aufmache, einfach das Gefühl, es ist da. Der Apfel auf dem Tisch, der ist nicht konstruiert aus meinem Gehirn, der ist einfach da."
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