Covid-19 Virologen: Für den Sommerurlaub 2021 besser keine Fernreise planen

01. April 2021, 17:00 Uhr

Neun deutsche Virologen sind verhalten optimistisch: Impfungen werden Sterbezahlen und schwere Verläufe drastisch senken – trotz Mutanten. Ob aber schon im Sommer alles gelockert werden kann, erscheint ihnen fraglich.

Die vielleicht beste Nachricht zuerst: In England geht die Zahl derjenigen, die an oder mit dem neuen Sars-Coronavirus-2 sterben, schon zurück. Dort hat bereits die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung eine erste Impfdosis erhalten. "Auch bei uns sind die ersten Impfeffekte sichtbar. Bei den über 80-Jährigen hat die Zahl der Neuinfektionen stark abgenommen", sagt Klaus Überla, Virologie-Professor am Universitätsklinikum Erlangen. Der Lichtblick in der Dauerkrise Corona, er ist also real und bereits spürbar. Da sind sich die neun deutschen Virologinnen und Virologen einig, die sich am Freitagabend zum Abschluss der jährlichen Fachtagung der Gesellschaft für Virologie den Fragen von Nutzerinnen und Nutzern von MDR WISSEN gestellt haben.

Besser für den Sommer noch keine Fernreisen planen

Doch wie lange noch müssen Theater und Konzerthallen geschlossen bleiben, wie lange noch gibt es Reisebeschränkungen und Maskenpflichten? Was die nahe Zukunft der Pandemie angeht, sind die Experten nur verhalten optimistisch. "Wir planen in diesem Sommer nur Ausflüge in das Umland von Berlin mit dem Fahrrad oder dem Auto", sagt Christian Drosten, Chefvirologe der Berliner Charité, als er nach seinen Urlaubsplänen gefragt wird. Dass Fernreisen im Sommer schon bedenkenlos möglich sind, glaubt keiner der Wissenschaftler auf dem Podium. Alles hängt davon ab, wie schnell die Impfungen vorankommen und da glauben einige Experten, dass es noch bis Herbst dauern könnte, bis genügend Immunität in der Bevölkerung aufgebaut wurde.

Besondere Vermehrungsfähigkeit macht Sars-CoV-2 so einmalig

Das Sars-Coronavirus-2 hat eine historisch einmalige Situation hervorgerufen, eine Pandemie, mit deren Auswirkungen kaum jemand gerechnet hätte. Was macht dieses Virus so gefährlich, was ist an ihm so anders, als an seinem Vorgänger Sars-CoV-1, das ja auch eine Epidemie verursachte, aber keine, die die Welt an den Rand des Stillstands brachte? Christian Drosten sagt, es ist die besondere Fähigkeit zur Replikation in den oberen Atemwegen. "Sars-1 musste erst die Lunge erreichen, wo es sehr viel Immungewebe gibt", erklärt er. Patienten fühlen sich dann sofort krank, weil ihr Immunsystem bereits angesprungen ist. In dieser Situation ist es für das Virus schwer, sich stark genug zu vermehren und den Weg nach draußen zu finden um dort neue Wirte zu infizieren. Das ist bei Sars-2 ganz anders. Jemand in der Straßenbahn fühlt sich vielleicht noch gesund, hat aber schon sehr viel Virus in seinem Rachen. Von dort kann das Virus leicht zum nächsten Rachen springen und dort auch sofort beginnen, zu replizieren." Die übrigen Experten sind sich allerding einig, dass Sars-CoV-2 in dieser Hinsicht sehr besonders ist, und kein Sars-3 oder 4 schon in den kommenden Jahren droht.

Diese Virologen diskutieren über Auswege aus der Pandemie

Prof. Dr. med. Thomas Schulz
Moderator: Professor Thomas Schulz, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Hannover
Thomas Schulz forscht in Hannover zu Infektionen bei immungeschwächten Patienten, die viralen Infektionen oft mit wenig Schutz ausgesetzt sind. Er arbeitet an der Entwicklung neuer antiviraler Wirkstoffe und vorbeugender und therapeutischer Impfungen. Weitere Schwerpunkte des Wissenschaftlers sind die Analyse von Biomarkern zur Infektionskontrolle und zur Risikoabschätzung, sowie die Entwicklung adoptiver Immuntherapien. Statt einer Impfung werden hierbei spezifische Abwehrzellen transferiert.
Bildrechte: MHH/ Nico Herzog
Prof. Dr. med. Thomas Schulz
Moderator: Professor Thomas Schulz, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Hannover
Thomas Schulz forscht in Hannover zu Infektionen bei immungeschwächten Patienten, die viralen Infektionen oft mit wenig Schutz ausgesetzt sind. Er arbeitet an der Entwicklung neuer antiviraler Wirkstoffe und vorbeugender und therapeutischer Impfungen. Weitere Schwerpunkte des Wissenschaftlers sind die Analyse von Biomarkern zur Infektionskontrolle und zur Risikoabschätzung, sowie die Entwicklung adoptiver Immuntherapien. Statt einer Impfung werden hierbei spezifische Abwehrzellen transferiert.
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Prof. Ralf Bartenschlager begutachtet Proben
Professor Ralf Bartenschlager, Leiter der Molekularen Virologie, Uniklinikum Heidelberg
Ralf Bartenschlager arbeitet auf dem Gebiet der molekularen Virologie der Flaviviridae. Er erforscht die Wirt-Pathogen-Interaktion mit einem besonderen Fokus auf die Immunantwort gegen das Pathogen, die Biologie des Replikationszyklus von Flaviviren, die Erforschung neuer antiviraler Wirkstoffe/-konzepte sowie die Pathogenese hepatotroper Viren, insbesondere der Assoziation der Hepatitis-Virus-Infektion mit dem Leberkarzinom.
Bildrechte: Universitätsklinikum Heidelberg
Prof. Dr. Sandra Ciesek
Professorin Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Uniklinikum Frankfurt
Sandra Cieseks Forschungsschwerpunkte sind neue Therapieformen für Hepatitis C und die Suche nach Medikamenten gegen COVID-19. Seit 2020 ist sie maßgeblich an der Forschung zum Coronavirus beteiligt. Mit ihrem Team gelang ihr im Februar 2020 der Nachweis, dass auch symptomfreie Personen Überträger des Virus sein können. Seit September 2020 ist sie abwechselnd mit Christian Drosten zu Gast im NDR-Podcast Coronavirus-Update und erklärt wissenschaftliche Kontexte zur Pandemie.
Bildrechte: imago images/rheinmainfoto
Prof. Dr. Christian Drosten beim Deutschen Radiopreis im September 2020: Er wurde für seinen Podcast "Coronavirus-Update" geehrt.
Professor Christian Drosten, Direktor des Intituts für Virologie am Charité-Uniklinikum Berlin
Christian Drosten gilt als einer der bekanntesten Experten in der Corona-Pandemie. Er ist Professor, Lehrstuhlinhaber und Institutsdirektor an der Charité in Berlin und zugleich Leiter des Fachbereichs Virologie von "Labor Berlin", dem größten Krankenhauslabor Europas. Bereits im Jahr 2003 erhielt er einen Preis der Werner-Otto-Stiftung zur Förderung des medizinischen Nachwuchses für die "Identifizierung des SARS-Coronavirus und Etablierung eines schnellen diagnostischen Testsystems". Während der Corona-Pandemie wurde Drosten ein gefragter Experte und wissenschaftlicher Berater der Bundes- sowie der Landesregierungen. Er erhielt im Jahr 2020 mehrere Auszeichnungen zu seiner Wissenschaftskommunikation und seiner Forschung.
Bildrechte: imago images / xim.gs
Porträtfoto des Virologen Professor Klaus Überla vom Universitätsklinikum Erlangen
Professor Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts am Uniklinikum Erlangen
Klaus Überla ist neben seiner Arbeit am Virologischen Institut Erster Prodekan der Medizinischen Fakultät der Erlanger Universität und Mitglied in der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut. In der STIKO wirkt er zudem in der Arbeitsgruppe zur Covid-19-Impfung mit. Er forscht in einem Verbundprojekt an der Gewinnung humaner neutralisierender Antikörper gegen SARS-CoV-2.
Bildrechte: F. Männel / Uniklinikum Erlangen
Prof. Isabella Eckerle
Professorin Isabella Eckerle, Leiterin des Zentrums für neuartige Viruserkrankungen an der Uniklinik Genf / Schweiz
Isabella Eckerle ist Virologin und forscht zu Zelllinien. In der Corona-Pandemie untersucht sie die unterschiedlichen Reaktionen von Erwachsenen und Kindern, insbesondere das Vorhandensein von Coronaviren in den oberen Atemwegen von Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen. Eckerle fand mit ihrer Forschung heraus, dass Kinder zwar leichter erkranken aber genauso infektiös wie Erwachsene sein können. Aktuell untersucht sie mit ihrem Team die Reaktion des Lungenepithels auf eine Corona-Infektion. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, diagnostische Richtlinien zu erstellen. Damit wäre für Ärzte und Pflegepersonal leichter möglich zu erkennen, ob die Patienten leicht oder schwer erkrankt sind.
Bildrechte: Isabella Eckerle
Prof. Dr. John Ziebuhr
Professor John Ziebuhr, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Gießen
John Ziebuhr forscht unter anderem am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung zu neu auftretenden Infektionskrankheiten. Dabei hat er sich auf die Identifizierung von unbekannten Pathogenen und das Ausbruchsmanagement sowie die Entwicklung von Impfstoffen und antiviralen Medikamenten spezialisiert. Mit seinem Team sowie mit Forschenden aus Marburg und Russland hat er mögliche neue Therapieansätze entdeckt. Offenbar kann ein spezielles Enzym dem Corona-Erreger zum Verhängnis werden.
Bildrechte: JLU / Rolf K. Wegst
Prof. Dr. med. Thomas Stamminger
Professor Thomas Stamminger, Ärztlicher Direktor Uniklinikum Ulm
Thomas Stamminger ist seit August 2020 Erster Vizepräsident der Gesellschaft für Virologie e.V. (GfV). In seiner Forschung beschäftigt sich Stamminger mit einem wichtigen humanpathogenen Virus, dem humanen Cytomegalovirus (HCMV). Dabei handelt es sich um ein weit verbreitetes Herpesvirus, das bei etwa 40 Prozent der mitteleuropäischen Bevölkerung Infektionen hervorruft.
Bildrechte: Universitätsklinikum Ulm
Ein Porträt von Prof. Dr. Ulf Dittmer
Professor Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie, Uniklinikum Essen
Ulf Dittmer forscht zur Immunabwehr von Viren sowie zu chronischen Virusinfektionen. Dabei geht es u.a. um die Suche nach Impfstoffen und Immuntherapien gegen humanpathogene Retroviren, wie HTLV und HIV.
Bildrechte: Universitätsklinikum Essen
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B.1.1.7 verschärft das Problem der Vermehrungsfähigkeit noch

Das Problem der Vermehrungsfähigkeit wird durch die neue Variante B.1.1.7 aber noch verschärft. Das mutierte Coronavirus, das zuerst in Großbritannien bemerkt wurde, vermehrt sich noch stärker. "Die Viruslast ist hier etwa um den Faktor 10 höher, als das bisher der Fall war. Das ist sehr ungewöhnlich, dass ein paar wenige Mutationen zu solche einer Veränderung führen", sagt Drosten. Ralf Bartenschlager, Virologe an der Universität Heidelberg, glaubt, dass die Veränderung am Spikeprotein dem Virus vor allem eine bessere Verbreitung im Gewebe ermöglicht. Dieser Effekt sei nur schwer in Zellkulturen zu beobachten, könne aber die höheren Virenmengen gut erklären.

Welche Konsequenzen hat das für die Schutzmaßnahmen gegen Corona? Die Masken können die Viren immer noch aufhalten, vorausgesetzt, sie werden richtig getragen. "Fehler machen sich jetzt aber viel stärker bemerkbar, wo Masken nicht oder zu spät aufgesetzt werden und so weiter", sagt Bartenschlager. "Die Konsequenz muss also sein, die Hygieneregeln jetzt noch viel strenger einzuhalten, als in der Vergangenheit."

Screenshot von einer Videokonferenz mit deutschen Virologen
Podiumsdiskusion virtuell. Fast zwei Stunden beantworteten die Virologen die Fragen der MDR WISSEN Nutzerinnen und Nutzer. Bildrechte: Conventus/MDR Wissen

Immun-Escape-Varianten haben nur Vorteile, wenn bereits viele immun sind

Und wie bedrohlich sind andere Varianten von Corona, die der Immunität von Genesenen und Geimpften offenbar teilweise ausweichen können, etwa die sogenannte P.1. Mutante aus Brasilien oder B.1.351 aus Südafrika? Hier sind die Virologen optimistischer. Zunächst scheint es so zu sein, dass diese Stämme nur dort einen Vorteil gegenüber anderen Virusvarianten haben, wo es bereits eine große Immunität in der Bevölkerung gibt, sagt Isabella Eckerle von der Universitätsklinik in Genf. "Wir detektieren diese Stämme in der Schweiz regelmäßig, ihr Anteil wird aber nicht größer. Sie scheinen hier im Unterschied zu B.1.1.7 keinen Vorteil zu haben."

Klaus Überla aus Erlangen ist sich zudem sicher, dass die Mutationen nicht bedeuten, dass sie der aufgebauten Immunantwort komplett ausweichen können. "Wir haben verschiedene Mechanismen in unserem Immunsystem, die die Virusverbreitung verhindern", sagt er. In der öffentlichen Diskussion werde häufig nur auf die Antikörper geschaut. Aber es gebe beispielsweise noch die T-Zellen, die ganz anders wirkten. Dort gebe es bislang keine Hinweise, dass sich das Virus angepasst habe.

Das wiederum erklärt vielleicht, warum in Brasilien, wo sich viele Menschen durch die neue Variante ein zweites Mal mit einer Covid-19 angesteckt haben, warum dort die meisten Verläufe nun wesentlich milder sind und weniger Menschen aufgrund der Infektion sterben. Ein Teil des Schutzes ist erhalten geblieben.

Corona könnte Erkältung werden

Für die ferne Zukunft könnte das bedeuten, dass Sars-CoV-2 vielleicht hochansteckend bleibt, aber weniger schädlich für Menschen wird, ähnlich, wie es bei den anderen humanen Coronaviren bereits irgendwann in der Vergangenheit passiert ist, sagt John Ziebuhr, Virologe der Universitätsklinik Gießen. "Wir werden weniger Probleme haben, wenn eine Grundimmunität in der Bevölkerung aufgebaut wurde."

Diese Grundimmunität sollen die Impfungen nun rasch liefern – und hier stimmen die meisten Beobachtungen aus den laufenden Impfkampagnen die Wissenschaftler sehr optimistisch. Nebenwirkungen, wie sie zuletzt in Form der Sinusvenenthrombosen bei Astrazeneca beobachtet wurden, seien weiterhin sehr, sehr selten und im Fall der Blutgerinnsel behandelbar, wenn sie rechtzeitig entdeckt werden. Auch die noch fehlenden Gruppen wie Schwangere oder Kinder könnten bald geimpft werden, wenn die Daten aus derzeit laufenden Studien vorliegen. Und damit wiederum würde die Zirkulation von Corona weiter eingeschränkt, was nicht nur nötig sei, um Todesfälle und schwere Verläufe zu verhindern.

"Die Gefährlichkeit des Virus sollte man nicht nur an der Mortalität messen sondern auch an den Schäden im Gewebe, die es anrichten kann", sagt John Ziebuhr aus Gießen mit Blick auf die noch am Anfang stehende Debatte über Langzeitfolgen von Corona, Stichwort "Long Covid".

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