Covid-19 Pandemie Triage: Wenn Kliniken Behandlungen priorisieren müssen

22. November 2021, 18:03 Uhr

Angesichts der vierten Coronawelle arbeiten viele Kliniken in Sachsen und Thüringen bereits am Limit. Steigt die Zahl neuer Infektionen weiter, müssen die Ärzte bald priorisieren, wer ein Intensivbett bekommt.

Ein Intensivpfleger betreuen einen Covid-19-Patienten
Corona-Patient auf einer Intensivstation in Rom im März 2020 (Archivbild). Bildrechte: imago images/ULMER Pressebildagentur

Sachsen ist Spitzenreiter: Ende November 2021 liegt die Sieben-Tages-Inzidenz hier bei 1.110 neuen Sars-CoV-2-Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche, ein neuer Rekordwert in der seit eineinhalb Jahren andauernden Pandemie. Über 82.000 Menschen sind akut mit Covid-19 infiziert. Im benachbarten Thüringen liegt die Inzidenz mit 679 zwar noch niedriger. Trotzdem werden in beiden Freistaaten die Intensivbetten knapp.

Triage: Nicht notwendig, solange Patienten noch verlegt werden können

Noch können neue Patienten innerhalb der Bundesländer auf Kliniken verteilt werden. In einer nächsten Stufe würden die Ärzte dann eine Verlegung innerhalb Deutschlands mit dem sogenannten Kleeblatt-System prüfen, sagt Professor Jan-Thorsten Gräsner, Direktor des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Bei diesem System ist Deutschland in fünf Regionen aufgeteilt, innerhalb derer Patienten vorrangig verlegt werden sollen, um die Transportwege möglichst kurz zu halten. Erst wenn ein einzelnes Kleeblatt selbst komplett voll ist, werden Patienten durch ganz Deutschland geflogen.

Gräsner ist Teil der Fachgruppe COVRIIN am Robert Koch-Institut, wo die Notfall-Verteilung von Covid-Intensivpatienten unter anderem koordiniert wird und er gehört zur DIVI, der deutschen Vereinigung der Intensivmediziner. Er sagt, solange Patienten noch verlegt werden können, kommen Mediziner um das Mittel der Triage herum, also der Priorisierung, wer ein Intensivbett erhält und wer vielleicht nicht.

Für die kommenden Wochen gehen Gräsner und seine Kollegen davon aus, dass Deutschland noch genügend Intensivbetten hat für alle Menschen, die mit einer Covid-19 oder anderen schweren Erkrankungen oder Verletzungen in Krankenhäuser kommen und ein Intensivbett brauchen, sagten die DIVI-Mediziner bei einer Pressekonferenz am Montag. Welcher Patient wohin und wie verlegt wird, dafür gibt es eigene Kriterien. Steigt die Zahl der Neuinfektionen aber weiter, vor allem in Hotspots wie Sachen, dann könnte die absolute Notlage allerdings unausweichlich werden.

Ziel der Priorisierung: Möglichst vielen Menschen helfen

"Wenn die Ressourcen nicht ausreichen, weder im eigenen Haus noch regional oder überregional, muss unausweichlich entschieden werden, welche intensivpflichtigen Patienten intensivmedizinisch behandelt und welche nicht (oder nicht mehr) intensivmedizinisch behandelt werden sollen", heißt es in einer DIVI-Empfehlung vom Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020, als diese Situation das erste Mal in greifbare Nähe rückte. Die Empfehlung führt dann aus, wie Ärzte in einem solchen Notfall entscheiden sollen.

Kurz zusammengefasst könnten dann die Menschen bevorzugt auf einer Intensivstation behandelt werden, die die besten Aussichten haben, wieder gesund zu werden. Grund dafür ist nicht eine Bewertung, welches Leben mehr wert ist. Sondern es steht das Ziel im Vordergrund, "mit den (begrenzten) Ressourcen möglichst vielen Patienten eine Teilhabe an der medizinischen Versorgung unter Krisenbedingungen zu ermöglichen".

Triage-Entscheidung trifft keine Ärztin allein

Diese Priorisierung bezieht sich dann auch nicht allein auf Menschen, die mit einer Covid-19 in die Klinik kommen, sondern auf alle neu aufzunehmenden Patienten, auch die mit Herzinfarkten, Schlaganfällen oder anderen schweren Erkrankungen. Getroffen werden soll die Entscheidung dann im Mehraugenprinzip von mindestens zwei erfahrenen Intensivmedizinern, einem Vertreter der Pflegenden und – sofern möglich – auch von einem Medizinethiker.

Im Detail prüfen die Mediziner zunächst in einem ersten Schritt, ob ein Patient bereits unaufhaltsam im Sterben liegt, ob eine Therapie aussichtslos wäre, weil keine Stabilisierung möglich ist, ob jemand nur noch auf einer Intensivstation (ITS) dauerhaft überleben könnte oder ob jemand etwa in einer Patientenverfügung ausdrücklich einer intensivmedizinischen Behandlung widersprochen hat. In all diesen Fällen werden Patienten nicht auf eine ITS aufgenommen. In einem zweiten Schritt sollen bekannte Vorerkrankungen, der aktuelle klinische und der allgemeine Gesundheitszustand, Laborparameter sowie weitere verfügbare Prognosekriterien besprochen und ausgewertet werden.

Weitere Behandlung auf einer Allgemein- oder Palliativstation

Kommt das Team dann zu dem Ergebnis, dass eine bestimmte Patientin oder ein bestimmter Patient vorrangig und eine andere oder ein anderer nachrangig zu behandeln ist, dann bezieht sich das zunächst nur auf die Entscheidung: Intensivstation ja oder nein. Auch die nachrangig zu behandelnden Patienten werden dann in das Krankenhaus aufgenommen, aber zunächst auf einer anderen Allgemeinstation versorgt. Kann ihr Leben nicht mehr gerettet werden, wird das möglicherweise die Palliativstation sein, wo die Ärzte versuchen, das Sterben für die Patienten möglichst schmerzfrei zu halten.

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