Medizin-Ethik Warum auch Corona-Skeptikern Intensivbetten zustehen
Hauptinhalt
16. Dezember 2020, 12:31 Uhr
Was ist, wenn Intensivbetten nicht mehr ausreichen? Dann muss der Arzt unter Umständen eine Entscheidung treffen, wer das Bett und die Behandlung bekommt. Ein Schweizer Gesundheitsökonom hat jetzt in der "Basler Zeitung" gefordert, dass Corona-Skeptikern in solchen Fällen kein Bett zustehen dürfte. Willy Oggier sagte: Wenn Menschen mutwillig Hygiene-Regeln missachten, dann müssten sie dafür Verantwortung übernehmen. Was ist von dem Vorschlag moralisch und rechtlich zu halten?
Es ist die Triage-Situation: Ein Bett, zwei Patienten – wem wird geholfen? Moralisch und rechtlich ist das eine schwierige Frage. Ob aber automatisch der Corona-Skeptiker rausfliegt, weil der sich nicht richtig verhalten hat, da ist die Lage klar und eindeutig: Nein! Warum, erklärt Jörg Dierken, Professor für systematische Theologie an der Uni Halle mit Schwerpunkt Ethik:
Das ist ein ethisches Grundprinzip [...], wir haben in der Triage-Situation das Erfordernis, eine Abwägung vorzunehmen, aber die ist nicht nach dem Gesichtspunkt, dass man das Leben des einen unter Wertgesichtspunkten gegen das Leben des anderen stellt oder abwägt.
Und auch der Rechtswissenschaftler Bernd-Rüdiger Kern pflichtet dem bei. Er leitet in Dresden den Studiengang Medizinrecht an der privaten Hochschule DIU.
Man muss nach vernünftigen Kriterien, und zwar medizinischen Kriterien, argumentieren und nicht nach irgendwelchen anderen unsachlichen, die nicht zulässig sind bei solch einer Entscheidung.
Was ist denn aber zulässig? Dazu haben in Deutschland acht Fachgesellschaften Empfehlungen erarbeitet. Darin heißt es:
Die Priorisierung von Patienten soll sich […] am Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht orientieren. Dabei werden – wenn nicht anders vermeidbar – diejenigen Patienten nicht intensivmedizinisch behandelt, bei denen nur eine sehr geringe Aussicht besteht, zu überleben. Vorrangig werden demgegenüber diejenigen Patienten intensivmedizinisch behandelt, die durch diese Maßnahmen eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit haben.
Es geht also darum, so viele Leben wie möglich zu retten. Welche Leben, darüber dürfen die Ärzte nicht urteilen. Die Fachgesellschaften weisen explizit darauf hin, dass Alter, Vorerkrankungen oder soziale Merkmale keine Rolle spielen dürfen. Einstellungen und Verhalten sowieso nicht, sagt der Theologe Dierken. Das hätte auch fatale Folgen:
Das hätte zur Folge, dass der elementare Gleichheitsgrundsatz der Demokratie oder auch der Grundsatz der Freiheit und Gleichheit oder der gleichen Freiheit aller dann nicht mehr gegeben wäre. Es würde dann nur nach der Erfüllung eines entsprechenden erwünschten Verhaltens entschieden werden und es hätte auch die Folge, dass es willkürlich wird, wer das entscheidet.
Das würde dann möglicherweise auch bedeuten, einem Raucher die Lungenoperation zu verweigern, wenn der OP-Saal ausgelastet ist. Wo fängt das also an und wo hört es auf? Lebensrettung nach gesellschaftskonformem Handeln? Dabei sind folgende Fragen noch gar nicht gestellt: Woher weiß man denn, dass da einer oder eine Hilfe braucht, die sich bewusst nicht an die Maskenpflicht gehalten hat? Oder dass er oder sie bei einer "Corona-Party" war? Und da sind wir ganz schnell bei Datenschutz, Überwachungsstaat und ähnlichem.
(kd)
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/a9552566-1483-4590-8a53-566e3d6ea7ad was not found on this server.