Forschung im Meer Thallium: Giftige Gefahr in der Ostsee
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15. Mai 2024, 09:25 Uhr
In den vergangenen 80 Jahren ist laut einer neuen Studie viel Thallium in die Ostsee gelangt. Wenn sich der Sauerstoffgehalt der Ostsee erhöht, was aus anderen Gründen angestrebt wird, könnte das zu einer Freisetzung des hochgiftigen Metalls führen.
In der Ostsee schlummert deutlich mehr Thallium, als im natürlichen Sinne normal wäre. Zu diesem Schluss kommt die Forschungsarbeit eines achtköpfigen Teams aus den USA, Dänemark und Deutschland. Von den 1940er-Jahren ausgehend sei bis heute der Thallium-Gehalt im Baltischen Meer deutlich angestiegen. 20 bis 60 Prozent der Ablagerungen des giftigen Metalls habe dabei der Mensch zu verantworten, ist sich die Forschungsgruppe nach ihren Untersuchungen sicher.
"Der Mensch bringt eine Menge Thallium in die Ostsee ein, und das sollte den Menschen bewusst gemacht werden. Wenn dies so weitergeht – oder wenn wir die Chemie der Ostsee in Zukunft weiter verändern oder wenn sie sich auf natürliche Weise verändert – dann könnte sich mehr Thallium ansammeln. Das wäre wegen seiner Toxizität besorgniserregend", sagt Chadlin Ostrander, Hauptautor der Forschungsarbeit von der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) im US-Bundesstaat Massachusetts.
Thallium in der Ostsee: Sedimentkerne zeigen den Verlauf der Ablagerung
Mit seinem Team hat Ostrander Konzentrations- und Isotopenverhältnisdaten aus Meerwasser und flachen Sedimentkernproben gesammelt. Um den Thalliumkreislauf zu rekonstruieren, ergänzten die Forscher ihre kurzen Bohrkerne mit einem längeren Sedimentkern, der zuvor in der Nähe einer der tiefsten Stellen des Meeres entnommen worden war. Sie fanden heraus, dass das Meerwasser der Ostsee wesentlich stärker mit dem Thallium-Isotop "205Tl" angereichert ist als vorhergesagt. Diese Anreicherung begann laut dem längeren Sedimentkern um 1940 bis 1947.
Obwohl die genauen Quellen des Thalliumanstiegs noch nicht bekannt sind, weisen die Forscher darauf hin, dass die regionale Zementproduktion, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verstärkt wurde, eine wichtige Rolle spielen könnte. Andere mögliche Quellen sind die Kohleverbrennung und das oxidierende Rösten von Pyrit, einem Verfahren, um Schwefelsäure herzustellen.
Soweit mir bekannt ist, handelt es sich um das geografisch größte Gebiet, in dem jemals eine Thallium-Kontamination dokumentiert wurde.
Womöglich größter Teil der Ostsee ist mit Thallium kontaminiert
Zum Team von Chad Ostrander gehörte auch der Däne Sune Nielsen, dem die Ostsee emotional besonders am Herzen liegt. Als dänischer Staatsbürger verfolge er die (schlechten) Nachrichten über die Ostsee in den Medien, sagt er, "und unser Befund fügt den ohnehin schon schlechten Bedingungen für die Meeresbewohner in diesem Meer noch eine weitere Dimension hinzu."
Für ihn sei der wichtigste Aspekt der Studie, "dass wir herausgefunden haben, dass große Teile – wenn nicht sogar der größte Teil – der Ostsee mit dem giftigen Metall Thallium kontaminiert sind, was auf menschliche Aktivitäten in der Umgebung des Beckens zurückzuführen ist. Soweit mir bekannt ist, handelt es sich um das geografisch größte Gebiet, in dem jemals eine Thallium-Kontamination dokumentiert wurde."
Thallium Thallium ist ein chemisches Element, das im Periodensystem der Elemente mit TI abgekürzt wird und die Ordnungszahl 81 trägt. Es kommt vor allem in kaliumhaltigem Ton, in Böden und Graniten vor. Außerdem fällt es häufig bei der Verhüttung von Kupfer, Blei und Zinkerzen als Abfallprodukt an.
Mehr Sauerstoff wäre gut für die Ostsee, könnte aber Thallium freisetzen
Seit langem sei bekannt, sagt Sune Nielsen, "dass die Ostsee stark von anthropogenen Aktivitäten beeinflusst wird, nicht zuletzt beim zunehmend anhaltenden Sauerstoffverlust, der in den letzten Jahrzehnten zu großen Verlusten für die Fischereiindustrie geführt hat."
Aber genau diesen Sauerstoffverlust auszugleichen oder rückgängig zu machen, könnte aus Sicht der Forschungsgruppe schlimme Folgen bezüglich des Thalliums haben. Denn das giftige Metall wird von Sulfiden im Sediment gebunden. Bei einer Erhöhung des Sauerstoffgehalts verringern sich aber diese Sulfide.
Es sei daher besorgniserregend, sagt Mitautorin Colleen Hansel, leitende Wissenschaftlerin in der Abteilung für Meereschemie und Geochemie des WHOI, "dass die jüngsten Bestrebungen, das Anoxieproblem in der Ostsee zu lösen, darin bestehen, Sauerstoff in das Bodenwasser zu pumpen. Diese Sauerstoffanreicherung der Ostsee wird wahrscheinlich zur Freisetzung von Thallium und anderen sulfidhaltigen Metallen wie Quecksilber in das darüber liegende Meerwasser führen, wo sie sich in Fischen bis zu toxischen Werten anreichern könnten."
Ostsee: Wunsch nach Koexistenz von Menschen und Meereslebewesen
Für den Dänen Sune Nielsen ist klar, dass es in der Ostsee noch drängendere Probleme als die nun nachgewiesene Thallum-Verschmutzung gibt. Für ihn besteht aber kein Zweifel daran, "dass wir dringend etwas tun müssen, um die Ostsee wieder in einen Zustand zu versetzen, in dem Menschen und Meereslebewesen auf natürliche Weise koexistieren können."
Seine Kollegin Colleen Hansel sieht, was das Thallium angeht, vor allem eine bestimmte Branche in der Verantwortung, gesichert ist diese Erkenntnis allerdings noch nicht. "Ausgehend von den Aktivitäten in der Region denken wir, dass die Quelle der Thalliumverschmutzung die historische Zementproduktion in der Region ist. Da die Zementproduktion weltweit weiter ansteigt, könnte diese Untersuchung dazu dienen, die Hersteller auf die Notwendigkeit hinzuweisen, potenzielle nachgelagerte Auswirkungen von Zementofenstaub auf die umliegenden aquatischen und marinen Ökosysteme zu mindern."
Links/Studien
Die Studie "Anthropogenic Forcing of the Baltic Sea Thallium Cycle" ist im Fachjournal "Environmental Science & Technology" erschienen.
Dieses Thema im Programm: Das Erste | Mittagsmagazin | 29. April 2024 | 12:17 Uhr
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