Klimaschutzgesetz Verfehlte Ziele und ein neues Gesetz: Da läuft was verkehrt beim Verkehr
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19. April 2024, 14:03 Uhr
Der Verkehr ist das Sorgenkind bei den Treibhausgasemissionen. Seit Jahren verfehlt der Sektor seine Einsparziele. Doch diese Sektorenziele werden mit dem neuen Klimaschutzgesetz künftig abgeschafft. Fachleute fürchten jetzt, dass es dann kaum mehr Bestrebungen geben könnte, die Emissionen zu senken. Die Wissenschaft hat klare Vorschläge, wie das gelingen kann und was eigentlich getan werden müsste - ganz ohne Fahrverbote.
Das war er also, der große Coup von Bundesverkehrsminister Volker Wissing: Wenn das neue Klimaschutzgesetz nicht endlich komme, dann werde es ab dem Sommer Fahrverbote an den Wochenenden geben müssen, so die unverhohlene Drohung. Aber Moment mal: FDP-Mann Wissing will ein neues Klimaschutzgesetz? Klingt vielleicht überraschend, ist es aber bei genauerem Hinsehen überhaupt nicht. Denn das Gesetz sieht die Abschaffung von Sektorenzielen vor und definiert nur noch ein Gesamtziel. Das heißt also für Wissings Verkehrssektor, dass die anderen ausgleichen können, was er nicht einspart.
Was bisher geschah: Das große Zerren um die Budgetfrage
Aber wie konnte es soweit kommen? Das bisher gültige Klimaschutzgesetz stammt noch von der Vorgängerregierung. Darin sind Zielvorgaben für die Sektoren vorgegeben. Bisher gilt, wenn einzelne Sektoren wie der Verkehrs- oder Gebäudebereich die gesetzlichen Vorgaben zum CO2-Ausstoß verfehlen, müssen die zuständigen Ministerien Sofortprogramme vorlegen. Und der Verkehrssektor hat sein Ziel verfehlt – und zwar seit Jahren. Deutschland gebe sich noch nicht einmal Mühe, die Ziele zu erreichen, lautete bereits vor zwei Jahren das Urteil des Expertenrats Klima. Verkehrsminister Wissing kassierte eine glatte Sechs für sein Sofortprogramm von dem Sachverständigengremium.
Ein angemessenes Sofortprogramm aus dem Verkehrsministerium gibt es bis heute nicht. Was es stattdessen gab, war viel Streit in der Ampel-Koalition über das Thema. Die Minister Volker Wissing (FDP) und Robert Habeck (Grüne) bekriegten sich über Wochen. Der Vorwurf: Der Liberale liefere kein tragfähiges Programm, wie er die riesige Lücke beim CO2-Ausstoß im Verkehr schließen will. Und Wissing keilte zurück: Er habe das bereits getan, jetzt sei Habeck mit konkreten Regelungen gefragt. Schon in der Hochphase des Streits Anfang vergangenen Jahres mahnte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, dass das Ausbleiben des Sofortprogramms ein Rechtsverstoß sei.
Im Juni vergangenen Jahres dann die Einigung: Die Ampelkoalition vereinbarte einen Kompromiss und brachte eine Reform des Klimaschutzgesetzes auf den Weg. Damit soll die Einhaltung der Klimaziele künftig nicht mehr rückwirkend nach Sektoren kontrolliert werden, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Wenn sich in zwei aufeinander folgenden Jahren abzeichnet, dass die Bundesregierung bei ihrem Klimaziel nicht auf Kurs ist, muss sie nachsteuern.
Mit der Gesetzesnovelle folgt die Ampel einem Denkansatz, der auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung abzielt. Befürworter argumentieren, dass jahresgenaue Sektorziele zu Aktionismus und ineffizienten Maßnahmen hätten führen können, die hohe Kosten verursachen, aber wenig Nutzen bringen. Es müsse weniger um Sofortprogramme als um den langfristigen technischen Umstieg gehen, erklärte etwa Wirtschaftsforscherin Karen Pittel vom ifo Institut München bei der Tagesschau. Andere Akteure sehen in diesem Denkansatz allerdings eine Verwässerung der Klimaziele. So sagte etwa Martin Kaiser von Greenpeace Deutschland: "Unsere Hauptkritik ist, dass damit die rechtliche Verbindlichkeit für die einzelnen Sektoren ausgehebelt wird. Und im Wesentlichen Herr Wissing für seine Verkehrspolitik eine Lizenz zum Nichtstun bekommt."
Doch die Verhandlungen über die Gesetzesnovelle haben sich seit der Entscheidung für die Reform hingezogen. Insbesondere die Grünen hatten es dem Vernehmen nach offenbar nicht eilig. Strittig war demnach lange, welche Verantwortlichkeiten die Ressorts künftig noch haben, falls die Zielvorgaben bei der CO2-Einsparung verfehlt werden. Doch mit Wissings Fahrverbot-Drohung ist Schwung in die Sache gekommen: Nach der Einigung soll schon in der kommenden Woche über das neue Klimaschutzgesetz abgestimmt werden. Es sieht dann eine Gesamtreduktion von 65 Prozent der Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 und 88 Prozent der Emissionen bis 2040 vor.
Wissing kann also zunächst aufatmen. Und das, obwohl der Expertenrat für Klimafragen erst am Montag verkündet hatte, dass die Klimaziele im Verkehrssektor im vergangenen Jahr erneut deutlich verfehlt wurden. Statt der erlaubten 133 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sind 2023 146 Millionen Tonnen ausgestoßen worden, also 13 Millionen Tonnen zu viel. Nach aktueller Gesetzeslage hätte er also jetzt schnellstmöglich ein Sofortprogramm vorlegen müssen. Mit der baldigen Verabschiedung der Reform dürfte sich das erübrigen.
EU-Lastenteilung: Wer nicht spart, muss zahlen
Doch ganz vom Tisch sind die Sektorenziele damit noch nicht. Denn es gibt da auch noch die Europäische Union und ihren ambitionierten Green Deal. Und deshalb ist ein Ausgleich der hohen Emissionen im Verkehrssektor nur begrenzt möglich, weil zusätzlich zum deutschen Klimaschutzgesetz auch die Regelung der "Effort Regulation" auf europäischer Ebene gilt – also der Lastenteilung in der EU. Die Lastenteilungsverordnung schreibt vor, welche Ziele die Mitgliedstaaten jeweils unter Berücksichtigung ihrer Wirtschaftskraft erreichen müssen. Überschreitet Deutschland die EU-Sektorenziele dann drohen Strafzahlungen aus Brüssel. Fachleute rechnen mit Summen im zweistelligen Milliardenbereich, die in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre fällig werden. "Wir dürften so in der Größenordnung 10 bis 20 Milliarden an Kosten für den deutschen Staatshaushalt liegen, die wir im Rahmen der Regulation an andere EU-Länder überweisen müssen", schätzt etwa Peter Kasten vom Öko-Institut in Berlin. Ab dem Jahr 2027 muss Deutschland auch Rechte zum Ausstoß von Treibhausgasen kaufen. Der Druck auf den Verkehrssektor bleibt also erhalten.
Was getan werden müsste: Diese Empfehlungen hat die Wissenschaft
Nach seinem Drängen auf die Reform des Klimaschutzgesetzes drängt sich Beobachtenden der Eindruck auf, dass Wissing jetzt vor allem auf den Ausgleich der höheren Emissionen seines Sektors durch die anderen setzt. Doch das ist nicht nur EU-rechtlich problematisch - Fachleute halten es auch für unrealistisch. Meike Jipp, Direktorin des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, verweist darauf, dass sich auch die anderen Verbrauchssektoren großen Herausforderungen gegenübersehen. "Wenn keine weiteren Maßnahmen ergriffen werden, erscheint es wenig plausibel, dass die zu erwartenden Zielverfehlungen des Verkehrs in den nächsten Jahren durch die anderen Sektoren ausgeglichen werden können."
Aber was wäre zu tun, um die Emissionen beim Verkehr deutlich zu senken und das am besten schnell? Bundesverkehrsminister Wissing hatte ja behauptet, um das Sektorziel für 2024 zu erreichen, brauche es deutlich weniger Pkw- und Lkw-Fahrleistung. Klingt naheliegend, denn der Straßenverkehr macht den Löwenanteil in diesem Bereich aus. Doch die Reduktion sei "nur durch restriktive und der Bevölkerung kaum vermittelbare Maßnahmen wie flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen möglich", so Wissing. Das stimmt so nicht, hatten die Grünen entgegnet. Und auch die Fachleute aus der Wissenschaft priorisieren andere Optionen.
Tempolimit
Das Tempolimit sei aus wissenschaftlicher Sicht eine fantastische Maßnahme, sagt Patrick Plötz vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung. "Es adressiert sofort den gesamten fossilen Pkw-Bestand und es kostet überhaupt kein Geld", so der Forscher. "Man hat gleichzeitig weniger Unfälle, besseren Verkehrsfluss, weniger Schadstoffbelastung - alles kostenlos und sofort umsetzbar. Das ist also ein Traum von einer Maßnahme."
Das Tempolimit habe außerdem schon eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung, erklärt Stefan Gössling von der School of Business and Economics an der Linnaeus University im schwedischen Kalmar. Allerdings gebe es bei diesem Thema eine sehr laute Minderheit, die sehr weit gehen würde, um das Tempolimit zu verhindern. "Wir wissen aus unserer Forschung, dass das tatsächlich so ein wichtiges Thema ist für manche Menschen, dass sie ihr Wahlverhalten daran festmachen. Das heißt, wenn im Moment eine Weigerung stattfindet von der FDP, ein Tempolimit einzuführen, dann appelliert man damit sicherlich an einige spezielle Zielgruppen", so Gössling.
Umbau klimaschädlicher Subventionen
Ob es das Dienstwagenprivileg ist oder die Pendlerpauschale: Viele der Subventionen im Verkehrssektor fördern aktuell den fossilen Straßenverkehr. Fraunhofer-Forscher Plötz zufolge fördert der Staat teilweise bis zu einem Euro pro Liter Benzin, statt die fossilen Energieträger unattraktiver zu machen. Er empfiehlt deshalb einen klimafreundlichen Umbau dieser Subventionen. Bisher seien die Abgaben- und Steuersysteme im Verkehrssektor nämlich noch überhaupt nicht am Klimaschutz ausgerichtet. "Steuervorteile sollten wirklich nur noch für klimafreundliche Alternativen zur Verfügung stehen", fordert Plötz.
Stefan Gössling regt die Einführung von Mobilitätsbudgets an, um den Umbau der bisherigen Subventionen sozialverträglich zu gestalten. Dann, so der Experte, würde die Maßnahme sicher von der Mehrheit der Bevölkerung auch unterstützt.
Schnelle Elektifizierung des Straßenverkehrs
In Deutschland ist der Verkehr stark auf die Straße fixiert. Und solange es keine deutliche Verkehrswende hin zu klimafreundlicheren Alternativen gibt, erklärt Forscher Kasten, müsse man an der Elektrifizierung der Fahrzeuge arbeiten. „Man muss die Straßenfahrzeuge dann emissionsfrei fahren lassen“ so Kasten. Durch die Elektrifizierung könnten seinen Untersuchungen zufolge recht schnell erhebliche Minderungen beim Treibhausgas-Ausstoß erreicht werden.
"Es gibt einen sehr breiten Konsens über viele wissenschaftliche Studien hinweg, dass nachhaltiger Straßenverkehr von direkter Stromnutzung dominiert werden wird", ergänzt Plötz. "Es ist klar machbar. Es ist die günstigste und am schnellsten umsetzbare Lösung." Und E-Fuels? Die gebe es einfach nicht in irgendeinem relevanten Umfang, sagt der Fraunhofer-Forscher. "Das ist so ein bisschen wie über Feenstaub reden: Könnten wir statt Auto zu fahren irgendwie Einhorn fliegen?"
Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Radinfrastruktur
Langfristig muss es das Ziel sein, eine strukturelle Wende im Verkehr hinzubekommen, sind sich die Fachleute einig. Dazu braucht es einen Ausbau der öffentlichen Verkehrssysteme und eine bessere Radinfrastruktur. Dazu brauche es aber zunächst erhebliche Investitionen. Forscher Gössling wünscht sich, dass die Kommunen "mehr nach vorne denken" würden beim Thema Mobilität. So seien etwa Radnetze in Städten, die allein von Radfahrern genutzt werden dürfen, ein gutes Instrument, um Menschen den Umstieg zu erleichtern. Im europäischen Ausland gebe es gute Beispiele, von denen Deutschland lernen könne. Aber vor allem dürfe Verkehrspolitik keine Industriepolitik mehr sein, mahnt Gössling. Immer wieder seien Verkehrsminister später in die (Auto-)Industrie gewechselt. Aber diese Klientelpolitik schade der Verkehrswende.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 18. April 2024 | 12:10 Uhr
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