Klimawandel Warum ein Leipziger Forscher in der Antarktis überwintert hat
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18. März 2024, 17:56 Uhr
Sonderlich kalt war unser Winter nicht, aber einigen Sensibelchen hat es wahrscheinlich trotzdem gereicht. Wie muss es sich also erst anfühlen, in der Antarktis zu überwintern? Ein Forscher aus Leipzig hat genau das gemacht – im Rahmen eines Forschungsprojekts am Tropos, um den Klimawandel im äußersten Süden besser zu verstehen. Denn dort gibt’s nicht nur Eis, sondern ein sensibles Ökosystem.
Also so von außen ist es halt einfach ein etwas in die Jahre gekommener Schiffscontainer. Weiße Farbe, ein bisschen Rost an den üblichen Stellen, gehört ja irgendwie auch zum guten Ton. So steht er da, der Stahlkasten, abgestellt in Leipzig, Stadtteil Schönefeld-Ost. Es gibt genau zwei Gründe, nach Schönefeld-Ost zu fahren: Entweder man wohnt in einem der zahllosen Mehrfamilienhäuser. Oder man möchte in einem der zahllosen Institute Umweltforschung auf Weltniveau betreiben.
Martin Radenz sperrt die quietsch-knarzende Tür auf, um zu beweisen, dass im Container weder Bananen noch Tropenholz auf einen Weitertransport warten. Sondern ein Equipment mit Millionenwert – in erster Linie vor allem Kisten, Messinstrumente, ein Computerarbeitsplatz, eine für einen Container recht große Zahl an Bildschirmen und – ein Laser. So einer mit einem richtig coolen grünen Stahl. Ach was?
Tropos steht auf dem Container, der Kosename des Leibniz-Instituts für Troposphährenforschung. Die weiße Kiste ist folgerichtig ein Forschungscontainer. Wie für Container so üblich, war er schon auf Weltreise: Kapverden, Marokko, Barbados. Und schließlich: Ein Jahr lang der Arbeitsplatz von dem Mann, der heute Mittag den Schlüssel hat: Martin Radenz. Abgestellt in der Eiswüste der Antarktis. Für den Wissenschaftler keine selbstverständliche Forschungsumgebung, sondern eher ein Once-in-a-lifetime-Moment, von dem er gerne erzählt.
Die Antarktis ist nicht einfach nur weiß
Zum Beispiel davon, dass die Antarktis, im Gegensatz zur allgemeinen Vorstellung, nicht einfach nur weiß ist: "Man hat Wolken, die sich ständig verändern, man hat Sonnenauf- und Untergänge, die dann auch Farbe in dieses ganze Naturschauspiel bringen. Stürme, die heftiger sind als das, was man sonst so kennt." Martin Radenz zeigt ein Video, auf dem sich eine Reihe von Menschen durch einen Schneesturm kämpft. Geleitschutz gibt einzig und allein ein Seil, das den Forschungscontainer und Neumayer-III verbindet. Die Neumayer-Station des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) ist sozusagen Deutschlands Außenposten in der Antarktis und gleichzeitig der südlichste Arbeitsplatz der Bundesrepublik.
Wenn nicht gerade Polarnacht ist, gibt's dort aber auch sonnige Tage. Und manchmal kommen neugierige Pinguine vorbei, an Neumayer-III. Dort hat Martin Radenz ein Jahr lang aus drei Taschen gelebt – so wie neun andere Forschende auch, mit denen er in der einsamen Polarnacht überwintert hat. Das ist die Zeit, wenn minus zwanzig Grad als passables und mildes Wetter gelten. Tage, an denen es sich durchaus an der frischen Luft arbeiten lässt. Also was in aller Welt hat den jungen Mann in diese lebensfeindliche Umgebung getrieben?
Zu wenige Klima- und Wetterdaten aus der Antarktis
Im Grunde unser Unwissen, wie Wetter und Klima im tiefen Süden der Erdkugel funktionieren. "Also wir wissen nur sehr grob, wie Wolken und kleinste luftgetragene Partikel in der Antarktis interagieren, wie das das Klima beeinflusst, wie der Schneefall wirklich entsteht, wie viel Schnee fällt." In der Antarktis, fast so groß wie Europa, gibt es zum Beispiel weniger Radiosonden für Messungen als allein in Deutschland.
Nur verändert sich gerade unser südlichster Kontinent durch den Klimawandel rapide. Der südliche Ozean, seines Zeichens ein sehr bedeutender CO2-Speicher, wird wärmer und der antarktische Eisschild gilt als hochsensibler Klimakipppunkt. "Und die Frage ist jetzt, wie dieser warme Ozean den antarktischen Eisschild beeinflusst", sagt Martin Radenz. "Also es ist ja im Moment so, dass große Teile der Antarktis von unten schmelzen, dort, wo der Eisschild auf dem Wasser aufliegt. Und dann ist die Frage, wie das eben die Niederschlagsprozesse beeinflusst, weil der Niederschlag das einzige ist, was die Antarktis wachsen lässt."
Vulkan-Partikel über der Antarktis machen Ozonloch beständig
Das Forschungsprojekt am Leipziger Tropos will dazu beitragen, dass Wetter- und Klimamodelle für den äußersten Süden des Planeten besser werden. COALA heißt es, was witzig ist, weil es in der Antarktis weder Koala- noch Eisbären gibt. Wichtiges Arbeitsmittel: Ein Laser, der direkt aus dem Forschungscontainer in den antarktischen Himmel geschossen wurde, auf Grundlage der Lidar-Technik zu Messzwecken. "Dass man wirklich auch sagen kann, dort, wo die Wolken entstehen, habe ich eine Idee davon, wie viel Aerosole vorhanden sind." Aerosole sind Kleinstpartikel in der Atmosphäre, denen ein Einfluss auf Wolken und Klima zugeschrieben wird. Die genaue Datenauswertung steht noch aus. Aber bereits jetzt konnten die Forschenden erhöhte Partikelkonzentrationen in den oberen Schichten der Atmosphäre feststellen, die von einem Vulkanausbruch im Jahr 2022 stammen – und bei denen sie von einem Einfluss auf das Ozonloch ausgehen. Das gilt auch für Waldbrände, die in Folge des Klimawandels ein größeres Ausmaß einnehmen.
Hitzerekord im antarktischen Winter
Bei seinem Forschungsaufenthalt konnte Martin Radenz aber auch erleben, was ein Warmlufteinbruch im antarktischen Winter bedeutet. Statt minus dreißig herrschten plötzlich nur noch minus 2,3 Grad, das Ganze mit unterkühltem Nieselregen. "Der Schnee war warm und fast schon pappig, also so, wie man es vielleicht aus dem Erzgebirge kennt." Ein Rekordereignis. Noch nie war es in der Polarnacht seit Messbeginn 1982 so warm an Neumayer-III. Die Ursachen für das vergleichsweise sommerliche Intermezzo und dessen Auswirken gilt es noch zu klären.
Seit Anfang Februar ist Martin Radenz wieder zurück in Mitteleuropa. Er muss erstmal wieder ankommen, wie er sagt – und schätzt indes den heimischen Luxus: "Dass wirklich im Supermarkt die Regale voll sind und nicht die letzte Lieferung von vor acht Monaten war und man sich nur noch durch die Vorräte isst." Das alles aber nicht ohne die Frage, wie viel Überfluss es wirklich zum Leben braucht. Eine Frage, die Martin Radenz sofort in den Sinn kam, als er wieder in seiner Wohnung stand. Und eine Frage, die nach zwölf Monaten Eiswüste eben auch irgendwie auf der Hand liegt.
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