Raumfahrt für Klimaschutz Steigende Meeresspiegel: Satellit Sentinel-6 vermisst das Meer
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14. November 2020, 10:00 Uhr
Überschwemmungen, schmelzene Polkappen, Hitzewellen: Der Klimawandel ist allgegenwärtig. Er ist eine Gefahr und um sich ihr zu stellen, muss man sie verstehen. Dabei soll ein neuartiger europäischer Satellit helfen. Der "Copernicus Sentinel-6 Michael Freilich" wird die Meeresoberfläche vermessen – so genau, wie kein Satellit zuvor. Dabei soll er bereits die kleinsten Unterschiede beim anwachsenden Meeresspiegel erkennen. Am 21. November wird er in den Orbit geschickt.
Riesige Waldbrände am Polarkreis, Extrem-Unwetter in den USA, Hitzewellen in Mitteleuropa oder schmelzende Polkappen - das alles hängt auch mit dem Klimawandel zusammen. Und sogar unser Lebensspender, das Wasser, wird so für uns zu einer Gefahr. Der Meeresspiegel steigt kontinuierlich an. Bis 2100 werden etliche Küstenregionen verschwunden sein, denn bis dahin könnten die Meere weltweit mindestens um 20 Zentimeter ansteigen. Weil die Gefahr so groß ist, sollte man das Meer genauer untersuchen. Das hat die europäische Raumfahrt vor: Mit dem Satelliten "Copernicus Sentinal-6 Michael Freilich" werden die Ozeane genauestens vermessen. So genau, dass der kleinste Meeresspiegelanstieg – unter einem Millimeter – erkannt wird.
Am 21. November soll der Satellit im Weltall positioniert werden. Anschließend wird er die Erde umrunden. Innerhalb von zehn Tagen wird er 95 Prozent der Ozeane vermessen haben. Die Erde selbst ist mit 70 Prozent Wasser bedeckt ist. Wie viel das genau ist, weiß der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst aus eigener Erfahrung.
Wir leben auf einem Wasserplaneten. Wir brauchen mit der Internationalen Raumstation 90 Minuten um die Erde einmal zu umrunden. Der Überflug über den Pazifik dauert 45 Minuten.
Dabei werden große Gegenden von Wasser dominiert, die man laut Gerst nicht auf dem eigenen Radar hat. Dazu gehören kleine Inseln, Archipele und ähnliche ozeanische Orte. Diese Gebiete kann man nur schützen, wenn man Satelliten im Weltall positioniert, die entsprechende Daten liefern, erklärt Gerst.
Düstere Prognosen für den Meeresspiegelanstieg
Doch wie brisant ist die Diskussion um den Anstieg des Meeresspiegels wirklich? Eine Studie vom 8. Mai 2020, die im Nature Research Journal "climate and atmosperic science" veröffentlicht wurde, spielt zwei Szenarien durch. Im besseren Szenario wird die Erderwärmung bis 2100 nicht über 1,0 Grad Celsius steigen, bis 2300 nicht über 1,2 Grad. Das schlechte Szenario geht bis 2100 von maximal 4,5 Grad Celsius Steigung aus und 12,6 Grad Celsius bis 2300.
Im ersten Szenario wird der Meeresspiegel zwischen 0,21 und 0,85 Metern bis zum Jahr 2100 steigen. Im Median sind das 0,45 Meter. Bis 2300 wird der Meeresspiegel im Median um 1,18 Meter steigen – mancherorts aber um 3,11 Meter. Allein das Abschmelzen des Eises der Westantarktis reicht für diesen Anstieg aus, bestätigen Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung - und dieser Prozess hat bereits begonnen.
Das weniger gute Szenario geht von einem Anstieg von 0,93 Metern im Median für 2100 aus. Im schlimmsten Fall wird das Wasser an manchen Orten auf der Welt auf 1,65 Meter ansteigen. Für 2300 sehen die Prognosen noch viel schlimmer aus: Sehr wahrscheinlich wird der Median-Anstieg 3,29 Meter betragen. Im schlimmsten Fall jedoch 7,83 Meter.
Das Pariser Klima-Abkommen hat sich die 1,5 Grad Celsius-Marke bis 2100 gesetzt. Diese Temperatur soll durch diverse Klimastutzmaßnahmen nicht überschritten werden. Das heißt aber auch, dass der Meeresspiegel im Median mehr als einen halben Meter ansteigen wird.
Was bedeutet das für die Welt?
Der Anstieg des Meeresspiegels und das Abschmelzen der Polkappen haben viele negative Auswirkungen für das Leben auf der Erde. Die weißen Polkappen reflektieren einen großen Teil des Sonnenlichts. Wenn sie schmelzen, wird es wärmer auf der Welt. Durch die freigesetzten Gase wird der Treibhauseffekt befeuert. Ein weiteres Problem: im dann nicht mehr "ewigen" Eis könnten sich bisher unbekannte Krankheitserreger befinden. Wir sehen bereits an Covid-19, welches Chaos ein solches Virus verursachen kann.
Wenn die Weltmeere ansteigen, verschwinden nicht nur kleine Inseln. Auch die wichtigen Korallenriffe könnten verschwinden. Überflutungen und weitere Klimakatastrophen sind nur einige Beispiele.
Was bedeutet das für Deutschland?
Für Deutschland wird es ebenfalls Konsequenzen haben. Der jährliche weltweite Meeresanstieg beträgt aktuell zirka drei Millimeter. Das gilt auch für die Ostsee. An der Nordsee sind es aber bereits vier Millimeter. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Nordseeküste sich langsam absenkt, erklärt Jörn Hoffmann. Er ist beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt für das Copernicus-Projekt zuständig. Jenes Projekt, das den Sentinel-6 ins Weltall bringen wird.
Das Bundesland Niedersachsen hatte über die letzten Jahre bereits zirka 62 Millionen Euro unter anderem für neue Deiche investiert. Hamburg soll noch mehr ausgegeben haben, erzählt Hoffmann in der Live-Schalte der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA vom 4. November.
Um sich gegen den steigenden Wasserspiegel zu rüsten, reicht die Erhöhung der Deiche allein nicht aus. Man muss ebenso einen Blick auf Unterspülungen und Dünungen haben. Wo lohnt es sich, die Deiche zu erhöhen? Wo muss man sie nach hinten versetzen? Welche landwirtschaftlich genutzten Ländereien lohnt es sich zu erhalten? Welche sollte man aufgeben?
Die Höhe der Deiche hängt auch damit zusammen, wie sich die West-Antarktis entwickelt.
Hoffmann stellt die Fragen: Wie kann man mit dem Wasser leben? Wie geht man mit den Sturmfluten um? Diese werden nämlich viel dramatischer sein, als der eigentliche Anstieg.
Wie kann ein Satellit helfen?
Der Bau von Deichen braucht Jahrzehnte langen Vorlauf. Dafür muss man aber auch wissen, worauf man sich vorbereiten muss. "Copernicus Sentinel-6 Michael Freilich" wird dafür die neusten Daten zum Meer liefern. Seine Messungen werden extrem genau sein. Wie das genau funktioniert, erklären wir im MDR Wissen Weltraumkalender.
Neben den Messungen des Meeresspiegels wird der Satellit alle Ozeane kartographieren und die Eisoberflächen vermessen. Alexander Gerst kennt die Welt von oben so gut wie kaum ein Deutscher und damit auch die Herausforderung für das Projekt.
Man sieht sofort wie zerbrechlich und endlich das Ökosystem ist. Man sieht Flüsse und Meere austrocknen. Man sieht Gletscher, die immer kleiner werden. Es geht darum, mit technischen Sensoren genauer hinzusehen. Weil wir mit den eigenen Augen nicht sehen können, wie endlich es ist, müssen wir auf die Daten und auf Wissenschaftler vertrauen.
Josef Aschbacher, ESA-Direktor für Erdbeobachtung, weißt wie wichtig Satelliten-Daten sind. Ohne sie wären Wetterprognosen viel ungenauer. Darüber hinaus kann man mit ihnen das Klima untersuchen, das Magnetfeld messen und Fischer an die idealen Fischereigebiete lotsen. "Copernicus Sentinel-6 Michael Freilich" speziell kann den Wellengang untersuchen und somit Wetterdaten und Seegangsvorhersagen für die Seefahrt bereitstellen.
Zusammen für eine sichere Zukunft
Der Sentinel-6 ist ein europäisches Gemeinschaftsprojekt, das zum großen Teil mit Deutscher Hilfe entstanden ist. Frankreich liefert dabei den weltweit führenden Höhenmesser. Zwar hat Deutschland alleine 1,5 Milliarden Euro in das gesamte Copernicus-Projekt gesteckt. Dafür macht die Bundesrepublik aber nicht nur die Welt sicherer.
Copernicus ist ein tolles Beispiel, wie wir in Europa zusammenarbeiten.
Deutschland und das ganze europäische Team um Copernicus werden ihre Daten jedem kostenlos zur Verfügung stellen. Damit sollen neue Wirtschaftsbereiche und somit neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Studien über den Meeresspiegelanstieg
Die Studie "Estimating global mean sea-level rise and its uncertainties by 2100 and 2300 from an expert survey" erschien am 8. Mai 2020 im Nature Research Journal.
Die Studie über den möglichen Meeresspiegelanstieg durch den Verlust des antarktischen Schelfeises ist am 14. Februar 2020 in den Copernicus Publications erschienen.
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