Eine große Protuberanz in der Nähe des Sonnen-Nordpols löst sich und führt zu einer Art „Wirbelsturm“ am Nordpol.
Eine große Protuberanz in der Nähe des Sonnen-Nordpols löst sich und führt zu einer Art „Wirbelsturm“ am Nordpol. Bildrechte: MDR, Nasa, SDO

Sonnenforschung Sonne verliert Plasmafäden – besteht Gefahr für die Erde?

21. Februar 2023, 11:20 Uhr

Ein riesiger Plasmafaden hat sich von der Sonnenoberfläche gelöst. Eigentlich etwas relativ Normales. Was das besondere an dem Ereignis ist und ob dieses für uns auf der Erde gefährlich werden kann, hat MDR WISSEN den Sonnenforscher Volker Bothmer von der Universität Göttingen gefragt.

Einige Wissenschaftler sind derzeit in heller Aufregung: Ein riesiger Plasmafaden hat sich von der Sonne gelöst. Anschließend wurde der seltsame kreisförmige Faden wie ein Tornado um den Nordpol der Sonne gewirbelt. Aufgenommen wurde dieses Phänomen am 2. Februar 2023 vom Observatorium für Sonnenenergie (Solar Dynamics Observatory) der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa.

Ein Portrait von Dr. Volker Bothmer, dem Sonnenphysiker und -experten der Universität Göttingen
Ein Portrait von Dr. Volker Bothmer, dem Sonnenphysiker und -experten der Universität Göttingen Bildrechte: Volker Bothmer

Es ist das erste Mal, dass Sonnenforscher ein solches Phänomen so hochauflösend festhalten konnten. Jedoch bedeutet dies nicht, dass es noch nie zuvor passiert ist, erklärt Scott McIntosh. Er ist der stellvertretende Direktor des National Center for Atmospheric Research (NCAR) in Boulder (Colorado, USA).

Tatsächlich sind solche Protuberanzen keine Seltenheit. MDR WISSEN hat beim Sonnenexperten Volker Bothmer vom Institut für Astrophysik und Geophysik von der Georg-August-Universität Göttingen nachgefragt. Er beobachtet solche Ereignisse ständig: "Die Sonne ist ein Gasball mit elektrisch geladenen Teilchen und einem Magnetfeld, das erzeugt wird wie bei einem Fahrraddynamo: Elektrische Felder erzeugen magnetische." 

Solche Protuberanzen tauchen hundertfach, teilweise tausendfach auf. Doch diese war ein "bisschen stärker, turbulenter, strudelartig in bestimmten Breiten", gibt Bothmer zu. Diesmal habe man sie aber in hoher Auflösung zeitlich und räumlich aufnehmen können. 

Ein langer Faden brach von der Sonne ab – was wurde genau beobachtet?

McIntosh spricht von Polar Crown Filaments oder eben von polaren Protuberanzen. "Filamente und Protuberanzen sind das Gleiche", erklärt Bothmer. Auf der sichtbaren Sonnenscheibe sind diese als dunkle Fäden sichtbar, am Sonnenrand zeigen sie sich als helle Bögen, die im Kontrast zum dunklen Weltraum gut zu erkennen sind.

"Die typischen Polar Crown Filamente sind sehr lange Filamente, die Gebiete unterschiedlicher magnetischer Polarität voneinander trennen. Ihre Entstehung hängt damit zusammen, dass vom Äquator zum Pol die Sonne langsamer rotiert. Für eine Rotation braucht es in höheren Breiten ungefähr 30 Tage, am Äquator aber nur 25 Tage", so der Sonnenexperte. In dem beobachteten Breitenbereich sind solche Protuberanzen keine Seltenheit. Die Magnetfelder, die aus dem Sonneninneren an die Oberfläche gelangen, wickeln sich dort langsamer auf.  

"Wir sprechen von einem Polarwirbel! Material von einer nördlichen Protuberanz hat sich soeben vom Hauptfilament gelöst und zirkuliert nun in einem massiven polaren Wirbel um den Nordpol unseres Sterns", erklärt die Weltraummeteorologin Tamitha Skov via Twitter. Sie hat die Diskussion über die Beobachtung vom 2. Februar 2023 entfacht. 

Bothmer vergleicht das Phänomen mit den systematischen Windsystemen, die wir auch auf der Erde zwischen den Polen und dem Äquator haben: "Dies geschieht in Form von Sonnenstürmen - permanente, kleine, größere, oft mit Protuberanzen verbunden, die, wenn sie aufreißen, letztendlich in einem Sturm münden, wie das hier der Fall ist. Manche fallen aber auch auf die Sonne zurück, deswegen sprechen wir dabei auch von frustrierten Protuberanzen."

Das Maximum des Polarsprungs auf der Sonne steht kurz bevor

Die Polar Crown Filamente gehören zu den spektakulären langen Filamenten, die man im Sonnenzyklus beobachten kann. Sie zeigen sich aber nicht immer so spektakulär, denn sie hängen mit dem Umpolungsprozess der Sonne zusammen. Ein Sonnenzyklus dauert etwa elf Jahre. Dann wird aus dem Nordpol der Südpol und umgekehrt aus dem Süd- der Nordpol. "Das Magnetfeld, das im Sonneninneren generiert wird, kommt dabei an die Oberfläche und wird dort in dynamischen Prozessen abgebaut", erörtert Bothmer. 

Der deutsche Sonnenphysiker bekräftigt die Aussagen von McIntosh über das bevorstehende Maximum der Sonnenaktivitäten. Zwar können keine präzisen Vorhersagen darüber getroffen werden, "man kann ja schlecht hellsehen", aber das letzte Minimum an Sonnenaktivitäten war um das Jahr 2020. Ein solches Minimum dauert immer zwei bis drei Jahre. Dann fängt das erste Maximum an, sagt Bothmer. 

Erstes sage ich deswegen, weil es sich meistens über eine Phase von zwei, drei Jahren hinzieht. Daher gibt es nicht genau eine Spitze der Sonnenfleckenhäufigkeit, sondern praktisch eine Maximumphase. Danach geht es wieder runter zum Minimum.

Fakten zur Sonne

Kennen Sie sich mit unserer Sonne aus? Wie viele dieser Fakten kannten Sie bereits? Testen Sie sich selbst.

Erde und Sonne sind 147 Millionen bis 152 Millionen Kilometer voneinander entfernt.
Erde und Sonne sind 147 Millionen bis 152 Millionen Kilometer voneinander entfernt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Erde und Sonne sind 147 Millionen bis 152 Millionen Kilometer voneinander entfernt.
Erde und Sonne sind 147 Millionen bis 152 Millionen Kilometer voneinander entfernt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Die Sonne dreht sich einmal in 25 Tagen um ihre eigene Achse.
Die Sonne dreht sich einmal in 25 Tagen um ihre eigene Achse. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Der Durchmesser der Sonne ist so groß, dass man 109 Erden nebeneinander reihen könnte.
Der Durchmesser der Sonne ist so groß, dass man 109 Erden nebeneinander reihen könnte. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Brühend heiße Sonne: Die Temperatur im Sonnenkern beträgt 15 Millionen Grad. Auf ihrer Oberfläche sind es 6.000 Grad. Doch das Gas der Korona kann mehrere Millionen Grad erreichen.
Brühend heiße Sonne: Die Temperatur im Sonnenkern beträgt 15 Millionen Grad. Auf ihrer Oberfläche sind es 6.000 Grad. Doch das Gas der Korona kann mehrere Millionen Grad erreichen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
4,6 Milliarden Jahre, so alt ist unsere Sonne und es wird sie noch ungefähr 5 Milliarden Jahre länger geben.
4,6 Milliarden Jahre, so alt ist unsere Sonne und es wird sie noch ungefähr 5 Milliarden Jahre länger geben. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
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Warum kommt es ungefähr alle elf Jahre zum Polsprung bei der Sonne?

Da die Sonne bei der Entstehung des Sonnensystems einen Drehimpuls erhalten hat, kommt es letztendlich zu der Polumkehr. Dieser Drehimpuls verlangsamt sich über Milliarden Jahre durch die Abgabe von Teilchen und andere Prozesse. "Basierend auf der in der Sonne vorhandenen Materie, die vor allem aus Wasserstoff- und Helium-Atomen besteht und leitfähig ist, entstehen durch die Drehung der Sonne Magnetfelder in ihrem Inneren", so der Experte. 

Wenn die Sonnenaktivitäten in ihrer Phase des Minimums sind, hat die Sonne im Grunde genommen einen Bi-Pol, also einen Nord- und Südpol. Jedoch hängt dies mit der Konzentration der Materie in ihrem Inneren, ihrer Form und Rotation zusammen. Wenn die Sonnenaktivitäten ihre Maximalphase erreichen, kann aus dem Bi-Pol ein Multipol werden. Es gibt dann etliche "kleine Pole und größere Sonnenflecken-Gruppen an" ihrer Oberfläche.

Während der Höhepunkt-Phasen kommt es zu mehr Sonnenstürmen. Zwar wird dann noch mehr Materie nach außen ins Weltall geschleudert, aber im Vergleich zur Gesamtmasse der Sonne macht dies kaum einen Unterschied. Erst auf Zeitskalen von Hunderten Millionen Jahren wird dieser Wert nennenswert relevant. 

Wann ein Sonnensturm für die Erde wirklich wichtig wird

Solche Sonnenstürme können auch zur Erde unterwegs sein. Es kann dann zu einer sichtbaren Zunahme von Polarlichtern kommen, aber es ist auch oft die Rede von möglichen Stromausfällen. Doch was ist wirklich dran? Und wie gefährlich ist die Beobachtung vom 2. Februar 2023 für die Erde? 

Eine eruptive Protuberanz der Sonne im extremen UV-Licht am 30. März 2010 mit der Erde als Überlagerung zur Veranschaulichung.
Eine eruptive Protuberanz der Sonne im extremen UV-Licht am 30. März 2010 mit der Erde als Überlagerung zur Veranschaulichung. Bildrechte: NASA, SDO

Bothmer kann erst mal Entwarnung geben. Die beobachtete Protuberanz ist zwar abgebrochen, jedoch gen Nordpol der Sonne gewirbelt worden. Sie ist somit nicht auf die Erde zugerast. Auch wenn an manchen Orten auf der Erde Polarlicht-Aktivitäten zugenommen haben – mit diesem Ereignis hat das nichts zu tun. 

"Es gibt im Prinzip tausende, zehntausende von Sonnenstürmen, aber viele von ihnen sind wirklich klein. So gesehen stürmt es immer auf der Sonne", beschwichtigt Bothmer. "Wenn sie beispielsweise 10.000 Sonnenstürme nehmen, sind nach unseren Statistiken vielleicht 50 schneller als 2.000 Kilometer pro Sekunde." Und um von der Sonne zu entweichen und nicht auf sie zurückzufallen, braucht es solche Geschwindigkeiten. 

Sind Sonnenstürme eine Gefahr für die Erde?

Ob ein Sonnensturm dann tatsächlich auf dem Weg zur Erde ist, dafür gibt es dann 3D-Modelle. Das Licht eines solchen Sturms benötigt ungefähr acht Minuten bis zur Erde – der Sturm selbst aber mindestens eine Stunde, denn dieser hat keine Lichtgeschwindigkeit. Zudem muss der Sonnensturm 150 Millionen Kilometer wandern, um überhaupt in die Reichweite der Erde zu gelangen. Unser kleiner Planet ist im Vergleich zum Sonnensturm eine kleine Stecknadel. 

Ein Sonnensturm
Ein Ausschnitt eines Sonnensturms. Bildrechte: NASA/GSFC/Solar Dynamics Observatory

Dabei ist es nicht egal, wo die Erde den Sturm durchquert. Bothmer vergleicht es wie mit einem Hurrikan auf der Erde. Aus all diesen Informationen können die Forschenden berechnen, ob es auf der Erde zu erhöhten Polarlicht-Aktivitäten kommen kann und zu einem Sturm des Erdmagnetfeldes:

Die von der Sonne ausgeschleuderten Teilchen prasseln nicht einfach auf die Erdatmosphäre, da sie durch das Erdmagnetfeld abgeschirmt werden. 

Bei stärkeren Sonnenwinden wird das Erdmagnetfeld auf der sonnenabgewandten Seite zusammengedrückt. "Bei diesem magnetischen Kurzschluss entstehen wie auch auf der Sonne elektrische Felder, die Elektronen, die ursprünglich aus der Erdatmosphäre stammen, beschleunigen", beschreibt der Sonnenphysiker. 

Wirklich gefährlich sind solche Ereignisse aber nicht. Es wird zu keinen Ausfällen von Computern kommen. Nur bei wirklich fein eingestellten Sensoren kann es zu Störungen kommen, aber auch in Leitungen ab etwa 30 Kilometern Länge – vorausgesetzt, es handelt sich um einen koronalen Massenauswurf, der elektrische Ströme bis hinunter zum Erdboden hervorruft. Anders sieht es im Weltraum aus, beispielsweise bei Satelliten oder auf Raumstationen – wobei Letztere immer einen Schutzraum haben, in den sich die Raumfahrenden während eines koronalen Ausbruches zurückziehen können. 

Das Magnetfeld der Sonne und die Freisetzung von Plasma wirken sich direkt auf die Erde und den Rest des Sonnensystems aus
Das Magnetfeld der Sonne und die Freisetzung von Plasma wirken sich direkt auf die Erde und den Rest des Sonnensystems aus Bildrechte: imago/UPI Photo

Es kann aber sein, dass bei einem Sonnensturm Strahlung als Lichtblitz – einem Flare – freigesetzt wird. Dieser braucht wie das Licht nur rund acht Minuten zur Erde: "Auf der Tagseite der Erdatmosphäre entsteht dann kurzfristig eine Ionisierung von Teilchen in einer Höhe von achtzig bis tausend Kilometern." Es entstehen mehr Elektronen, die zu einer Atmosphärenveränderung führen und Funkwellen und GPS-Signalen stören können. Dieser Effekt ist aber nicht langanhaltend. 

Was die Sonnenforscher Skov und McIntosh beschrieben haben, ist auf jeden Fall "eine spektakuläre Beobachtung, die das Erreichen des bevorstehenden Maximums und die Umpolung ankündigt", so Bothmer. Mehr aber auch nicht. 

Wissen

Ansicht der Sonne mit der im Stile eines Wasserzeichens eingefügten Zahl Zehn. 12 min
Was wissen wir über unsere Sonne? Bildrechte: MDR