Sachsen blüht Wiesen mähen, aber richtig – mit Wissenschaft Insekten helfen

28. Juni 2021, 10:47 Uhr

Seit fast zwei Jahren gibt es "Sachsen blüht". Das ist eine Initiative des Sächsischen Landtages. Dabei geht es darum, in besiedelten Räumen, also in Dörfern und Städten blühende Wiesen anzulegen. Diese sollen dann zum Lebensraum für viele Insektenarten werden und sollen die Biotopvernetzung in Sachsen fördern. Alle, die mitmachen – Kommunen, Firmen oder Privatpersonen – bekommen das Saatgut kostenlos und müssen die Wiesenflächen dann pflegen, nach vorgegebenen Regeln.

Blühstreifen 5 min
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Seit fast zwei Jahren gibt es "Sachsen blüht" - eine Initiative des Sächsischen Landtages. Dabei geht es darum, in Dörfern und Städten nach vorgegebenen Regeln blühende Wiesen anzulegen.

MDR KULTUR - Das Radio Di 22.06.2021 14:01Uhr 04:31 min

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Ohne den Menschen gäbe es keine Wiese. Sie ist ganz klar eine Kulturlandschaft, sagt Matthias Nuß vom Senckenbergmuseum für Tierkunde in Dresden. "Die Wiese ist ein Ökosystem, das nur deshalb existiert, weil es immer wieder gestört wird." Weil wir eine Wiese mähen oder weil sie beweidet wird, so Nuß. "Als der Mensch unsere Umwelt hier in Mitteleuropa in Besitz genommen hatte, wurden Wiesen benötigt, um Futter für das Vieh zu haben." Erst dadurch sei dieses Offenland überhaupt entstanden, so Schmetterlingsexperte Nuß, "und in diese Kulturlandschaft sind viele Arten eingewandert aus verschiedenen Himmelsrichtungen. Und all das zusammen macht eigentlich unsere artenreiche Umwelt aus."

Die Wiese ist ein Ökosystem, das nur deshalb existiert, weil es immer wieder gestört wird.

Dr. Matthias Nuß, Senckenbergmuseum für Tierkunde, Dresden

Doch das Artenreichtum leidet. Fast die Hälfte unserer Tier- und Pflanzenarten sind zurückgegangen, jede zehnte Art ist sogar vom Aussterben bedroht oder ganz verschwunden. Wiesen können da wieder helfen, davon ist Matthias Nuß überzeugt. Aber nur dann, wenn sie richtig bewirtschaftet werden. Eine Wiese sollte demnach im Jahr nur dreimal gemäht werden, sagt der Wissenschaftler. Und man sollte nicht zu spät damit anfangen.

Die Gräser fangen immer sofort an zu wachsen, wenn wir keinen Frost mehr haben. Im Flachland Mitte Mai, dann sind sie schon in voller Blüte. Und jetzt muss ich eigentlich eine Wiese mähen, um die Gräser zurückzunehmen. Und dann kommt Luft und Licht in meine Wiese. Und jetzt können sich doch mal die krautigen Pflanzen entwickeln.

Dr. Matthias Nuß, Schmetterlingsforscher

Mäht man dann die Wiese Mitte bis Ende Juli ein zweites Mal, stimuliert man einen Blütenflor im Sommer, erklärt Matthias Nuß. Eine Wiese bis zum September durchwachsen zu lassen, mache aber keinen Sinn. Man würde nur Pflanzen bevorteilen, die eine hohe Wuchsform haben. Nach etwa drei Jahren hätte man dann keine Wiese mehr, sondern eine Staudenvegetation. Der Zeitpunkt des Mähens, der sogenannte Mahdtermin, beeinflusst also sehr stark die Zusammensetzung der Pflanzen auf meiner Fläche.

Das Wichtige ist aber, dass ich bei jedem Mahdtermin einen Teil der Fläche ungemäht belasse. Weil in diesem Teil können sich dann Teile der Insektenpopulationen weiterentwickeln. Und von diesem Teil können sich dann die Insekten wieder in die Fläche ausbreiten.

Dr. Matthias Nuß

Wie wichtig das richtige Mähen ist, das konnte Matthias Nuß in wissenschaftlichen Studien zeigen. Dabei wurden in Dresden und Umgebung Flächen miteinander verglichen: neun intensiv gemähte Flächen mit neun sogenannten Schmetterlingswiesen, die vier Jahre lang nur dreimal im Jahr und nie komplett gemäht wurden. 

Ein Mann mit einer Sense in der Hand
Die Mahd mit der Sense wird vermutlich nur auf den wenigsten Blühwiesen genutzt. Bildrechte: imago/Westend61

Dazu sind wir fünfmal auf jede Fläche gegangen und haben jeweils 100 Kescherschläge im Vorwärtsgehen gemacht und über diese 100 Kescherschläge können wir dann diese Flächen quantitativ miteinander vergleichen.

Dr. Matthias Nuß

Die Ergebnisse dieses professionellen Insektenfangens mit dem Kescher waren überzeugend, sagt Matthias Nuss. Auf den Schmetterlingswiesen fand sich etwa 100 Mal so viel Biomasse wie auf den intensiv gemähten Flächen. Auch gab es auf den Schmetterlingswiesen 40 Mal mehr Larven, die Vielfalt der Insekten war höher, man fand Bienen Käfern, Wanzen, Heuschrecken, Tagfalter, Raubfliegen und Schwebfliegen. Und artenreiche Wiesen machen auch das Leben in der Stadt besser, erklärt Matthias Nuß. Intakte Grünflächen mit vielen Insekten bieten eine gute Nahrungsgrundlage für Singvögel. Und auch den Menschen geht es besser wenn es summt, zirpt und zwitschert.

Zum einen haben wir in den letzten drei Jahren, die ja sehr trocken und heiß waren, gesehen, dass es auf den Schmetterlingswiesen einige krautige Pflanzen gibt, die auch im August, wenn alle andere Grasvegetation gelb und staubig wird, noch grün sind und zum Teil auch Blüten hervorbringen. Unter dem Gesichtspunkt des Klimawandels kommen wir auch auf ganz andere Gedanken, wie unsere Grünflächen bepflanzt werden sollten.

Dr. Matthias Nuß

Noch vor wenigen Jahren, erklärt der Wissenschaftler, seien Rasenflächen in Städten bis zu 10 Mal im Jahr gemäht worden. Er sei froh, dass hier langsam ein Umdenken stattfinde. Darauf zielt auch letztendlich auch die Initiative "Sachsen blüht" ab. Mit dem Blühsamen, den man interessierten Kommunen, Vereinen oder Privatpersonen zur Verfügung stellt, will man nicht nur die Artenvielfalt erhöhen, sondern auch die Akzeptanz stärken, sagt Elisa Gurske vom Deutschen Verband für Landschaftspflege, der für die Koordination und Umsetzung zuständig ist.

Es muss halt nicht immer ein Englisch kurzer Rasen sein, man sieht es jetzt doch durchaus öfter, dass Vegetation stehengelassen wird auf Wiesen, und dass mehr Wissen in der Bevölkerung auch entsteht und das Auge sich dran gewöhnt.

Elisa Gurske, Deutscher Verband für Landschaftspflege

Der Erfolg ist bemerkenswert, freut sich Elisa Gurske. In nur zwei Jahren sind über ganz Sachsen verteilt 300 Blühwiesen entstanden – auf einer Fläche von 45 Hektar – das ist mehr als der Clara-Zetkin-Park in Leipzig. Und es sollen noch mehr Blühwiesen werden – vom Land Sachsen ist die Initiative nun offiziell verlängert worden.

Über das Projekt

"Sachsen blüht" ist eine Initiative des Sächsischen Landtages. Dabei stellte die Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU) im Rahmen des Projekts "Puppenstuben gesucht – Blühende Wiesen für Sachsens Schmetterlinge" kostenlos gebietseigenes zertifiziertes Saatgut für geeignete Flächen mit einer Größe zwischen 1000 und 2000 m² zur Verfügung. Laut LaNU wird die Aktion auf der Grundlage des im Mai vom Sächsischen Landtag beschlossenen Doppelhaushalt für die nächsten zwei Jahre fortgeführt. Hier können Sie sich noch bis zum 27. Juli 2021 um Saatgut für den Herbst bewerben.

Die Untersuchung von Jennifer Wintergerst und Matthias Nuß, die im Rahmen des Projektes entstanden ist, erschien 2019 in der Sächsischen Entomologische Zeitschrift unter dem Titel "Quantitative Erfassung von Insekten auf Schmetterlingswiesen". Sie können sie hier als pdf lesen.

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