Birken stehen in Mitten von toten Nadelbäumen an denen Wanderer vorbei gehen.
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Green Deal und Umweltschutz Was, wann, wo, warum: Was steckt hinter dem EU-Renaturierungsgesetz?

21. Juni 2024, 15:24 Uhr

Weniger Pestizide, mehr natürliche Ökosysteme wie Feuchtgebiete und Grasland - die Umweltministerinnen und -minister der Europäischen Union haben das seit Monaten umkämpfte Renaturierungsgesetz verabschiedet. Insbesondere die Landwirtschaft befürchtet Regeln, die im schlimmsten Fall die Nutzung von Flächen unwirtschaftlich machen könnten. Umweltorganisationen feiern einen Erfolg, beklagen aber Lücken in dem Gesetz. Was bedeutet das Gesetz genau? Wie wirkt es sich aus? Ein Überblick.

Wie steht es um die Natur?

Nach Angaben der EU-Kommission sind über 80 Prozent der Lebensräume in der EU in einem schlechten Zustand - Tendenz steigend. Dafür verantwortlich ist demnach neben dem Klimawandel vor allem die konventionelle Landwirtschaft mit übermäßigem Einsatz von Düngemitteln und Chemikalien. Viele Wälder in der EU sind nicht gesund, Meeresökosysteme leiden besonders unter der Klimaerwärmung. Erst kürzlich vermeldete das Landesamt für Gesundheit und Soziales wieder gefährliche Vibrionen in der Ostsee, die sich durch immer wärmeres Meereswasser besonders leicht vermehren. Doch nicht nur die Ostsee- und die Nordsee gilt als überhitzt, auch der Nordatlantik erwärmt sich immer mehr. Allein in den vergangenen zehn Jahren sind laut Kommission 71 Prozent der Fisch- und 60 Prozent der Amphibienpopulationen zurückgegangen. 

Die Verabschiedung des Renaturierungsgesetzes ist ein großer Tag für den Naturschutz.

Professor Josef Settele Leiter des Departments Naturschutzforschung am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung in Leipzig und Halle
Mann mit kürzeren grauen Haaren, grauem Schnauzbart, Brille, karietem Hemd und Weste blockt neutral-freundlich in die Kamera, dunkler unscharfer Hintergrund. 7 min
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MDR KULTUR - Das Radio Do 20.06.2024 10:50Uhr 06:31 min

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"Es ist ein großer Tag für den Naturschutz", sagte Professor Josef Settele, Leiter des Departments Naturschutzforschung am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung in Leipzig und Halle (UFZ) im Gespräch mit dem MDR. Erstens, weil internationale Abkommen umgesetzt würden. "Zweitens haben wir mit dem Gesetz auch große Fortschritte im Naturschutz besonders bei den Bestäubern erzielt."

"Dieses Gesetz ist ein zentraler Bestandteil des Green Deal und ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Natur- und Artenkrise. Es schützt und stärkt auch uns Menschen, die Wirtschaft und die Landwirtschaft in Europa", erklärte Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

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Was soll dagegen getan werden?

Das Gesetz verpflichtet die EU-Länder, bis 2030 mindestens je 20 Prozent der geschädigten Flächen und Meeresgebiete und bis 2050 alle bedrohten Ökosysteme wiederherzustellen. Bis 2050 sollen dann alle "sanierungsbedürftigen Ökosysteme" erfasst werden. Die Vorgaben betreffen explizit nicht nur Naturschutzgebiete, sondern auch bewirtschaftete Flächen wie Wälder, Felder und auch städtische Gebiete. Die Land- und Forstwirtschaft soll nachhaltiger sowie die Städte grüner werden. Vorhandene Naturschutzgebiete werden renaturiert und besser geschützt, weitere Schutzgebiete entstehen. Zentrales Werkzeug sollen wissenschaftsbasierte Wiederherstellungspläne sein.

Ein wichtiger Aspekt des neuen Gesetzes ist, dass wir die gesamte Landschaft betrachten, nicht nur die Naturschutzgebiete und diese nachhaltig entwickeln wollen.

Prof. Josef Settele
Professor Josef Settele forscht am UFZ in Leipzig und ist Mitglied im Weltdiversitätsrat. Bildrechte: UFZ / Björn Kray Iversen

"Ein wichtiger Aspekt des neuen Gesetzes ist, dass wir die gesamte Landschaft betrachten, nicht nur die Naturschutzgebiete, und diese nachhaltig entwickeln wollen", sagte Settele. "Wir Menschen sind Teil der Natur. Das spielt vor allem in Mitteleuropa eine Rolle, wo es sehr viel Kulturlandschaft gibt und wenig Wildnis. Hier geht es auch darum, große Agrarlandschaften durchgängiger zu machen für Organismen und Insekten in einem Biotopverbund. Doch es geht auch um eine Stabilisierung von Agrarökosystemen, damit sie Schädlingen weniger ausgesetzt sind."

Was wird konkret passieren?

Konkret sollen das Insektensterben gestoppt und die Populationen von Bestäubern wie Bienen bis 2030 wachsen. In Städten sollen unter dem Strich keine Grünflächen mehr verloren gehen und ihr Anteil bis 2050 ansteigen. Gleichzeitig sollen die EU-Staaten die Zahl der Bäume in ihren Städten erhöhen. Entwässerte Flussauen oder Moore sollen "wiedervernässt" werden und Flüsse durch den Abbau physischer Hindernisse wieder frei fließen. Laut Schätzungen sind nur 40 Prozent der europäischen Gewässer in gutem Zustand. Nicht-nachhaltige Landwirtschaft, Wasserkraft, Dämme und Schifffahrt gelten als die Hauptbelastungen, die eine Erholung der europäischen Gewässer verhindern. Wälder sollen wieder natürlicher wachsen und etwa Totholz nicht mehr entfernt werden. Nur gesunde Wälder können Luft verbessern, Kohlenstoff speichern, vor Erosionen schützen und extremen Wetterverhältnissen standhalten.

Flut im Biosphärenreservat Mittelelbe
Trockengelegte Landschaft, die kein Wasser mehr aufnahmen kann und begradigte Flüsse führen immer öfter zu Überschwemmungen. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Warum ist es so wichtig, dass Moore wieder Moore werden?

Werden Moore trockengelegt, setzen sie riesige Mengen an Kohlendioxid frei. Die EU ist der weltweit zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen aus entwässerten Mooren, die etwa sieben Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen der EU ausmachen. In Deutschland setzen laut BUND 1,4 Millionen Hektar entwässerte Moore jedes Jahr 53 Millionen Tonnen Kohlendioxid frei, das entspricht 7,5 Prozent der gesamten deutschen Treibhausemissionen. Durch die Wiedervernässung entwässerter Moore können diese Emissionen erheblich reduziert werden. Moore sind auch die Heimat spezialisierter Pflanzen-, Amphibien- und Vogelarten, die oft europaweit oder global bedroht sind.

Birkenhain (Betula pubescens)
Moore sind nicht direkt von der Landwirtschaft nutzbar, haben aber einen enormen Effekt auf Artenvielfalt, erhöhen die Wasseraufnahmekapazität der Natur und binden Kohlendioxid. Bildrechte: MAGO / imagebroker

Wer finanziert das?

Die EU-Länder müssen das EU-Renaturierungsgesetz jetzt in nationale Gesetzfassungen gießen. Das kann naturgemäß jetzt einige Zeit in Anspruch nehmen. Dabei müssen die nationalen Gesetze natürlich auch mit einer Finanzierung zur Umsetzung unterfüttert werden. Wie viel Geld davür verwendet wird, ergeben in Deutschland dann die Verhandlungen um ein deutsches Renaturierungsgesetz. "Die Bundesregierung muss ihrer Verantwortung gerecht werden und die Lehren aus den jüngsten Überflutungen in Deutschland ziehen. Deshalb fordern wir flankierend zum Nature Restoration Law ein Sondervermögen für Klimaanpassung, Klimaschutz und Katastrophenschutz", sagte Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

Welche Ausnahmen gibt es von den Vorschriften?

Die Mitgliedstaaten setzten in den Verhandlungen mit dem Europaparlament eine Reihe von Ausnahmen durch, mit denen sie die betroffene Fläche verringern können. In ihren Plänen dürfen die Regierungen etwa regionale Besonderheiten und die Bevölkerungsdichte berücksichtigen. Länder mit besonders großen Moorflächen bekommen mehr Zeit für die Wiedervernässung.

Unter bestimmten Bedingungen kann die EU-Kommission die zusätzlichen Naturschutz-Auflagen zudem vollständig aussetzen. Diese Regelung greift laut Kompromiss in unvorhersehbaren Krisensituationen, die "schwere, EU-weite Folgen für die Ernährungssicherheit" haben.

Wenn Einbuße beim agrarischen Betrag drohen, können die Gesetze ausgesetzt werden. Hier bleibt der Spielraum, die Landwirtschaft weiter mit viel Dünger und Pestiziden zu betreiben, um Erträge zu sichern. Das ist der Haken für den Naturschutz und der Bonus für die Landwirte.

Professor Josef Settele Forscher und Biologe am UFZ Leipzig

"Wenn Einbuße beim agrarischen Betrag drohen, können die Gesetze ausgesetzt werden. Hier bleibt der Spielraum, die Landwirtschaft weiter mit viel Dünger und Pestiziden zu betreiben, um Erträge zu sichern. Das ist der Haken für den Naturschutz und der Bonus für die Landwirte", sagte Forscher Settele vom UFZ, der auch Mitglied des Weltbiodiversitätsrats ist.

Was bedeutet das für die Landwirtschaft?

Das Gesetz legt drei Indikatoren fest, die eine Verbesserung beim Zustand der Natur in der Landwirtschaft anzeigen: die Entwicklung der Insektenpopulation, Elemente wie Blühstreifen und Hecken auf Ackerflächen und die Fähigkeit der Böden, Kohlendioxid (CO2) einzuspeichern. Bis 2030 und danach alle sechs Jahre sollen sich mindestens zwei der Indikatoren verbessern.

Im Licht der Abenddämmerung zieht ein Mähdrescher eine große Staubwolke bei der Ernte auf einem Getreidefeld bei Halberstadt hinter sich her.
Riesige Felder: Die Landwirtschaft mag sie, weil sie leichter zu bewirtschaften sind. Für die Natur sind sie schädlich, weil sie Biotope durchschneiden, gepaart mit Pestiziden Insekten vernichten und riesige Monokulturen Ökosysteme labil werden lassen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Matthias Bein

Um diese Ziele zu erreichen, müssten landwirtschaftliche Betriebe etwa den Einsatz von Pestiziden deutlich reduzieren. Land- und Forstwirte befürchten neben einem höheren bürokratischen Aufwand deshalb vor allem Verluste von Flächen - entweder, weil diese dann nicht mehr bewirtschaftet werden dürfen oder weil sich die Bewirtschaftung etwa ohne Pestizide nicht mehr lohnt.

Zwei Deutschlandkarten zeigen chemischen Zustand für Nitrat in Gut und Schlecht sowie mittlere Nitratgehalte an Messstellen in vier Kategorien von 0 bis über 50 Mililiter pro Liter Nitrat in Grundwasser.
Die Zerstörung der Umwelt wirkt sich letztlich auf die Menschen aus. Durch Überdüngung ist heute oft viel zu viel Nitrat im Grundwasser. Bildrechte: Umweltbundesamt (M), MDR WISSEN

Die EU-Kommission setzt hier unter anderem auf technologische Verbesserungen wie präzisere Sprühgeräte und Schädlingserkennungstechniken. Langfristig verspricht sich Brüssel sogar höhere Erträge: "Eine gesunde Natur stärkt unsere Lebensgrundlagen - von der Sauerstofferzeugung über die Bestäubung bis hin zu sauberem Trinkwasser und gesunden Böden."

Wie lässt sich die Erholung der Natur, die Biodiversität messen?

Wissenschaftler messen die Erholung der Natur an vielen verschiedenen Faktoren. Wichtige Elemente sind dabei die Zahl der Bestäuber, also die Zahl an Bienen, Hummeln, Käfern und auch Wespen. Weiterhin gibt es einen sogenannten "Wiesenindikator", der Auskunft gibt über die Zahl der Schmetterlinge und anderer Insekten. Forscher messen zudem den Kohlenstoff im Boden und bewerten den "Strukturreichtum in der Landschaft".

Links/Studien

Information der EU zum Gesetz:
Das Gesetz im Wortlaut gibt es hier.
Hintergründe der EU zum Gesetz
Wie lässt sich Biodiversität messen? Infos dazu gibt es hier.

MDR/tomi/afp/bund/nabu

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