Insekten Halles Mücken-Plage hat eine lange Geschichte
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17. September 2021, 15:58 Uhr
Schon in den 1920er-Jahren hatte Halle mit Mücken zu kämpfen, heißt es in einer ärztlichen Wochenschrift. Was war damals anders als heute? Damals nahm die Stadt Geld in die Hand gegen die sirrenden Lästlinge.
Gerade erst hat uns Deutschlands Mückenpäpstin Dr. Doreen Werner erklärt, dass in Halle, so lästig die Mücken in diesem Jahr zwar sind, alles im grünen Bereich ist. Da schickt uns Dr. Andreas Stark vom Zoologischen Institut in Halle einen spannenden Artikel aus dem Jahr 1928, aus dem Sonderabdruck Nr. 30 und 32 von "Die Medizinische Welt", einer ärztlichen Wochenschrift. Titel des Aufmachers: "Die Mückenbekämpfung der Stadt Halle" aus dem Stadtgesundheitsamt Halle. Ein Zeitzeugnis, das uns in das Leben in Halle im frühen 20. Jahrhundert entführt. Eine Zeit, in der das Stadtgesundheitsamt das massive Mückenauftreten untersuchte und bekämpfte. Es gab die Sommer- und die Winterbekämpfung, wie auch in anderen mückengeplagten Regionen Deutschlands, beispielsweise in Baden-Württemberg.
Mücken: Bekämpft mit Flammen und öliger Flüssigkeit
In Halle wurden Keller und Gewölbe von städtischen Beauftragten abgeflammt, "überflüssige" Tümpel zugeschüttet, Kleingartenvereine wurden im Saporieren unterwiesen und verpflichtet, jegliche Mückenbrutplätze zu beseitigen. Saporieren? "Das war die sogenannte Saprol-Abdeckung, eine ölige Flüssigkeit, die auf den Tümpeln ausgebracht wurde," erklärt der Hallenser Biologe Dr. Andreas Stark, "Maßnahmen, die heute und nicht nur in Naturschutzinseln undenkbar wären." Schließlich ersticken an dem Erdöl-Destillat auf dem Wasser nicht nur die Mückenlarven, sondern auch andere Lebewesen im Wasser, auf und unter der Oberfläche. Heute ebenfalls nicht mehr denkbar: Das Abflammen, Ausräuchern von Kellerräumen oder der Einsatz von Insektizid in Kellergewölben. "Ein Mann trug die Karbidlampe zum Ableuchten, der andere die Spritze mit 3prozentigem Floria insectizid" heißt es in dem Artikel von 1928.
Mücken checken nicht im Insektenhotel ein: Sie mögen Keller
Und heute, wie ist das mit Mücken im Keller? Hervorragende Mückenquartiere für den Winter, mit konstant niedriger Temperatur zwischen fünf und sieben Grad, das sind optimale Bedingungen für die kleine Blutabstinenz zwischendurch. Biologe Stark kennt solche Keller in Altbauten: "Die Decken waren schwarz vor Mücken, wenn man reinging." Hervorragende Mückenhotels sozusagen, bestens ausgebucht. In den späten 1920er-Jahren wusste man das auch schon, die Stadt Halle, ließ sich, wie andere mückengeplagte Städte und Regionen auch, Maßnahmen gegen die sirrenden Nachtruhestörer einiges kosten. 1928/29 waren zum Beispiel 3.000 Mark für die Sommerbekämpfung und 6.900 Mark für die Winterbekämpfung in den Stadthaushalt eingestellt.
Was macht Halle heute gegen Mücken?
Und heute? Sind die Mücken wie 1928/29 ein Fall für die Stadt, oder regelt die Bürgerschaft das selbst? "Der Stadt ist die Lage selbstverständlich bekannt. Entsprechende Prüfungen und Abwägungen wurden vorgenommen.", schreibt uns Halles Pressesprecher Drago Bock. "Auf der Basis fachlicher Einschätzung hat die Stadt in der Abwägung entschieden, weiterhin keine Maßnahmen zu ergreifen." Da die Mücken ob ihrer großen Zahl zwar ein Ärgernis, aber kein Gesundheitsrisiko darstellten, sei ein großflächiger Einsatz von Bioziden in der unter Schutz stehenden Saale-Elster-Aue nicht verhältnismäßig. "Für eine temporäre Erleichterung müsste ein Gebiet, das mehreren Schutzgebietsverordnungen (Flora-Fauna-Habitat; Naturschutzgebiet) unterliegt, durch einen massiven Einsatz von insektentötenden Mitteln behandelt werden." Das würde das gesamte Ökosystem, besonders die Insektenvielfalt massiv beeinträchtigen und nachhaltig schädigen.
Für Fragen kann man sich an das städtische Internet-Portal "Sag's uns einfach" oder an das Dienstleistungszentrum Bürgerbeteiligung wenden, oder an den Fachbereich Umwelt" Wie viele Menschen sich genau in Sachen Mücken diesen Sommer an die Stadt gewandt haben, wird nicht statistisch erfasst.
Mythos: Der Deckel auf der Regentonne als Schutz vor Mückenlarven
Also heißt es in Halle heute: Selbst ist die Bürgerschaft. Widmen wir uns dem Mythos von der abgedeckten Regentonne. Das Abdecken schützt gegen Mückenbrut. Nicht neu, das wusste man bei der Stadt Halle vor knapp hundert Jahren auch schon. Nicht die Regentonnen für das Waschwasser in den Hinterhöfen, sondern die in den vielen kleinen Gartenkolonien seien die Brutstellen für die lästigen Culexlarven. "Es wimmelte in den Regentonnen und Erdgruben im undurchlässigen Boden von Mückenlarven" heißt es in dem Artikel." Und weiter: "Bei Rundgängen mussten wir den Leuten erst einmal an Ort und Stelle zeigen, welche Unmengen (Mücken) in ca 7.000 Einzelgärten mit durchschnittlich zwei Regentonnen im Laufe eines Sommers ausgebrütet werden." Das Abdecken der Fässer sei zwar ein Mittel, das gewissenhaft angewandt, von Erfolg gekrönt sein könne. Dem Laien solle man es nie empfehlen, da es falsch angewandt, nur Schaden bringe, resümieren die Autoren des Artikels, Arnold Japha und Hans Osterwald, schon damals.
Die blinden Flecken heute, wenn es um Mücken-Brutstätten geht
Und 2021, sind da die Menschen in den Gärten schlauer? Biologe Stark: "Das Abdecken wird nicht konsequent genug gemacht. Sobald man die Tonne nicht 100prozentig abdecken kann, reicht eine Mücke, die ein Eipaket ablegt mit 100 Eiern. Dann entwickeln sich die Larven, und nach zwei Wochen steigt eine Mückenwolke auf, wenn man den Deckel aufmacht." Der Biologe verweist auf weitere Brutstätten: Blumenuntertöpfe, am besten umkippen, damit da kein Wasser drinsteht. Genau wie auf Friedhöfen die Steckvasen. Unauffällig und wenig beachtet, wunderbare Kinderstuben für Mücken. "In unserem Umfeld können wir schon Dinge regulieren, damit wir weniger von Mücken gestochen werden: Zum Beispiel die Gießkanne im Garten komplett leeren", sagt Andreas Stark. "Aber wenn ich mein Haus in einer Aue baue, in einer feuchten Senke, muss ich nun mal mit Mücken leben." Eine cleane Umwelt, für ihn eine Utopie. Es sind die Menschen, die der Natur auf die Pelle rücken, meint der Biologe und verweist auf den enormen Flächenverbrauch für Bauland. "Wir sind die Störenfriede in Lebensräumen von Pflanzen und Tieren. Aber das will ja keiner hören."
Warum Mücken hoch hinaus wollen und warum das das Ende der Romantik bedeutet
Gleich, wie wir dazu stehen, wir wollen aber in jedem Fall noch zwei Dinge hören: Wann hat das Mücken-Elend ein Ende? Wagt der Biologe eine Prognose? "Den Mücken in der Aue gebe ich noch bis Ende September, Anfang Oktober. Die anderen sitzen dann im Keller und halten Winterruhe. Die werden nur aktiv, wenn es warm wird." Und selbst wenn sie in der Winterzeit stechen würden: Eier legen würden sie dann nicht, wohin auch und draußen ist es für sie dann zu kalt um dorthin zu fliegen, wo sie ihre Eier ablegen können.
Und die letzte Frage: Sind Mücken gern auf Hügeln unterwegs? Schwirren auf Erhöhungen wie in Halle dem Ochsenberg, Jena dem Jenzig oder Leipzig dem Scherbel- oder Fockeberg extrem viele Mücken herum und stören den romantischen Blick auf den Sonnenuntergang? "Unter Mücken gibt es auch Schwarmbildung", sagt Andreas Stark, "das machen auch andere Insekten." Die Wissenschaft nennt sich das Phänomen "Hilltopping". Auf Deutsch ist das die "Gipfelbalz", zum Mücken-Höhepunkt geht's also hoch hinaus und die Weibchen haben danach Hunger. Was wiederum zum Tiefpunkt der menschlichen Romantik führt: Wenn wir um uns schlagen, statt wie die Mücken beim Sonnenuntergang für Nachwuchs zu sorgen.
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