Klimawandel Grüne Wände, kühles Ende: Wie Leipzig sich ans Klima anpassen will
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05. August 2024, 11:14 Uhr
Städte heizen sich auf und kühlen nachts nur schwer ab. Oft ist es hier bis zu sieben Grad Celsius wärmer als im Umland. Das ist problematisch, weil die Bewohner der Städte in tropischen Nächten nur noch schwer Schlaf finden. Grün hilft, doch Flächen im versiegelten urbanen Raum sind begrenzt. Das Umweltforschungszentrum Leipzig erforscht jetzt im Projekt "Lebendige Wände", was grüne Fassaden leisten können. MDR WISSEN sprach mit Professor Uwe Schlink, über die Kraft der vertikalen Bepflanzung.
Professor Schlink, Sie erforschen in Leipzig Fassadengrün. Was erhoffen Sie sich?
Wir können nicht über Fassadengrün sprechen, ohne über Hitze zu reden. Aufgeheizte Städte zeigen deutlich, wie der Mensch das Klima beeinflusst. Sie kühlen sich nur schwer ab, in der Nacht liegen die Temperaturen deutlich höher als im Umland. In Leipzig beträgt der Unterschied aktuell schon bis zu sieben Grad. Kühlt es sich im Leipziger Umland auf 18 Grad nachts ab, haben sie im Zentrum immer noch 25 Grad. Die tropischen Nächte mit Temperaturen über 20 Grad sorgen für schlechten Schlaf, beeinflussen die Regeneration und sind vor allem für ältere Menschen, aber auch Schwangere, kleine Kinder und kranke Menschen ein Problem. Damit müssen Städte umgehen, sich anpassen und Abhilfe schaffen.
Können vertikale Bepflanzungen unser Hitzeproblem in Städten lösen?
Eine intelligente Begrünung der Quartiere ist die Lösung, um Hitze in Städten zu bekämpfen. Bislang gibt es zur Klimawirkung von Grünfassaden fast keine wissenschaftlichen Untersuchungen, deshalb starten wir unser Projekt "Lebendige Wände". Wir untersuchen, wie stark die Wirkung von Grünfassaden auf die Erwärmung der Gebäudewand ist, auf den Wärmeeintrag in das Haus sowie auf die mikroklimatischen Verhältnisse direkt um die Fassade herum. Es ist klar, dass eine einzelne Fassade nicht die ganze Stadt kühlen kann. Doch mehrere begrünte Gebäude können schon einen flächendeckenden Einfluss auf das Klima im Quartier haben.
Wie können wir uns das genau vorstellen?
Zusammen mit der Leipziger Wohnungs-und Baugesellschaft, dem Ökolöwen-Umweltbund Leipzig und der Initiative "Wir im Quartier" haben wir die Fassaden von vier 16-Geschossern in der Straße des 18. Oktober begrünt. Ein Haus hat eine Klimawand, ein weiteres eine Blütenwand und ist mit Kletterpflanzen wie Clematis und Hopfen bepflanzt. Eine dritte 'essbare Wand' wurde mit Kiwi und Traubenwein bestückt. An einer vierten Wand mit zusätzlichen Mikro-Klima-Sensoren wächst die amerikanische Pfeifenwinde.
Warum die amerikanische Pfeifenwinde?
Die Pfeifenwinde wächst sehr schnell und bildet sehr viel Laub mit großen Blättern aus. Ihre Blätter sind größer als Hopfenblätter, sie ist mehrjährig und winterhart. Mit Sensoren messen wir unter anderem Temperatur und Luftfeuchte, welche durch die Pflanzen verändert werden. Wir analysieren auch die Strahlung, die auf die Wand einfällt und wieder zurückgeworfen wird. Wie stark absorbiert welche Vegetation die Strahlung oder reflektiert sie? Die Bodenfeuchte interessiert uns ebenfalls.
Wie wollen Sie die Pflanzen bewässern?
Ziel ist es, die Bewässerung der Grünfassaden zu automatisieren – und zwar in Abhängigkeit von Bodenfeuchte und Wettervorhersage. Man könnte es auch nachhaltiges Gießmanagement nennen. Wenn es abends regnen soll, müssen wir ja vorher nicht gießen. Umgekehrt kann bei Dürre-Prognosen intensiv bewässert werden. Kombinieren wollen wir das mit einem Ampelsystem. Zeigt das Licht gelb oder rot, können sich auch die Bewohner austoben und aktiv werden.
Warum haben Sie die Neubauten ausgewählt?
Da dieser klassische WBS 70 Gebäudetyp sehr häufig vorkommt, lassen sich die Ergebnisse relativ leicht auf ähnliche Gebäude, auch auf andere Städten und Regionen übertragen. Gleichzeitig müssen aktuell viele dieser Gebäude saniert werden, hier könnten die Fassadenbegrünungen gleich mitgedacht und geplant werden.
Was sagen eigentlich die Bewohnerinnen und Bewohner?
Wir haben sie im Vorfeld intensiv einbezogen, eine Befragung gestartet und zweimal einen Runden Tisch organisiert mit Vertreterinnen der Stadtverwaltung, dem Gebäudeeigentümer sowie öffentlichen Organisationen. Letztlich gibt es auch viele Hemmnisse bei der Installation von Grünfassaden und da ist eine gemeinsame Diskussion verschiedenster Experten sehr hilfreich.
Welche Hemmnisse?
Viele Bewohner haben Vorbehalte, die Begrünung könnte Spinnen und auch Mäuse anziehen. Fachleute sind skeptisch, ob die Pflege gelingt damit das Grün nicht in die Nischen und über die Fenster wächst oder sich ins Mauerwerk hineinbohrt.
Lange hieß es, Fassadenbegrünungen seien viel zu teuer und zu aufwendig. Das hat sich also nicht geändert?
Der Pflegeaufwand ist da. So wie Sie Ihren Garten pflegen, müssen Sie auch Grünfassaden pflegen. Bislang gibt es relativ wenige Gartenbaufirmen, die Fassadenbegrünung zudem wirklich gern übernehmen, weil es einfach zu seltene Anwendungen gibt. Wenn es mehr Grünfassaden gäbe, würden sich auch mehr Pflegebetriebe darauf spezialisieren.
Ist es eine Frage des Wollens, auch politisch?
Der politische Wille ist da, der Leipziger Baubürgermeister hat uns sehr unterstützt. Auch die Bundesbauministerin hat mit ihrer aktuellen nationalen Hitzestrategie das Problem erkannt und konkrete Maßnahmen vorgeschlagen. Was fehlt, sind klare Regeln und eine Routine in der Verwaltung. Bei den praktischen Durchführungsverordnungen ist vieles unklar. Fassadenbegrünungen mit Kletterpflanzen betreffen ja auch die Statik und den Brandschutz, dafür brauchen Sie Genehmigungen. Mit mehr Erfahrung würde das reibungsloser gehen. Bei diesen Themen hatten wir im Projekt schon deutliche Probleme, die die Umsetzung der Fassadenbegrünung verzögerten. Deshalb kann unser Projekt auch als Prototyp beispielhaft wirken, um die Einrichtung künftiger Grünfassaden zu erleichtern.
Wie viel Potenzial sehen Sie bei der Kühlung durch Grünfassaden?
Ich vergleiche das immer mit einer Wohnung, in der es zu kalt ist, so dass man sich einen Heizofen besorgt. Den Ofen bemisst man dann in Kilowatt, also der gewünschten Heizleistung. Ähnlich ist es mit einer Fassade deren Begrünung eine Kühlleistung bringen soll. Wichtig ist es also, die Kühlleistung einer Grünfassade in Watt pro Quadratmeter zu messen. Hier fließt die Sonnenstrahlung ein, die Verdunstungskühlung der Blätter, die abgegebene Wärmestrahlung und die in die Wände abgeleitete Wärme. Das muss alles mit in eine Wärmebilanz eingerechnet werden. Dazu gibt es noch viel zu wenige Erkenntnisse und die wollen wir mit unserer Forschung erlangen. Fest steht jedoch schon jetzt: Grünfassaden kühlen, verbessern die Luft, locken Bestäuber an, sind ein Beitrag zur biologischen Vielfalt und können unsere Städte schöner und lebenswerter machen.
Links/Studien
Weitere Infos direkt beim UFZ: Lebendige Wände. Fassadengrün für multifunktionale Klimaanpassung in der Stadt
tomi
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell zum Hitze-Check | 30. Juli 2024 | 21:45 Uhr
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