Aufgeheizte Städte Schlaflos im Dachgeschoss: Wie lässt sich die Hitze in Städten stoppen?
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13. August 2022, 12:00 Uhr
Gnadenlos stieg die Hitze in vielen Städten in diesem Sommer bis zu 40 Grad und mehr. Das wird Normalität, prognostizieren Wissenschaftler des Forschungsverbundes "HeatResilientCity". Es sei höchste Zeit für Klimaanpassungen in der Stadt. Passiere dies nicht, werden Städte lebensgefährlich. Wie lässt sich die Hitze stoppen? MDR WISSEN sprach mit zwei Wissenschaftlern aus Dresden, Meteorologin Dr. Astrid Zieman und Physiker Dr. Christoph Schünemann vom Projekt "HeatResilientCity".
Inhalt des Artikels:
- Frau Dr. Ziemann, werden aufgeheizte Städte in Zukunft Normalität?
- Wie wichtig sind Luftschneisen?
- Keine gute Nachricht für alle, die im Dachgeschoss leben!
- Wir hatten über den notwendigen Schatten gesprochen. Woher bekommen wir den?
- Ist es noch zu verantworten, ausgewachsene Bäume zu fällen?
- Wie sieht es aus mit vertikaler Begrünung?
- Wären Rasensteine hier eine Lösung?
- Muss der Regenwasserabfluss also neu gedacht werden?
- Zurück zu den Parkplätzen: Kann man nicht generell alle Parkplätze entsiegeln?
Frau Dr. Ziemann, werden aufgeheizte Städte in Zukunft Normalität?
Dr. Astrid Zieman: Ja. Das Stadtklima führt tatsächlich dazu, dass sich besonders die Innenstädte immer weiter aufheizen und deswegen hitzebelastet sind - tagsüber und in der Nacht. Diese Situationen wird kein Einzelfall bleiben, im Gegenteil. Aufgeheizte Städte werden ein neues Durchschnittsphänomen, wenn Sie so wollen, Normalität. Gegenüber dem Land ist die Wärmebelastung vor allem nachts viel höher.
Ist die Situation auf dem Land wirklich so verschieden, warum?
Zieman: Auf dem Land haben wir nachts auch während der größten Hitzewellen niedrigere Temperaturen als in der Stadt. Grund sind die vielen Gebäude aus Stein, die Wärme speichern und in der Nacht abgeben. Grund sind auch asphaltierte Flächen, die Versiegelung des Bodens im großen Stil und damit einhergehend das wenige Stadtgrün. Das ist längst nicht mehr imstande das Klima einer Stadt umfassend zu regulieren. Alle diese Faktoren zusammen, führen dazu, dass die Wärme tagsüber gespeichert und in der Nacht abgeben wird. Kurzum: Die Gründe für die besonders starke Hitzebelastung in der Stadt sind Versiegelung sowie zu wenig urbanes Grün und urbanes Blau.
Was ist urbanes Blau?
Ziemann: Unter urbanem Blau fassen wir Brunnen, Bachläufe, Teiche, Flüsse zusammen, alles was mit Wasser zu tun hat. Alles was mit Pflanzen zu tun hat, nennen wir urbanes Grün.
Dresden hat mit der Elbe viel Wasser und trotzdem ein Hitzeproblem?
Ziemann: Das Wasser verfehlt auch her seine Wirkung nicht, die Elbwiesen sind wesentlich kühler. Doch die kühle Luft hat wenig Chance, in die Stadt zu dringen. Kalte Luft fällt nach unten, man bräuchte eine Neigung und die passenden Luftschneisen, damit die kühle Luft von den Elbwiesen in die Stadt hineinfließen kann. Wenn die kühle Luft nicht hineinfließen kann, weil die Neigung nicht passt und sich Hindernisse in den Weg stellen, kann keine Kühle in aufgeheizte Städte eindringen.
Wie wichtig sind Luftschneisen?
Dr. Christoph Schünemann: Ich kann die Aussagen von Frau Ziemann nur unterstreichen. Kaltluftschneisen sind ein wichtiger Punkt, sie müssen gewährleistet sein. Die Kaltluftschneisen sorgen dafür, dass frische und kühle Luft aus dem Umland in die Stadt transportiert wird. In Dresden liegen die Kaltluftschneisen beispielsweise in Gorbitz und führen die Kesselsdorfer Straße entlang, auch die Dresdner Südhöhe ist wichtig. Jeder Hang der nicht bebaut ist und kalte Luft bringt, ist Gold wert.
Versiegelung ist also ein großes Problem. Wie gravierend ist es?
Ziemann: Versiegelte Straßen und Plätze erreichen eine bis zu 30 Grad Celsius höhere Oberflächentemperatur im Vergleich zu einer grünen Wiese. Diese ist aber nicht zu verwechseln mit der Lufttemperatur. Was oft vergessen wird: Die gefühlte Temperatur (UTCI=Universeller thermischer Klimaindex) speist sich aus der Sonneneinstrahlung, aus der Wärmestrahlung der Bodenoberfläche und der Gebäude, der Lufttemperatur, der Luftfeuchte und der Windgeschwindigkeit. Deswegen fühlt sich vieles heißer an, als das Thermometer anzeigt. Es ist damit nicht minder relevant, weil der Körper mit seiner gefühlten Hitze ja direkt reagiert. Um hier eine Zahl zu nennen: Die gefühlte Temperatur zwischen einem Baumschatten und einer besonnten Fläche unterscheidet sich um etwa zehn Grad Celsius.
Warum ist es so wichtig, dass die Nächte kälter sind?
Ziemann: Das ist relativ einfach: Ein guter Schlaf ist bei Außentemperaturen von über 20 Grad nur schwer möglich. Wenn sich die Wohnung nicht mehr abkühlen lässt, leidet damit auch langfristig unsere Gesundheit.
Kann eine gute Wärmedämmung nicht verhindern, dass es zu heiß wird?
Schünemann: Um der Hitze zu begegnen, können wir den Außenraum und den Innenraum betrachten. Das bedeutet draußen: Wenig versiegeln, keine Parkplätze mit Asphalt, möglichst viele Wiesen, nach Möglichkeiten kein dunkler Belag auf Fahrbahnen und Dächern, viele Bäume, Gründächer, Fassadenpflanzen, Wiesen, weg von dunklen Dächern, hin zu weißen Fassaden, und bei Dächern Regenrückhaltebecken, Regentonnen, die Liste ist lang.
Es ging ja um die Nacht, wie kann ich der Hitze im Bau begegnen?
Schünemann: Es kommt darauf an, ob das Gebäude gut gedämmt ist, oder nicht. Helle Fassadenfarbe und eine vertikale Bepflanzung haben nur einen großen Effekt auf das Innenraumklima bei älteren, wenig gut gedämmten Häusern. Grundsätzlich sollte der Klimaschutz immer mitgedacht werden. So ist es sowohl für den Klimaschutz als auch für die Klima- und Hitzeanpassung sehr wirksam, das Dach oder die oberste Geschossdecke zu dämmen. Tun sie das nicht und wählen vielleicht noch dunkle Dachpappe, wird ihr Dachgeschoss im Sommer schnell zum Backofen.
Keine gute Nachricht für alle, die im Dachgeschoss leben!
Schünemann: Dachgeschosse sind meist nachträglich ausgebaut und haben nur Trockenbauwände. Sie können viel weniger Wärme speichern, als massive Wände aus den ersten Geschossen beispielsweise der Gründerzeithäuser. Hinzu kommt oft fehlender Sonnenschutz. Dachgeschosse sind in der Regel sehr belastet. Das ist jedoch nicht per se ein Dachgeschossproblem, sondern ein Problem, wie sie derzeit häufig ausgebaut werden und wurden. Es gibt auch Wohnungen, bei denen es im Dachgeschoss angenehm kühl bleibt, so dass deren Nutzung auch in der Hitzeanpassung durchaus vertretbar ist.
Das klingt alles schön, doch in der Stadt leben viele in Mietwohnungen!
Schünemann: Das stimmt. Als Mieter hat man auf diese Probleme wenig Einfluss. Der bauliche Zustand ist jedoch nur ein Faktor, das Verhalten der Bewohner ist der zweite Faktor. Werden die Wohnungen gut durchgelüftet, lässt sich viel herausholen. Eine gute Lüftung kann in schlechten Gebäuden zu akzeptablem Innenraumklima führen und umgekehrt. Wenn ich baulich gute Wohnungen schlecht lüfte, kann ich auch hier Probleme haben.
Wir hatten über den notwendigen Schatten gesprochen. Woher bekommen wir den?
Ziemann: Ich sage: Bäume, Bäume, Bäume. Tagsüber brauchen wir schattige Bereiche, das geht am besten durch Bäume mit großen Kronen. Diese müssen wir unbedingt erhalten und auch anpflanzen. Sie müssen frosthart sowie hitze- und trockenresilient sein. Besonders eignen sich Dreispitzahorn, Resista-Ulmen und die chinesische Birne. Bei Neuplanungen ist es relativ einfach, die Bäume mit einzuplanen.
Wäre es nicht einfacher, bestehende Bäume gar nicht erst zu fällen?
Ziemann: Es ist extrem wichtig, Baumfällungen genau unter die Lupe zu nehmen. Bis ein großer Baum seine Wirksamkeit entfaltet, dauert es oft Jahrzehnte. Eine Ersatzplanung außerhalb der Hotspots hilft ja nur wenig. Wir sollten unsere Bäume wie Juwelen behandeln. Und auch an Wiesenflächen denken.
Ist es noch zu verantworten, ausgewachsene Bäume zu fällen?
Ziemann: Nein. Das ist meine Meinung als Wissenschaftlerin. Ich weiß jedoch, dass es Interessensgegensätze gibt. Es sollte ganz dringend abgewogen werden, ob es nötig ist, einen Baum zu fällen. Die Bäume, die wir haben, sind gut angepasst und eingewurzelt. Wir sollten sie erhalten.
Wie sieht es aus mit vertikaler Begrünung?
Ziemann Ein Baum kann nicht ersetzt werden, er vereint ganz viele Funktionen. Neben der Schattenbildung kann er über Verdunstung zur Kühlung beitragen, kann Feinstaub filtern und gasförmige Stoffe aufnehmen und zum Lärmschutz beitragen. Vertikale Begrünung kann dies in dieser Fülle nicht leisten. Doch Grün an den Gebäuden hilft, die Oberflächentemperatur an der Gebäudewand zu verringern. Die Auswirkungen auf den Fußgängerraum reichen zwar nicht sehr weit, doch das Gebäude kann damit gekühlt werden. Grundsätzlich müssen wir alle Möglichkeiten, die wir haben, ausschöpfen, um mehr Grün in die Stadt zu bringen.
Schünemann: Vertikale Bepflanzungen können besonnte Räume in unsanierten Altbauten bis zu zwei Grad herunterkühlen. Es muss ja nicht immer der den Putz schädigende Efeu sein. Es gibt schöne Vorsatzsystem, an denen sich die Pflanzen wie zum Beispiel wilder Wein schön hochranken kann. Viele Bewohnerinnen scheuen sich jedoch, weil sie fürchten Insekten und Spinnen könnten in die Wohnung kommen.
Es heißt, vertikale Begrünungen sind oft auch zu teuer.
Schünemann: Ja, die Systeme sind kosten- und pflegeaufwendig. Ja, sie kosten Geld. Alles, was Sie an Klimaanpassung leisten müssen, kostet Geld. Hier kommen wir in den schwierigen und viel diskutierten Abwägungsprozess. Was ist schlimmer, höhere Kosten oder am Ende eine höhere Sterblichkeit aufgrund von zunehmenden Hitzebelastungen?
Was passiert, wenn wir das nicht machen?
Schünemann: Die Konzentrationsfähigkeit der Menschen lässt nach, weil sie nicht mehr ruhig schlafen können und die Sterblichkeiten werden nach oben gehen. Kurzum, die Hitze kann lebensgefährlich werden. Das bisherige System der Stadtplanung ist kaum auf Trockenheit und Hitze ausgelegt, das müssen wir ändern. Voraussetzung ist, Hitze und Trockenheit als neue Gegenwart anzuerkennen.
Wären Rasensteine hier eine Lösung?
Ziemann: Rasensteine auf Parkplätzen oder Anliegerstraßen können Teil einer Lösung sein. Generell sollten wir alles, womit Regen versickern kann und was rechtlich möglich ist, umsetzen. Rasengittersteine oder auch wasserdurchlässige Pflastersteine sind hier eine gute Möglichkeit. Wir dürfen ja nicht vergessen: Neben der Trockenheit haben wir ja auf der anderen Seite extremen Starkregen, der das Kanalsystem sehr belastet und zu Überschwemmungen führen kann. Regenrückhaltebecken, Mulden, Rigolen (Pufferspeicher), Dachgrün, alles das ist wichtig für eine gute Regenwasserbewirtschaftung.
Die Stadt also als Schwamm, wie sie schon in Modellprojekten erprobt wird?
Schünemann: Ja. Wir sollten das Regenwasser so nutzen, dass es im besten Fall gar nicht mehr in das Abwassernetz läuft. Den Großteil autark zu nutzen, wäre die Vision. Neben den Gründächern und Rückhaltebecken auch Wasser in Tanks zu speichern und für die Bewässerung zu nutzen, ist äußerst sinnvoll. Allerdings muss man hier die lokalen Gegebenheiten in der dichten Stadtbebauung berücksichtigen, unter den Fußwegen ist mit allerhand Kabeln sowie Gas- und Abwasserleitungen oft zu wenig Platz für Zisternen.
Muss der Regenwasserabfluss also neu gedacht werden?
Ziemann: Ja. In Bebauungsplänen für Neubauten werden Zisternen tatsächlich schon oft umgesetzt. Ich bin sehr dafür, Zisternen, Regentonnen, offenliegende Mulden und Rigolen umzusetzen. Im Bestand können Innenhöfe und Parkplätze entsiegelt werden. Möglich sind auch lokale Sammelsysteme in Mietshäusern. Warum nicht einfach das Fallrohr kappen und eine Regentonne hinstellen. Das gilt auch für Terrassen und Balkone.
Zurück zu den Parkplätzen: Kann man nicht generell alle Parkplätze entsiegeln?
Ziemann: Ein Hauptergebnis unseres Projektes ist es, dass wir Maßnahmen der Klimaanpassung jetzt mit Zahlen belegen können. Das ist auch die Forderung gewesen, die die Praxis an uns herangetragen hat. Allerdings: Die Klimaanpassung ist keine gesetzliche Aufgabe, sie ist freiwillig. Und freiwillige Aufgaben, das kennen wir alle sehr gut, werden in der Prioritätenliste oft nach hinten geschoben.
Das heißt?
Ziemann: Wir brauchen die Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel als Pflichtaufgabe. Der Hitze-Umbau müsste in den Kommunen zu Chefsache werden. Das Problem ist ja auch die Gemengelage. Die zuständigen Umwelt- und Grünflächenämter, Hoch- und Tiefbauämter müssen miteinander kommunizieren, sich gemeinsam an den Tisch setzen und eine klima- und hitzeresiliente Stadtplanung nach vorn bringen. Dafür braucht es Netzwerke, Zeit und Ressourcen.
Schünemann: Der Transfer von Forschung in die Praxis muss noch besser funktionieren. Vieles an Wissen ist schon da. Das wäre mein erster Wunsch. Man muss vom Status des Wollens zum Status des Handelns kommen. Der Schritt ist viel komplexer, als man das im ersten Moment denkt, im Verwaltungsapparat muss man die Ämter zusammenholen. Doch es ist möglich – wenn die Priorität dafür deutlich erhöht wird.
Links/Studien
Die Ergebnisse der Arbeit für hitzeresiliente Städte können Sie hier nachlesen.