Klimasorgen nach Europawahl Ist der Green Deal nach dem Rechtsruck in der EU gefährdet?
Hauptinhalt
14. Juni 2024, 17:51 Uhr
Bis 2050 will die EU klimaneutral sein. So steht es im European Green Deal – dem Masterplan der aktuellen EU-Kommission für die grüne Transformation. Doch rechte Parteien, die diese Klimapolitik ablehnen, haben bei der Europawahl viele Stimmen bekommen. Könnte das die langfristigen Pläne gefährden? Was bedeutet der Rechtsruck in Europa für den Green Deal?
Inhalt des Artikels:
- Die Situation vor den Europawahlen
- Droht tatsächlich der rechte Backlash im EU-Parlament?
- Grundsätze der EU-Klimapolitik kaum gefährdet
- Andere Zeiten, andere Prioritäten
- Nationale Wahlen verändern Kräfteverhältnisse
- Keine Einigung in Sicht: Der Zankapfel Landwirtschaft
- Fazit: Weniger Klima-Fokus trifft auf fragilere Mehrheiten
Der Green Deal ist die Antwort der Europäischen Union auf die Klimakrise. Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. Der Green Deal ist eines der wichtigsten politischen Vorhaben der bisherigen EU-Kommission. Er besteht aus einem ganzen Paket politischer Initiativen, die für einen grünen Wandel in der EU sorgen sollen – ganzheitlich, sektorübergreifend und gerecht. So sind also auch mehrere eng miteinander verflochtene Politikbereiche betroffen: Klima, Umwelt, Energie, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und nachhaltiges Finanzwesen.
Das klingt nicht nur kompliziert in der Umsetzung, das ist es auch: Es war in den vergangenen Jahren ein schweres Stück Arbeit, Kompromisse und Mehrheiten für die zahlreichen Initiativen zu finden. Im Europaparlament haben dabei maßgeblich die Fraktionen der Sozialdemokraten (S&D), der Grünen (Greens/EFA), der Europäischen Volkspartei (EVP), der Liberalen (RE) und in Teilen auch der Linken (GUE/NGL) den Green Deal getragen. Aber wie sieht das künftig aus? Immerhin ist bei der Europawahl ein spürbarer Rechtsruck durch zahlreiche EU-Mitgliedsländer gegangen - nicht nur streng konservative, sondern auch rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien haben an Zustimmung gewonnen. Und auch die Bauernproteste der vergangenen Monate haben bereits angekündigt, dass es künftig womöglich immer schwieriger werden könnte, ambitionierte Klimaschutzprojekte auf den Weg zu bringen. Denn die Demonstrationen waren auch ein Symbol gegen die Klimapolitik der EU.
Die Situation vor den Europawahlen
Der Green Deal ist krisenfest, bilanzierte Felix Schenuit von der Stiftung Wissenschaft und Politik die vergangenen fünf Jahre im Vorfeld der Europawahl. "Wir haben eine ganze Reihe von in meiner Wahrnehmung unerwarteten regulatorischen Erfolgen gesehen." Die Mehrheiten seien trotz widriger Umstände insgesamt ziemlich robust gewesen, so der Forscher.
Allerdings attestierte er auch eine strukturelle Überforderung durch die große Zahl an Gesetzgebungspaketen und Maßnahmen. Diese Zahl ist tatsächlich bemerkenswert: Der "Legislative Train Schedule" des Green Deal – also gewissermaßen der politische Fahrplan – weist aktuell 168 "Carriages" – also politische Initiativen wie Gesetzesvorlagen – auf. 76 dieser Initiativen sind bereits abgeschlossen, 24 stehen kurz davor. Es ist also sehr viel geschafft und angegangen worden in der aktuellen Legislaturperiode. Das blieb laut Schenuit nicht ohne Folgen: "Wir sehen eine strukturelle Überforderung in der Administration in Brüssel, aber auch in den nationalen Verwaltungen und insbesondere auch bei weniger gut ausgestatteten Akteuren wie NGOs."
Und dann sei schlichtweg mittlerweile die Kompromissbereitschaft für politische Übereinkommen aufgebraucht, meint der Forscher. "Wir sehen das insbesondere in der Europäischen Volkspartei und immer dann, wenn die Landwirtschaft eine Rolle gespielt hat." Doch die EVP sei eine wichtige Stütze für den Green Deal gewesen. Sie habe die zentralen Dossiers immer mitgetragen, meint der Forscher.
Sind das also schlechte Voraussetzungen für die Zukunft des Green Deal? Ganz so düster, wie man befürchten mag, meinen Beobachterinnen und Beobachter, sieht es mit Blick auf die neuen Kräfteverhältnisse in Europa gar nicht aus.
Droht tatsächlich der rechte Backlash im EU-Parlament?
Wie bereits die Wahlumfragen prognostiziert hatten, stellen auch in der nächsten Legislaturperiode die konservative EVP und die Sozialdemokraten weiterhin die größten Fraktionen im Europaparlament. Gemeinsam mit den Grünen und den Liberalen reicht es also tatsächlich noch immer für Mehrheiten im Parlament. Dieses Ergebnis hatte Forscher Schenuit so erwartet. Die bisherige Green-Deal-Mehrheit bleibt zumindest rechnerisch intakt, konstatiert er. "Im parlamentarischen Alltag wird in Zukunft viel von den EVP-internen Konfliktlinien abhängen." Wie schon in der letzten Legislaturperiode müssten Mehrheiten für die Weiterentwicklung und Fortführung der Klimapolitik nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Fraktionen gefunden werden, so Schneuit. "Auf die Abgeordneten, die an Klimadossiers arbeiten, kommt jetzt ein noch größerer Abstimmungs- und Verhandlungsbedarf zu."
Dennoch haben künftig klimakritische, rechte bis rechtsradikale und nationalistische Parteien und Gruppen mehr Einfluss. Doch SWP-Forscher Schenuit verweist darauf, dass die auch bisher schon recht stark gewesen seien. "Viel wichtiger ist insbesondere für die Klimapolitik, wie gruppieren sie sich eigentlich als Fraktion im Europäischen Parlament?" Denn die Parteien am rechten Rand bilden mitnichten eine einheitliche Gruppe im Europäischen Parlament. Sie sind von einer gemeinsamen Strategie weit entfernt und sind sich teilweise nicht sonderlich grün. Nicht ohne Grund gab es zuletzt zwei rechtspopulistische Fraktionen im Europaparlament, die sich in ihrem Abstimmungsverhalten durchaus unterschieden.
In der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) waren bisher die frühere polnische Regierungspartei PiS, Fratelli d'Italia der italienischen Regierungschefin Meloni und die ungarische Fidesz-Partei von Ministerpräsident Orban die stärksten Kräfte. In der kleineren Fraktion Identität und Demokratie (ID) dominierte die italienische Lega, gefolgt vom französischen Rassemblement National (RN). Auch die AfD war in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied in dieser Fraktion. Sie ordneten ihre Fraktion noch rechts der EKR ein.
Zwischen den beiden Fraktionen herrschte eine große Dynamik, analysierte vor der Wahl der ARD-Korrespondent in Brüssel, Andreas Meyer-Feist, und verwies etwa auf personelle Übertritte. Innerhalb der EKR-Fraktion hatte demnach etwa der EU-Migrationspakt für Unmut gesorgt: Während Fratelli d'Italia ihn unterstützt habe, sei er von PiS und Fidesz abgelehnt worden.
Doch die Karten mischen sich ohnehin neu, denn Marine Le Pens Rassemblement National hat der AfD die Kooperation aufgekündigt. Nachdem bereits das AfD-Geheimtreffen in Potsdam die Beziehung der beiden Parteien belastet hatte, sorgte ein Interview von AfD-Spitzenkandidat Krah, in dem er die SS verharmloste, für das Aus. Der RN schloss daraufhin aus, erneut in eine Fraktion mit der AfD zu gehen, und die ID-Fraktion warf die Partei raus. Auch der Ausschluss Krahs aus der EU-Delegation der AfD nach der Wahl hat daran nichts geändert, die ID-Fraktion will die Deutschen nicht wieder aufnehmen. Analysten erwarten, dass sich die Franzosen vom RN durchaus auch mit Fratelli d'Italia verbünden könnten. Inhaltlich dürfte das aber nicht so viel ändern: Sowohl die AfD als auch der RN wollen den Green Deal ganz oder teilweise rückgängig machen.
Grundsätze der EU-Klimapolitik kaum gefährdet
Tatsächlich ist es eher unwahrscheinlich, dass bereits beschlossene Maßnahmen wie etwa das Verkaufsverbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotor oder der reformierte Zertifikatehandel noch einmal angefasst werden, meinen Analysten. Aber ein mögliches Erstarken von Gegnern der Klimamaßnahmen wirft dennoch Fragen auf. Die Analystin Susi Dennison, Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations (ECFR), rechnet damit, dass ein Rechtsruck die Gesetze für den Klimaschutz erheblich verändern würde. "Es wird nicht mehr einfach sein, in dieser Richtung eine Mehrheit zu erreichen, und es wird generell viel mehr Bedarf geben, die extreme Rechte einzubinden", meint Dennison.
Wenn die rechten Parteien allerdings so fragmentiert bleiben, wie sie es bisher gewesen sind, meint Schenuit von der Stiftung Wissenschaft und Politik, dann sei das Risiko für die Klimapolitik "nicht allzu groß". Dann komme es mehr darauf an, was die Parteien machten, die den Green Deal bisher unterstützt haben. "Wir sollten viel stärker den Fokus darauf richten, was eigentlich die Bruchstellen in den jeweiligen Parteien und zwischen diesen Parteien sind." Nach der Wahl sieht der Forscher bestätigt, "dass es kein komplettes Rückgängigmachen des Green Deal geben wird." Zwar seien einzelne Nachjustierungen denkbar, aber der Kern der europäischen Klimapolitik – das Klimaschutzgesetz und die Ziele und Instrumente für die einzelnen Sektoren – stünden nach diesem Ergebnis nicht grundsätzlich zur Debatte, erklärt Schenuit.
Und dennoch: Es bleibt in Sachen Green Deal eigentlich noch viel zu tun. So muss man sich vor allem auf das Klimaziel für 2040 einigen. Im Februar hatte die aktuelle EU-Kommission bereits eine Empfehlung dafür abgegeben: 90 Prozent weniger Emissionen bis 2040 im Vergleich zum Stand von 1990 lautete die. Doch das wäre ein ambitioniertes Projekt. Das 2040-Ziel wird der erste Test für die Mehrheiten, die wir nach den Wahlen sehen, meint Schenuit. "Wir werden einen ersten Eindruck davon bekommen, wie die Kommission sich aufstellen will und wir sehen dann auch, wie die Mehrheiten im Europäischen Parlament und unter den Mitgliedstaaten sein werden, weil das ein Gesetzgebungsprozess ist, in dem das Klimaschutzgesetz verändert wird." Der offizielle Gesetzesvorschlag werde für 2025 erwartet, die Umsetzung dann für 2026. Die große Frage in Sachen Klimapolitik ziele also auf die Frage, wie die nächste Phase von 2031 bis 2040 gestaltet werden solle. Die kurzfristigere Klimapolitik bis 2030 sei gesetzgeberisch beschlossen, so der Forscher.
Ein wichtiges Argument für den Green Deal, das auch die Konservativen künftig zu Kompromissen motivieren dürfte, ist die wirtschaftliche Perspektive. Denn mehr Klimaschutz und mehr Wirtschaftswachstum schließen sich keinesfalls aus – ganz im Gegenteil. Untersuchungen von Ökonomen zeigen deutlich, dass die grüne Transformation auch eine Chance für die europäische Wirtschaft ist. Und die hat sich ja bereits auf den Weg gemacht: Es wurden in zahlreichen Unternehmen in den vergangenen Jahren zukunftsweisende Investitionsentscheidungen getroffen, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Und Wirtschaftsvertreter fordern eine konsequente Linie der Politik ein.
Andere Zeiten, andere Prioritäten
Der Green Deal ist auch als Kind seiner Zeit zu sehen. Denn er ist vor allem das Ergebnis einer starken Klimabewegung. Im Jahr 2019 gingen Hunderttausende junger Menschen auf die Straßen und forderten mehr Klimaschutz. Und nach der Europawahl im selben Jahr stellte die frisch gewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Green Deal als zentrale Politikstrategie für die Legislatur vor. Doch seitdem ist viel passiert: Die Klimabewegung ist weniger sichtbar geworden, andere Krisen wie der Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten sowie die Energiekrise oder das Thema Gesundheit traten in den Vordergrund. Die Prioritäten der neuen EU-Kommission dürften also mit der neuen Legislatur anders gesetzt werden. Und darauf gibt es bereits deutliche Hinweise: Medienberichten zufolge ist die Prioritätenliste der EU für die zweite Hälfte des Jahrzehnts bereits durchgesickert. Und die setzt den großen Schwerpunkt der EU-Politik nicht mehr beim Klima, sondern bei der Verteidigung.
Doch bis eine neue EU-Kommission ihre Schwerpunktsetzung vorstellen kann, wird es noch etwas dauern. Die aktuelle Nachwahlphase ist nämlich zunächst von Verhandlungen geprägt: Die Parteien und Mitgliedsländer entwickeln jetzt das politische Programm für die nächsten fünf Jahre und sie verhandeln über Spitzenpositionen wie Kommissariatsposten. "Zu den Verhandlungen gehören strategische öffentliche Positionierungen, die die Gespräche hinter verschlossenen Türen mitprägen", erklärt SWP-Forscher Schenuit. "Ich würde einzelne Aussagen zu diesem Zeitpunkt nicht überbewerten, zentral sind am Ende die politischen Prioritäten der neuen Kommission und die strategische Agenda der Mitgliedstaaten." Schenuit geht davon aus, dass der Green Deal in seinen Kernpunkten fortgeschrieben wird. Allerdings werde es einen stärkeren Fokus auf Politikfelder wie Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz geben. "Ob das zu Lasten der klimapolitischen Ambitionen geht, ist eine offene Frage, die letztlich aber auch nicht allein im Parlament entschieden wird, auch die Mitgliedstaaten spielen eine entscheidende Rolle", meint Schenuit.
Dass das Thema Klima nicht vom Tisch sein dürfte, glaubt auch Politico-Korrespondentin Zia Weise. Zwar hat sie Zweifel, dass es noch einmal so ein "Super-Ministerium" wie bei Klimakommissar Frans Timmermans geben wird, aber der Green Deal werde relevant bleiben – wenn auch kein Vizepräsident mehr für ihn zuständig sein könnte. Für die Zukunft der EU-Klimapolitik ist vor allem wichtig, wer zuständiger Kommissar oder zuständige Kommissarin für den Green Deal wird. Und für diese Rolle bringt Spanien sich offenbar schon in Position: Die spanische Klimaministerin und Spitzenkandidatin der Regierungspartei PSOE, Teresa Ribera, gilt als wahrscheinlichste Kandidatin für die zukünftige EU-Kommission. Sie ist bekannt als Verfechterin der EU-Klimapolitik und könnte den Green Deal maßgeblich vorantreiben. Offen sei jedoch, sagt Zia Weise, ob sie dann auch genau diesen Posten bekommt. Zwar könne jedes Mitgliedsland einen Kommissar oder eine Kommissarin stellen, aber sie können sich das Portfolio nicht aussuchen. Wer welche Rolle übernimmt, bestimme die Kommissionspräsidentin – und ist Teil der Verhandlungen im Europäischen Rat.
Wobei auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch nicht gesetzt ist. Sie hatte aber bereits erklärt, den Posten weiterhin übernehmen zu wollen und dass es dazu kommt, gilt als wahrscheinlich. In der Diskussion ist aber die Frage, auf welche Mehrheit sie sich die kommenden fünf Jahre stützen will. Wenn sie auf eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen EKR-Fraktion setzt, hätte das womöglich direkte Folgen für die Klimapolitik. Auch SWP-Forscher Schenuit verweist auf zahlreiche offene Fragen: "Wie viele aus der großen Gruppe der Fraktionslosen (100 Abgeordnete) können die bestehenden Fraktionen noch auf ihre Seite ziehen und ihr Stimmgewicht erhöhen? Wie organisieren sich die rechtspopulistischen und -nationalistischen Parteien?" All diese Fragen werden sich erst in den kommenden Wochen klären.
Nationale Wahlen verändern Kräfteverhältnisse
Ein Aspekt, der ebenfalls eine wichtige Rolle im EU-Kontext spielt, sind auch Wahlen auf nationaler Ebene. "Das Europäische Parlament ist nur ein Akteur im europäischen Gesetzgebungsprozess, ebenso wichtig sind Einigungen und Mehrheiten zwischen den Mitgliedstaaten", sagt etwa Forscher Schenuit. Denn auch wenn es in den einzelnen Mitgliedsländern zu einem Rechtsruck kommt, hat das Einfluss auf die Klimagesetzgebung der Union. Und in mehreren Ländern wird bzw. wurde dieses Jahr gewählt, darunter in Belgien, Österreich und Litauen.
So könnte ein Erstarken rechter Parteien auf nationaler Ebene die Umsetzung der EU-Klimaziele auf nationaler Ebene verzögern. Zusätzlich könnten Wahlerfolge rechter Parteien wie zuletzt in den Niederlanden auch die Kräfteverhältnisse im Europäischen Rat beeinflussen – also dem Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU. Das wiederum könnte einen Einfluss auf die künftige Ausgestaltung des Green Deal haben. "Wir haben immer wieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten nationale Wahlen und auch Prioritäten, die sich verschieben", erläutert Forscher Schenuit. "Das heißt, nicht allein die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament sind relevant, sondern immer auch, welche Allianzen wir zwischen den Mitgliedstaaten sehen." Und da sei eben derzeit auch einige "Bewegung" zu beobachten.
Keine Einigung in Sicht: Der Zankapfel Landwirtschaft
In einigen Politikfeldern wird es in den kommenden Jahren besonders schwierig werden, die Umsetzung des Green Deal weiter voranzutreiben. Besonders pessimistisch sind die Analysten beim Schutz der Artenvielfalt und der Natur sowie bei Reformen für eine nachhaltige Landwirtschaft. Unter dem Druck von Landwirten und rechten Parteien, so die Erwartung, könnte hier die Unterstützung aus der konservativen EVP-Fraktion weiter bröckeln – ganz so, wie es bei jüngeren Abstimmungen wie der zum Naturschutzgesetz bereits der Fall gewesen ist. Und nicht nur die EVP wird wackeliger – immerhin haben die Konservativen bereits versprochen, den Klimaschutz nach den Wahlen zurückzufahren – sondern auch Sozialdemokraten und Grünen ist die Sprengkraft der Anti-Klima-Mobilisierung längst bewusst. Und so befürchten etwa Stella Schaller und Alexander Carius in ihrer Studie "Convenient Truth": "Eine der größten Bedrohungen für die Umsetzung des Pariser Abkommens ist die Gefahr, dass die Parteien der Mitte den Prioritäten der Klimaskeptiker nachgeben werden."
Wenn die EU-Kommission es mit der Klimaneutralität bis 2050 ernst meint, muss auch im Sektor der Landwirtschaft etwas passieren.
Auch Felix Schenuit von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht im Bereich Landwirtschaft neben der Industrie und dem Verkehr besondere Sprengkraft. Vor allem die Klimaziele im Agrarsektor drückten aber auf die Agenda: "Die Landwirtschaftspolitik, Stand jetzt, ist mit dem Netto-Null-Ziel überhaupt nicht vereinbar." Doch wie sensibel dieser Bereich ist, zeigten ja nicht zuletzt die Bauernproteste. "Die Landwirtschaft wird in den nächsten fünf Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen", prognostiziert der Forscher. In die bevorstehende Legislaturperiode werde nämlich die Frage fallen, wie Emissionen in der Landwirtschaft bepreist werden könnten, ohne die Unterstützung von Landwirten und Landwirtinnen zu verlieren. "Das wird eine der größten klimapolitischen Herausforderungen für die neue Kommission."
Fazit: Weniger Klima-Fokus trifft auf fragilere Mehrheiten
Einige Analysten verweisen darauf, dass die EU trotz aller internen Auseinandersetzungen eigentlich darauf angewiesen ist, dass der Green Deal weiter konsequent umgesetzt wird – schon allein aus wirtschaftlichen Gründen. Sie würde sich sonst auf internationaler Ebene als Akteur unglaubwürdig machen, heißt es. Und das wiederum wäre ein fatales Signal an Investoren und eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Die grüne Transformation laufe und bisher sei die EU ein Vorreiter. Wenn sich das jedoch angesichts der Milliardeninvestitionen in Ländern wie China und den USA ändern sollte, werde die Welt nicht auf die Europäer warten, heißt es von der NGO Germanwatch.
Ich kann klarstellen für die EVP, die größte Fraktion im Parlament: Die Rückabwicklung des Green Deals kommt für uns nicht infrage. Der Green Deal ist eine historische Aufgabe, vor der wir stehen. Das heißt, die Ambitionen sind klar, aber wir streiten in der Sache, wie man die Ziele erreicht.
Einen kompletten Rollback in der Klimapolitik, wie er etwa in den USA aktuell diskutiert wird, hält Forscher Schenuit für "kein plausibles Szenario". Doch bei der Weichenstellung für die Zeit ab 2031 müsse man sehr genau hinschauen, was beschlossen werde – zumal die Mehrheiten im Europäischen Parlament künftig fragiler sein dürften. Umso wichtiger sei es, so der Forscher, stärker auf die Konflikte zwischen den Unterstützern des Green Deals zu schauen und Unterschiede zu thematisieren. "Die Allianzen werden noch unübersichtlicher und ich fürchte, dass wir noch mehr Blockaden sehen werden." Bisher sei die EU gut darin gewesen, Kompromisse und Paketlösungen zu erarbeiten – deutlich besser als manche nationale Regierung, meint Schenuit. "Ob dies angesichts der immer schwieriger zu vermeidenden Emissionen auch weiterhin gelingen wird, ist eine offene Frage – hier wird sich zeigen, wie robust die europäische Klimapolitik wirklich ist."
Die nächsten fünf Jahre in Brüssel dürften für alle, denen das Thema Klima wichtig ist, anstrengend und schmerzhaft werden. Denn der Rechtsruck wird die Art und Weise, wie Europa Klimaschutz gestaltet, verändern und womöglich verlangsamen. Doch die grundsätzlichen Weichen sind gestellt, das Ziel gesetzt und der Green Deal wohl kaum mehr zu stoppen.
mit Informationen aus einem Pressegespräch des Netzwerk Klimajournalismus
Update: Dieser Artikel wurde am 14. Juni 2024 mit Nachwahl-Einschätzungen aktuallisiert.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 07. Juni 2024 | 16:10 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/749cabb4-61c1-44e8-970f-fd5b178899be was not found on this server.