Loxoscenes laeta
Loxoscenes laeta: Die chilenische Winkelspinne ist in Südamerika eine unbeliebte Mitbewohnerin. Gibt es sie auch hier? Bildrechte: imago/Nature Picture Library / MDR

Spinnen Giftige Spinnen in Deutschland auf dem Vormarsch? Das ist Quatsch

14. März 2023, 14:50 Uhr

Vielleicht sind Sie auch schon mal über solche Schlagzeilen gestolpert: Neue Giftspinnen bald in Deutschland! Ihr Biss lässt die Haut verfaulen! Was ist dran an diesen Meldungen? Was hat es mit Loxosceles laeta, der chilenischen Winkelspinne, und Loxosceles rufescens, der Violinspinne, auf sich? Wir sind den Nachrichten auf den Grund gegangen.

"Pro Jahr sterben in Chile etwa 450 Menschen am Biss der der chilenischen Winkelspinne Loxoscenes laeta" heißt es auf einer Internetseite chilenischer Kliniken. In dem langgestreckten Land auf dem südamerikanischen Kontinent kommt diese Web- und Jagdspinne vor allem in nördlichen und mittleren Regionen vor, sowohl in der Natur, aber auch in Städten und Häusern. Schon Anfang der 1970er-Jahre zeigte eine Stichproben-Erhebung in knapp 2.200 chilenischen Haushalten: In 40,6 Prozent der Häuser in Städten und in 24,4 Prozent der untersuchten Landhäuser war die Giftspinne Zuhause. Inzwischen weiß man: Der Biss der haarigen Mitbewohnerin, die an sich menschenscheu ist, kann zu Nekrosen, also dem Absterben von Gewebe führen, wenn nicht schnell reagiert wird. Eine im Oktober 2022 veröffentlichte Studie aus Brasilien deutet darauf hin, dass das Auftreten von Nekrosen bei Gebissenen allerdings um 30 Prozent verringert wird, wenn binnen 48 Stunden ein Gegenmittel verabreicht wird.

Loxosceles laeta: Wie sieht die chilenische Winkelspinne aus?

Die Spinne ist braun, stark behaart, etwa einen Zentimeter lang und ihre Beine können zwischen acht und 45 Millimeter lang sein.

Sie ist auch bekannt als chilenische Winkelspinne. Die Gattung gehört zur Familie der Sandspinnen (Sacaridae). Die wiederum lassen sich theoretisch an der Zahl und Anordnung ihrer Augen leicht erkennen. Praktisch braucht man dazu die Nerven, der Spinne tief in die Augen zu gucken und zu zählen – vorausgesetzt, die Spinne hält still. Dann sieht man drei Augenpaare, im Dreieck angeordnet, zwei vorne und jeweils zwei seitlich, wodurch die Tierchen einen 300-Grad-(Fast)-Rundumblick haben. Der Nachwuchs von Loxoscenes laeta kannibalisiert sich nach dem Schlupf gegenseitig, nur die Stärksten überleben. Zu fressen ist jedenfalls genug da, denn die Weibchen "lagern" immerhin zwischen 80 und 200 befruchtete Eier in ihrer Oothek ein.

Eine Spinne
Loxoscenes laeta in ihrem Netz. Kein Fangnetz, sondern eins zum Chillen bis der kleine Hunger kommt und man auf Jagd geht. Bildrechte: imago images/DANITA DELIMONT STOCK

Während die Nymphen wachsen, stoßen sie mehrfach Exoskelette ab. Für Menschen hinterlassen die heranwachsenden Spinnen also optische Signale: Achtung, giftiger Mitbewohner! Loxosceles laetae mögen es dunkel und trocken, sind nachtaktiv und im Sommer aktiver als im Winter. Außerdem haben sie flinke Beine; sie können bis 15 km/h schnell laufen, bei grellem Licht suchen sie blitzschnell das Dunkle. Sie können drei Jahre alt werden, solange sie vorher keinem Hauslatschen begegnen oder einer chilenischen Tigerspinne, Scytedes globula. Chilenische Tigerspinnen haben die flinken Flitzer nämlich zum Fressen gern. In menschlicher Umgebung verkriechen sich die Winkelspinnen in vermeintlich ruhigen Orten wie Schuhen, abgelegter Wäsche, sowie Betten oder Bettdecken: Immerhin 38 Prozent der Bisse erfolgen Chiles Gesundheitsministerium zufolge daher nachts, und 32 Prozent beim Anziehen von Wäsche, die längere Zeit im Schrank oder an der Wand hing.

Scytedes globula - chilenische Tigerspinne
Die chilenische Tigerspinne Scytedes globula ist der hauseigene Jäger, wenn sich die chilenische Winkelspinne daheim eingenistet hat. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Loxosceles laeta: Was enthält ihr Gift?

Das Gift von Loxosceles laeta enthält Levartenol, einen Botenstoff, der die Blutgefäße verengt, sowie die Enzyme Sphingomyelinase D und Hyaluronidase. Das Spinnengift kann Gewebe absterben lassen, Bluterkrankungen und Nierenversagen verursachen.

Tatsächlich beschäftigt man sich in Chile seit Jahren wissenschaftlich mit diesen dort weitverbreiteten Webspinnen. Es fehlt bislang ein Standard zur Diagnose dieser Spinnenbisse, zum Beispiel in Form von Tests, die das Gift schnell nachweisen, genau wie eine allgemeingültige Anleitung zur Behandlung. Bislang wird ein Biss diagnostiziert, indem man die Bissstelle und bestenfalls den Entwicklungsstand der Spinne analysiert, und beobachtet, wie sich die Hautstelle rund um den Biss verhält. Immerhin in etwa 60 Prozent der Fälle wird die Spinne gesehen und zu 13 Prozent identifiziert.

Entwicklung nach Spinnenbiss
18 Stunden (a), 24 Stunden (b), 72 Stunden (c) und 120 Stunden (d) nach einem Biss der chilenischen Winkelspinne Bildrechte: Ceila M. S. MalaqueChristina T. G. Novaes... Marcelo L. Santoro

Wie man sich in Chile vor Loxosceles laeta-Bissen schützt

Betten nicht direkt an die Wand stellen, Wäsche ohne Kontakt zur Wand aufhängen, regelmäßiges reinigen von schwer zugänglichen Winkeln von Möbeln, aber auch In Badezimmern. Kinder nicht in dunklen Ecken spielen lassen, wie zum Beispiel lange nicht benutzten Kisten oder in WC-Räumen; Wäsche vor dem Anziehen schütteln, Nachtwäsche und Bettdecken auf- und ausschütteln vor dem Anziehen, genau wie Schuhe. Wer lange nicht genutzte Örtlichkeiten betritt oder öffnet, sollte vorher Unruhe produzieren, damit sich die Spinnen verkriechen können.

Im Fall eines Bisses rät der chilenische Klinikverbund: Lebendig gefangene Exemplare in ein Gefäß mit feuchtem Baumwollstück sperren; ist die Spinne tot, in trockenes Gefäß geben. Nächstgelegene Ambulanz informieren.

Was ist mit dem Giftspinnenalarm, über den online geschrieben wird?

Im Internet kursieren diverse Artikel, aus denen man schließen könnte, die chilenische Winkelspinne Loxoscenes laeta sitze auf gepackten Koffern und kuschele sich schon nächste Woche zu uns ins Bett. Oder ihre europäische Kollegin, Loxoscenes rufescens. Das ist aber, salopp gesagt, Quatsch. Zunächst müsste man zwischen Loxoscenes-Spinnen unterscheiden, sagt Robert Klesser, Spinnenexperte am Leipziger Naturkundemuseum: "Loxosceles ist eine schwierige Gattung. Nicht zu groß, recht eintönig gefärbt, optisch 'stinknormale' Spinnen. Man müsste sie wahrscheinlich anhand ihrer Genitalien auseinanderhalten. Noch dazu gibt es noch einige andere Arten in der Gattung." Für den Laien kaum möglich, meint der Experte. Wenig verwunderlich seien also Falschmeldungen, wenn eine Spinne aus einer Obstkiste im Supermarkt krabble.

Müssen wir uns in Deutschland vor mehr Giftspinnen fürchten?

Aber was ist nun mit den vermeintlichen Schock-Meldungen, in Deutschland müsse man auf immer mehr Giftspinnen gefasst sein? Robert Klesser ist sich sicher: "Es gibt derzeit absolut nichts, was mich darauf schließen lässt, dass ausgerechnet eine Ausbreitung von Loxosceles laeta in den nächsten Jahren bevorsteht."

Und was ist mit der europäischen Verwandten der chilenischen Winkelspinne, Loxoscenes rufescens? "Eine Freilandart, die selten auf Menschen prallt. Noch dazu sind die Winter für Loxosceles-Arten bei uns viel zu hart", sagt Klesser. Mit steigenden Temperaturen ändern sich aber auch bei uns die Lebensbedingungen für Arten aus wärmeren Regionen. Und dann? "Momentan kann ich mir nur vorstellen, dass L. rufescens sich umstellen könnte und ebenfalls an/in menschlichen Gebäuden überdauert. Für sonderlich wahrscheinlich halte ich das nicht", fasst der Spinnenforscher zusammen.

Braune Einsiedlerspinne, Loxosceles reclusa, Charakteristische geigenförmige Zeichnung auf dem Rücken sichtbar.
Loxoscenes rufescens, die Braune Einsiedlerspinne, genannt auch Violinspinne, hat eine hübsche Zeichnung auf dem Rücken. Bildrechte: imago/UIG

Wer die Spinne kennt, rennt ... nicht weg, sondern fotografiert und meldet sie

Im Spinnenatlas arages.de, einer Webseite, auf der man Spinnenfunde melden kann, sind für ganz Europa momentan zwei Fundorte für Loxosceles rufescens eingetragen. Auf Kreta beispielsweise im Örtchen Milatos, wurden in Wohnhäusern mit kleinflächigen Gärten, in verwilderten Olivenhainen und in Macchie Exemplare der Braunen Violinspinne gemeldet. Außerdem Funde in einem Wohngebäude in Valencia/Spanien. Biologe Robert Klesser bestätigt: "Tatsächlich existiert Loxosceles rufescens im Mittelmeerraum. Die Art ist in Europa etabliert, in Spanien, Italien, Frankreich und Kroatien. In den nördlicheren Regionen in Europa hat sie bisher allerdings nicht Fuß gefasst." Trotzdem hält der Spinnenexperte eine zeitnahe Etablierung der L. rufescens für "so wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie die anderer südeuropäischer Arten". Von Etablierung spricht man, wenn mehrere Generationen einer Art in einer neuen Umgebung dauerhaft überleben.

Wanderbewegungen einzelner Arten sind normal

Allerdings sind Wanderbewegungen von Arten völlig normal, führt Spinnenexperte Robert Klesser aus, mit Hinweis auf die Wechsel von Warm- und Kaltzeiten auf der Erde, die über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg komplette Ökosysteme änderten: "Als die letzte Eiszeit kam, haben sich die meisten Arten, die konnten, in den Mittelmeerraum verzogen. Am Ende der Auszeit haben sie sich wieder ausgebreitet und mit der nächsten Kaltzeit ziehen sie sich wieder zurück."

Ein weiterer Faktor ist der Mensch, führt Klesser aus: "Durch die Globalisierung werden immer wieder Arten irgendwohin verschleppt." Mit Wanderbewegung habe das aber nicht viel zu tun. "Oft passiert auch nichts", erklärt Klesser, da die verschleppten Arten in der neuen Umgebung mit den Lebensbedingungen nicht zurecht kämen. Aber bekommt der Mensch denn überhaupt alles im Detail mit, was in der Natur vor sich geht? Allein wenn man an die Entwicklungsphasen mancher Insekten denkt, die sich über Jahre ziehen, ohne dass wir es sehen, wie beim Ölkäfer oder beim Glühwürmchen. Für Robert Klesser ist, bezogen auf Wanderbewegungen von Spinnen, klar: "Ich würde vermuten, dass das auch häufiger unentdeckt stattfand."

Karte des MDR-Sendegebiets mit dem Auftreten der Nosferatu-Spinne
Im Januar 2021 wurde in Sachsen die erste Nosferatu-Spinne nachgewiesen. Dabei gab es sie vermutlich auch längst anderswo, denn im Dezember 2022 zeigt die Seite naturgucker.de, wo überall in Mitteldeutschland Nosferatus gefunden wurden. Bildrechte: nabau-naturgucker.de/MDR

Loxosceles laeta: Keine Nachweise in Deutschland

Zurück zur chilenischen Winkelspinne Loxosceles laeta: In Deutschland ist die bislang nicht nachgewiesen. Dagegen in Finnland schon. Wie das? Bis 1999 wurden in Finnland mehrere Exemplare nachgewiesen, im Erdgeschoss der Universität Helsinki. "Die gab es dort schon in den 70er-Jahren", bestätigt Klesser und setzt nach: "Bisher hat es die Art nicht aus dem Gebäude geschafft. In 50 Jahren. Das sagt schon sehr viel über das Ausbreitungspotential aus."

Und sonst so: Gibt es giftige Spinnen in Deutschland?

In Deutschland sind als Giftspinnen zum Beispiel die Mächtige Fischernetzspinne bekannt; hier sieht man ihre aktuelle Verbreitung. Weitere Giftspinnen sind Ammendornfinger-Spinne und die Nosferatu-Spinne, deren Bisse mit denen von Wespenstichen verglichen werden, was die Schmerzintensität angeht. Wer eine Nosferatuspinne findet, kann sie übrigens hier melden.

Mächtige Fischernetzspinne - Segrestia florentina - mit feinem Netz

EIne Fischernetzspinne sitzt auf einem Stein.
Bildrechte: IMAGO / blickwinkel
EIne Fischernetzspinne sitzt auf einem Stein.
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Spinne (Segestria florentina) mit Netz
Bildrechte: IMAGO / Ardea
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Links/Studien

Hier lesen Sie die aktuelle Studie "Impact of antivenom administration on the evolution of cutaneous lesions in loxoscelism: A prospective observational study | PLOS Neglected Tropical Diseases" im Original.

Informationen des chilenischen Gesundheitsministerium zum Umgang mit Bissen der chilenischen Winkelspinne lesen Sie hier im Original.

Studie: Prevalence of Loxosceles Laeta in Houses in Central Chile in: The American Journal of Tropical Medicine and Hygiene.

Spinnen WozNiu 1 min
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MDR FERNSEHEN So 01.11.2020 08:30Uhr 02:59 min

https://www.mdr.de/mdr-garten/pflegen/schaedlinge/spinnen-nuetzlinge-100.html

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache gesund | 19. Mai 2022 | 21:00 Uhr