Erntesaision 2024 Durchschnittliche Ernte in Mitteldeutschland: Hat der Klimawandel einen Einfluss?
Hauptinhalt
13. September 2024, 14:06 Uhr
Die Erntesaison 2024 ist in vollem Gange – und bislang zeichnet sich ab, dass 2024 für viele Landwirtinnen und Landwirte ein durchschnittliches Jahr wird – trotz diverser Wetterextreme. Dass es längerfristig schwieriger wird, mit diesen Extremen umzugehen, berichten die Agrarwissenschaftlerin Urte Grauwinkel und Matthias Ulrich, Vorstand der Agrargenossenschaft Bad Dürrenberg. Aber es ist nicht die einzige Schwierigkeit, mit der der Ackerbau derzeit umgehen muss.
Noch ist die Ernte nicht komplett ausgewertet – Kartoffeln beispielsweise werden in diesen Tagen erst vom Feld geholt. Insgesamt zeichnet sich ab, dass die Erntesaison in Mitteldeutschland leicht unter dem Schnitt der vergangenen Jahre liegt – aber eben nur leicht. Das bezieht sich wohlgemerkt lediglich auf den Ackerbau, für die Obstbauern war es ein katastrophales Jahr – und auch die Winzerinnen und Winzer befinden sich in einer schwierigen Situation.
Die Grafik zeigt: Im Wesentlichen war die Ernte 2024 in Mitteldeutschland so wie immer. Der in der Grafik erwähnte "CCM" steht für Corn-Cob-Mix, eine Mischung aus Spindel und Körnern der Maispflanze. CCM wird hauptsächlich in der Schweinemast verwendet. Für einige andere Sorten liegen noch keine Daten vor. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stehen, was die Getreideernte angeht, im bundesweiten Vergleich gut da.
Deutschlandweit fiel die Getreideernte mit 39,3 Millionen Tonnen in diesem Jahr stark unterdurchschnittlich aus und lag zum ersten Mal seit zehn Jahren unter der 40-Millionen-Tonnen-Marke.
Viele Landwirtinnen und Landwirte sind deshalb nicht zufrieden, denn gerade beim Hauptertragsgut Weizen zeichnet sich ab, dass die Qualität in diesem Jahr nicht so gut ist. Der Weizen enthält zu wenig Protein – auch als Gluten bekannt. Damit ist das Getreide nicht mehr für die Mehlerzeugung zum Brotbacken geeignet und muss als Futtermittel verkauft werden. "Das führt dazu, dass man nicht unbedingt immer die Preise erzielen kann, die man eigentlich möchte", erklärt Mattias Ulrich, Vorstand der Agrargenossenschaft Bad Dürrenberg.
Was genau für den niedrigen Proteingehalt verantwortlich ist, kann man kontrovers diskutieren. Der sächsische Landesbauernverband sieht hauptsächlich die Düngemittelverordnung, genauer die in der Verordnung festgelegten Grenzwerte für Stickstoffdünger, als Problem. Die Agrarwissenschaftlerin Urte Grauwinkel erklärt: "Der Proteingehalt hängt tatsächlich unter anderem von der Stickstoffdüngung ab. Man kann nach der Blüte, in der Kornfüllungsphase, noch eine Stickstoffgabe ausbringen – so kann man den Proteingehalt erhöhen." Je mehr Protein (oder Gluten) der Weizen enthalte, desto besser sei die Backfähigkeit. In diesem Jahr sei Ihrer Meinung nach dennoch nicht nur die Düngung schuld am geringen Proteingehalt. "Dieses Jahr war es so, dass, nachdem das Getreide geblüht hat, einfach kein Regen mehr kam. In so einem Moment ergibt es keinen Sinn, mit Stickstoff zu düngen, weil dieser mineralische Dünger natürlich auch vom Wasser abhängig ist."
Nun im Nachhinein nachzuvollziehen, wann genau nach der Getreideblüte wo in Mittedeutschland Regen fiel oder nicht, ist kaum zu schaffen – das Thema bleibt also kontrovers. Aus Sicht der Agrarwissenschaftlerin führt aber grundsätzlich ohnehin kein Weg an einer Beschränkung der Stickstoffdüngung vorbei. "Wir haben ein Problem mit zu hohen Nitratwerten im Grundwasser und das hängt natürlich auch mit den Stickstoffdüngern aus der Landwirtschaft zusammen."
Das Wetter 2024: Selten zu trocken, aber mehr Extreme
Stichwort zu wenig Wasser: Wie war denn nun das Jahr 2024 aus Agrarperspektive? "Wir hatten gerade dieses Jahr mit sehr vielen Wettereignissen zu kämpfen", sagt Landwirt Matthias Ulrich. Regen sei in diesem Jahr aber nicht das Problem gewesen, gerade im ersten Halbjahr sei der Regen immer wieder zuverlässig gefallen: "Da sind die Bestände nicht unbedingt in Stresssituationen geraten." Dafür habe man in dieser Zeit Probleme mit dem plötzlich hereinbrechenden Frost gehabt. "Bei uns im Betrieb auch mit Hagel, das hat dazu geführt, dass die Bestände etwas gelitten haben."
Generell zeichne sich aus Ulrichs Perspektive in den vergangenen Jahren ab, dass Extremwetterereignisse zunehmen. "Das bedeutet starke Niederschläge, Hagel – aber auch lange Trockenphasen." Für Ulrich ist klar, dass die Abstände zwischen den extremen Wetterlagen seit Beginn seiner Arbeit auf dem knapp 5.000 Hektar großen Agrargelände in Bad Dürrenberg (Sachsen-Anhalt) abnehmen. "2003 und 2012/13 hatten wir Hochwasser, 2018/19 war eine Dürreperiode."
Auch Urte Grauwinkel hat diese Veränderungen beobachtet: "So extrem wie jetzt gerade habe ich das noch nie erlebt", sagt die Agrarwissenschaftlerin. "Diese extrem starken Regenfälle, diese langen Hitzeereignisse. Klar gab es auch früher im Sommer mal zwei Wochen Sonne, aber wie wir es jetzt hatten, vier Wochen nur Sonne und Hitze, das ist schon unkonventionell." Die Extreme seien stärker geworden, weil sich das globale Klima verändere. Man merke, dass sich diese Klimaveränderungen auch hier in Mitteldeutschland mittlerweile auswirken.
Aktuell geht's ja noch
Da stellt sich natürlich die Frage, was man jetzt unternimmt, um auf die Wetterextreme zu regieren. In den Modellen zum Klimawandel zeichnet sich ab, dass das, was wir aktuell in Deutschland erleben, erst der Anfang einer starken globalen Veränderung ist. Agrarwissenschaftlerin Grauwinkel empfiehlt: Umbau der Landwirtschaft, neue, besser an Trockenheit angepasste Sorten wie Hirse oder Buchweizen aussäen, eine Umstellung unserer Ernährung hin zu mehr Gemüse und weniger Fleisch: "dass wir den Gemüseanbau wieder nach Deutschland bringen, statt 75 Prozent zu importieren."
Ein zentraler Punkt für Grauwinkel ist aber auch: Neben den Erträgen sollten auch die Qualitäten wieder mehr eine Rolle spielen. "Was wir aktuell auf den Feldern sehen, sind natürlich Hochleistungssorten, wir bekommen mittlerweile 80 Dezitonnen Getreide pro Hektar, teilweise sogar noch mehr." Aus Ihrer Sicht müsse man sich wieder auf ein geringeres Ertragsniveau einpendeln und stärker auf Qualität setzen. "Also eben nicht nur die Höchstertragssorten, die unseren Klimabedingungen auf Dauer nicht gerecht werden."
Matthias Ulrich sagt, auch er bekomme Angst, wenn es vier Wochen nicht regne, aber deshalb alles über den Haufen werfen? Das würde er nicht. Die Abnehmer in der Region und der Handel seien ja ebenfalls auf die aktuellen Produktionsweisen eingestellt. "Ich denke schon, dass aus unserer aller Ernährungsweise der Weizen nicht wegzudenken ist", betont er. Noch dazu sei Mitteldeutschland eine der wenigen Regionen auf der Welt, die aufgrund der Böden überhaupt Qualitätsweizen (der, aus dem das Brot gemacht wird) anbauen könne.
Zusammenfassend könnte man feststellen: Die Forschung sagt, alles muss sich verändern – die Praxis sagt: Noch geht's ja. Dazu stellt sich natürlich die Frage, wo die Veränderung der Landwirtschaft anfangen soll. Sind es die Landwirte selbst, die Abnehmer, die Politik – oder am Ende sogar wir, die Verbraucher?
Warum kann mehr Diversität eine Lösung sein?
Eine Lösung, auf die sich Ulrich und Grauwinkel vielleicht einigen können: Mehr Diversität im Anbau macht die Landwirtschaft grundsätzlich weniger anfällig für Wetterextreme. Urte Grauwinkel erklärt, warum das funktioniert: "Es gibt eigentlich nie das richtige Wetter für Landwirte: Entweder hat man ein gutes Getreidejahr oder man hat ein gutes Kartoffeljahr. Oder man hat ein gutes Weinjahr." Agrargenossenschafts-Vorstand Matthias Ulrich ergänzt: "Das ist auch ein Stück weit unsere Betriebsphilosophie, wir möchten gerne breit aufgestellt sein, sodass eigentlich immer irgendetwas gut wächst und falls manches dann wahrscheinlich ein Stück weit schlechter ausfällt, können wir das ausgleichen und haben quasi einen guten Durchschnitt."
Für Landwirtinnen und Landwirte ist das auch eine wirtschaftliche Frage, weil Ernte-Ausfälle direkt einen schweren finanziellen Schaden bedeuten. Ein bisschen kann man sich das vorstellen wie bei einem Poker-Spiel: Am Anfang der Saison werden Sorten gepflanzt, die mit bestimmten Wetterlagen gut klarkommen und ein paar Monate später sieht man dann, ob es geklappt hat. "Wir können eigentlich nie sagen, was in zwei, drei Monaten ist", sagt Matthias Ulrich. Obwohl man natürlich Erfahrungen mit dem eigenen Standort habe.
Um sich an die zunehmende Trockenheit anzupassen, achtet Ulrich nun darauf, Weizensorten anzubauen, die etwas mehr Trockenheit und Kälte tolerieren können. Aber: Er bleibt eben doch noch beim Weizen – womit er im Schnitt liegt, denn aktuell verdienen die Landwirte in Mitteldeutschland das meiste Geld mit Weizen.
Urte Grauwinkel wünscht sich neben Weizen noch mehr Kulturen auf dem Acker: "Weizen ist sehr anspruchsvoll. Er braucht mehr Feuchtigkeit, braucht Wärme, er verträgt Kälte nicht so richtig. Ich würde mir wünschen, dass nicht alles nur auf Weizen basiert." Ein Ziel der Agrarwissenschaftlerin wäre, dass die Bäcker, Küchen und der Handel bereit sind, Neues auszuprobieren. Entsprechend könnten die Landwirte darauf reagieren und sagen: Wir bauen mehr Soja an oder mehr Linsen. "Auch Hirse und Buchweizen sind klimaangepasste Pflanzen, aber wir brauchen dann natürlich auch Verbraucherinnen und Verbraucher, die sagen: Ja, das schmeckt mir." Aus ihrer Sicht müsse der Impuls für eine klimawandelfreundliche Landwirtschaft auch von den Konsumentinnen und Konsumente ausgehen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 06. September 2024 | 14:45 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/7672ee79-61f6-4411-9a07-b926edd7d6fa was not found on this server.