Solidarität und eingeschränkte Kooperationen mit Russland Ukraine-Krieg: So reagiert die Wissenschaft in Mitteldeutschland
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02. März 2022, 20:30 Uhr
Die Forschung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist vom Krieg in der Ukraine ebenfalls betroffen: Es gibt viele Austauschstudenten und gemeinsame Projekte mit Russland. Diese werden eingeschränkt, dafür Solidarität mit der Ukraine gezeigt. Ein Überblick.
Sächsische Hochschulen schränken Kooperationen mit Russland ein
Nachdem der Deutsche Akademische Auslandsdienst (DAAD) bereits am Freitag (25.02.2022) mitgeteilt hatte, dass der wissenschaftliche Austausch mit Russland eingeschränkt werden soll, zogen die sächsischen Universitäten in dieser Woche nach und setzen Kooperationen ebenfalls teilweise aus. Die TU Bergakademie Freiberg unterscheide dabei zwischen schon begonnenen und geplanten Projekten: "Wir können Studierende und Wissenschaftlerinnen sowie Wissenschaftler, die sich bereits im jeweiligen Gastland aufhalten, nicht 'hängen' lassen." Die Bergakademie, die Forschungskooperationen mit acht ukrainischen Universitäten und 24 russischen Universitäten unterhält, veröffentlichte auf ihrer Website ein Statement, in dem die Solidarität mit der Ukraine bekundet wird. Zusätzlich war für den 2. März eine Kundgebung und ein Friedensgebet geplant, zudem sammeln ukrainische Studierende Sachspenden.
Die TU Chemnitz und die Universität Leipzig prüfen das Aussetzen von Projektaktivitäten mit Partnerinstitutionen in Russland und Belarus laut eigenen Angaben derzeit. Von der Uni Leipzig hieß es bereits in der vergangenen Woche, dass Aufenthalte ukrainischer Studierender nach Möglichkeit verlängert werden sollten, damit diese nicht in ein Kriegsgebiet zurückkehren müssten. Die TU Chemnitz, die etwa mit der Katholischen Universität in Lemberg/Lwiw über die Professur Kultur- und Länderstudien Ostmitteleuropa kooperiert, veröffentlichte einen offenen Brief des Rektors, der sich darin "schwer schockiert und tief betroffen angesichts des völkerrechtswidrigen russischen Überfalls auf die Ukraine" zeigt. Auch die anderen Hochschulen zeigten sich sehr besorgt um Lehrende und Studierende aus der Ukraine, deren Familien zurzeit noch in der Ukraine sind. Auch mit den russischen Staatsangehörigen an der Hochschule sei man im Kontakt, so die TU Bergakademie Freiberg. Diese seien sehr verunsichert und wüssten nicht, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen sollten.
Die TU Dresden lässt alle DAAD-geförderten Projektaktivitäten mit Partnerinstitutionen in Russland und Belarus ruhen, neue Projekte werden nicht initiiert. "Unsere Gedanken sind besonders auch bei den vom Krieg betroffenen Forschenden und Studierenden, mit denen wir uns im Rahmen von Wissenschaftskooperationen und Austauschprogrammen seit vielen Jahren eng verbunden fühlen", schreiben die Dresdner in einer Stellungnahme. Neben Promovierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitern aus der Ukraine befinden sich derzeit 140 Studierende mit ukrainischer Staatsbürgerschaft an der Elbe.
Viele gemeinsame Projekte in Magdeburg und Halle
Auch an der Uni Magdeburg gibt es diverse Kooperationen mit Hochschulen in der Ukraine und Russland. Gemeinsam mit der TU Ilmenau wird sogar ein Leuchtturmprojekt der transnationalen Bildung betrieben, die ingenieurwissenschaftliche Deutsch-Russische Fakultät in Kasan: GRIAT (German-Russian Institute of Advanced Technologies). Zusammen mit der Kiewer Polytechnischen Universität führen die Magdeburger die Gemeinsame ukrainisch-deutsche Fakultät (GUDF). In der Erklärung der Uni heißt es zum zum Angriff auf die Ukraine: "Unsere Solidarität gilt der gesamten ukrainischen Bevölkerung und insbesondere unseren 115 ukrainischen Studierenden, Gastwissenschaftlern und hochschulischen Partnern in der Ukraine, mit denen wir durch eine Vielzahl von Kooperationen, Austauschprogrammen und Partnerschaften eng verbunden sind." Das weitere Vorgehen bei Kooperationsprogrammen soll nun mit den anderen beteiligten deutschen Universitäten und dem DAAD beraten werden.
Die Uni Halle-Wittenberg kooperiert etwa mit dem "Kasaner Wissenschaftlichen Zentrum der Russischen Akademie der Wissenschaften" im Bereich der physikalischen Chemie, dazu kommt ein Projekt in der experimentellen Physik mit der "Russischen Stiftung für Grundlagenforschung". Zum Ukraine-Krieg äußerte sich Rektor Christian Tiedje in einem Statement bestürzt: "Die Universität Halle ist zutiefst entsetzt über den Krieg in der Ukraine und verurteilt den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands aufs Schärfste. Wir sind fassungslos und in Sorge um das Leben der Menschen in der Ukraine." Derzeit sind 92 ukrainische und 152 russische Studierende in Halle eingeschrieben. Die Forschungsstelle Migrationsrecht der Uni hat zudem eine Handreichung zu "Möglichkeiten für eine Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine" erarbeitet.
Große Sorge in Erfurt um Wissenschaft und Studierende
In Thüringen will die Uni Jena ihre Zusammenarbeit mit ihren ukrainischen Partnern, wo immer dies möglich ist, fortsetzen. Außerdem informiert die Universität ausführlich über Hilfsprogramme. "Die Invasion in die Ukraine bricht mit den Werten, die das Fundament der Aufklärung und der Wissenschaft bilden", schreibt Präsident Walter Rosenthal auf der Uni-Website. Ebenfalls mit der "Russischen Stiftung für Grundlagenforschung" gibt es in Jena beispielsweise eine Kooperation im Bereich Toxikologie zur "Untersuchung funktioneller Überschneidungen der humanen Reparaturwege von 8-Oxoguanin in DNA". Diese und weitere Kooperationen mit russischen Partnern werden nun vorerst ausgesetzt. Mit der Ukraine wird aktuell zusammen in Person von Prof. Georgij Schewtschenko von der Kiewer Nationalen Universität in der Mathematik zu "heterogener Diffusion" geforscht. Außerdem wird gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Lwiw und Kiew am Institut für Slawistik und Kaukasusstudien der Universität Jena das zurzeit umfangreichste Referenzkorpus des Ukrainischen entwickelt: www.uacorpus.org. Erforscht wird die Variation der Ukrainischen Standardsprache, die aufgrund ihrer komplexen Geschichte außerordentlich groß ist.
Die Uni Erfurt teilt auf Anfrage von MDR WISSEN mit, dass es derzeit keine Forschungsprojekte mit Russland oder der Ukraine gibt, aber vier Hochschulpartnerschaften: Zwei in Moskau, eine in St. Petersburg und eine in Nowosibirsk. Die Uni sei zugleich in großer Sorge um die Zukunft der deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen. "Unsere Austauschstudierenden sind seit Januar zurück – bis auf zwei Ausnahmen: eine Studentin ist seit Ende Januar in St. Petersburg, ein Student hat seinen Aufenthalt in Moskau bis zum Ende des Sommersemesters verlängert", heißt es aus Erfurt. "Sollte es seitens des Auswärtigen Amts Reisewarnungen geben, würden wir die beiden in Russland befindlichen Studierenden natürlich informieren und schauen, dass sie wohlbehalten zurück nach Deutschland kommen."
Mitgefühl in Magdeburger Max-Planck-Institut
Die Max-Planck-Gesellschaft als wichtigste außeruniversitäre Forschungsorganisation in Deutschland unterhält diverse Standorte in Mitteldeutschland. Zusammen mit weiteren wissenschaftlichen Institutionen wurde eine "Stellungnahme zum Angriff auf die Ukraine" veröffentlicht. Darin wird betont, dass die russische Invasion ein Angriff sei "auf elementare Werte der Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung, auf denen Wissenschaftsfreiheit und wissenschaftliche Kooperationsmöglichkeiten basieren". Diese "Allianz der Wissenschaftsorganisationen" friert dazu wissenschaftliche Kooperationen mit staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen in Russland mit sofortiger Wirkung ein.
In Magdeburg ist etwa das Max-Planck-Institut (MPI) für Dynamik komplexer technischer Systeme mit Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine durch einen Kooperationsvertrag eng verbunden. "Unser Mitgefühl und unsere Solidarität gelten allen ukrainischen Bürgern, und insbesondere unseren eigenen, jetzigen und ehemaligen, ukrainischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und deren Familien sowie unseren Kolleginnen und Kollegen", schreibt das MPI in einer Erklärung zum Angriff auf die Ukraine.
Das MPI für Biogeochemie in Jena forscht im Projekt "Zotino Tall Tower Observatory" (ZOTTO) mit einem über 300 Meter hohen Turm in der sibirischen Taiga zu biochemischen Prozessen in größeren Höhen. Dabei erhofft man sich Erkenntnisse zum globalen Kohlenstoffkreislauf. Auch wie es bei solchen buchstäblichen Leuchtturmprojekten nun weitergeht, ist sehr fraglich.
Die Helmholtz-Gesellschaft betreibt zudem in Dresden-Rossendorf das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), in dem auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie geforscht wird. In einer Kooperation mit Kiewer Nationalen Universität geht es etwa konkret um "Nichtlokale chirale Wechselwirkung in geriffelten magnetischen Nanohüllen". Auch das HZDR äußert sich in einem Statement zum Konflikt: "Wir rufen die russische Regierung dazu auf, alle militärischen Maßnahmen unverzüglich zu beenden, und werden die russische Zivilbevölkerung in ihrer Position gegen diesen sinnlosen Krieg unterstützen. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass Forschung Brücken über nationale und politische Grenzen hinweg bauen kann."
cdi/dpa
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