Spektakuläre Studie Tintenfisch-Gedächtnis im Alter viel besser als beim Menschen
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20. August 2021, 14:43 Uhr
Tintenfische können sich bis zum letzten Tag ihres Lebens genauestens erinnern, wo und wann bestimmte Ereignisse stattgefunden haben. Was ihr gutes Gedächtnis im Alter angeht, sind sie uns Menschen weit überlegen. Gründe sind eine andere Hirnstruktur und ein komplett anderes Fortpflanzungsverhalten. Das ist das Ergebnis einer neuen spektakulären Studie.
Tintenfische gelten in der Tierwelt gemeinhin als besonders intelligent. Vor allem die Untergruppe der Kraken steht in dem Ruf sehr schlau, ja gar "allwissend" zu sein. Große Bekanntheit erlangte der "Krake Paul", der während der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 als Orakel-Tier den Ausgang aller Fußballspiele mit deutscher Beteiligung sowie das WM-Endspiel korrekt "voraussagte". In der "Kraken Academy!!", einem Video-Lernspiel für Kinder, rettet ein "allwissender Krake" sogar die ganze Welt. Uralte Mythen berichten von geistig überlegenen Riesenkraken, die mit ihren Fangarmen ganze Schiffe in die Tiefe rissen.
Sehr leistungsfähige Gehirne
Natürlich gehören derartige Geschichten in das Reich der Legenden. Doch auch wenn weder Kraken noch andere Tintenfische dem Menschen auf dem Feld der Intelligenz wirklich das Wasser reichen können, verfügen sie doch über beachtliche Fähigkeiten. So gelten Tintenfische generell als die intelligentesten Weichtiere, die nach den Wirbeltieren zudem über die höchste Organisationsform im Tierreich verfügen. Ihre Gehirne sind sehr leistungsfähig. Kraken sind zum Beispiel in der Lage, sogenannte Irrgarten-Probleme schneller und besser zu lösen als die meisten Säugetierarten.
Gutes Gedächtnis bis ins hohe Alter
Derart großartig, dass man sich als Autofahrer beim Ausfall der Satelliten-Navigation statt eines überforderten Beifahrers lieber einen Kraken auf den Sozius setzen sollte, ist der Orientierungssinn dieser Weichtiere dennoch nicht. Allerdings haben Wissenschaftler nun herausgefunden, dass Tintenfische dem Menschen gegenüber zumindest partiell überlegen sind. Denn im Gegensatz zum Menschen behalten Tintenfische auch im hohen Alter ihr gutes Gedächtnis für ganz bestimmte Ereignisse. Das ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern aus Großbritannien, den USA und Frankreich, die in der der Zeitschrift Proceedings of the Royal Society B erschienen ist.
Wochenlange Gedächtnistets
Die Forscher der Universität Cambridge in Großbritannien, des Marine Biological Laboratory in Woods Hole, Massachusetts, und der Universität Caen in Frankreich stellten bei wochenlangen Gedächtnistests Tintenfischen der Art Sepia officinalis (Gewöhnlicher Tintenfisch) fest, dass es zwischen der Gedächtnisleistung von Tintenfischen im Teenager- bzw. Jungerwachsenenalter (10 bis 12 Monate) und dem Gedächtnis von in Menschenjahren gerechnet über 90-jährigen Tintenfischen (22 bis 24 Monate) keinerlei Unterschiede gibt.
Völlig unabhängig von ihrem Lebensalter merkten sich alle Tintenfische während des Experiments, dass an bestimmten mit schwarz-weißen Fähnchen markierten Stellen ihres Beckens nach einer bestimmten Zeit ihre Lieblingsspeisen zur Verfügung standen. Auch als die Futterstellen täglich variierten, erinnerten sich alle "Probanden" präzise, welches Futter wo und wann genau verfügbar war.
Erinnerung an Ort und Güte der Mahlzeiten
"Tintenfische können sich daran erinnern, was sie wann und wo gegessen haben, und nutzen dies, um ihre Fütterungsentscheidungen für die Zukunft zu treffen", erklärt die Erstautorin der Studie Alexandra Schnell vom Fachbereich Psychologie der Universität Cambridge. "Erstaunlich ist, dass sie diese Fähigkeit mit zunehmendem Alter nicht verlieren, obwohl sie andere Alterserscheinungen wie den Verlust der Muskelfunktion und des Appetits zeigen."
Völlig andere Gehirnstruktur
Dass die körperlichen Funktionen hochbetagter Tintenfische wie bei älteren Menschen nachlassen, nicht jedoch ihre Gedächtnisleistung, hat mit einer völlig anderen Gehirnstruktur zu tun. Beim Menschen ist ein bestimmter Teil des Gehirns, der sogenannte Hippocampus, dafür zuständig, dass wir uns daran erinnern, was an bestimmten Zeiten wo stattgefunden hat. Mit zunehmenden Alter verschlechtert sich jedoch der Hippocampus des Menschen, was unweigerlich mit einer Verschlechterung unseres "episodischen Gedächtnisses" einhergeht.
Ein Leben ohne Hippocampus
Tintenfischen kann das nicht passieren. Sie haben nämlich gar keinen Hippocampus. Bei ihnen ist der vertikale Lappen des Gehirns für das Lernen und das Gedächtnis zuständig. Und dieser Gehirnlappen wird erst in den letzten zwei bis drei Tagen eines Tintenfischlebens geschädigt. Nach Ansicht der Forscher könnte dies erklären, warum das "episodische Gedächtnis" bei Tintenfischen unabhängig vom Alter auf hohem Niveau weiterarbeitet.
Schlüssel liegt im Fortpflanzungsverhalten
Einen Grund für das gute Gedächtnis der Tintenfische bis ins hohe Alter sehen die Forscher in ihrem Fortpflanzungsverhalten. Da sie wie alle wirbellosen Tiere keine Eltern-Kind-Beziehung aufbauen, geben sie einmal Erlerntes auch nicht an die nachfolgende Generation weiter. Das Überleben ihrer Nachkommen sichern Tintenfische vielmehr dadurch, dass sie besonders viele Nachkommen in die Welt setzen. Da sich Tintenfische aber nur am Ende ihres Lebens fortpflanzen, sind sie bis zum Schluss auf ein hervorragendes Gedächtnis angewiesen. Die Forscher vermuten deshalb, dass die Erinnerung daran, mit wem sie sich gepaart haben, wo und wie lange das her ist, den Tintenfischen hilft, ihre Gene weit zu verbreiten, indem sie sich mit so vielen Partnern wie möglich paaren.
"Die alten Tintenfische waren bei der Gedächtnisaufgabe genauso gut wie die jüngeren – viele der älteren schnitten in der Testphase sogar besser ab. Wir denken, dass diese Fähigkeit den Tintenfischen in freier Wildbahn helfen könnte, sich zu merken, mit wem sie sich gepaart haben, so dass sie nicht zum selben Partner zurückkehren", erklärt Studien-Erstautorin Schnell.
(dn)
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