Energiewende Erneuerbare Müllberge: Wie ein Recyclingproblem bei Solarenergie im Keim erstickt wird
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01. November 2024, 11:31 Uhr
Photovoltaik-Module zur Stromerzeugung schaffen es auf zwanzig bis dreißig Jahre. Und wenn wir jetzt mal zurückrechnen, müsste so langsam die erste Generation in Rente gehen. Für die kommenden Jahre rechnen Fachleute mit hunderttausenden Tonnen Elektroschrott jährlich, allein in Deutschland. Gut, dass man sich über das Recycling jetzt schon einen Kopf macht. Denn eigentlich ist das gar kein Müll – in Magdeburg herrscht sogar richtige Silbergräberstimmung.
Nun ausgerechnet Rotorblätter stapeln sich vor der ausladend großen Halle im ein klein wenig abgelegenen Magdeburger Industriehafen. Und das, wo Windkraft heute ausnahmsweise mal nicht das Thema ist, sondern die nahe Verwandtschaft unter den Erneuerbaren. Ein großes Fragezeichen später stellt sich heraus: Rotorblätter für die Windenergie werden hier an der Elbe schon seit Jahren keine mehr produziert. Die Halle füllen jetzt Solarpaneele, fertig montiert und auch fertig im Zustand: "Der Ansatz, den wir verfolgt haben, ist eine Art Reverse Production aufzubauen." Was Fridolin Franke da meint, ist eine Rückproduktion von Photovoltaikmodulen. "Das heißt, dass wir den Produktionsprozess umdrehen und dadurch nacheinander die einzelnen Bestandteile von einem Solarmodul trennen und dann auch die verschiedenen Rohstoffe wieder zurückgewinnen können."
Das ist dann eigentlich auch schon die grundlegende Idee, die hinter Solar Materials steht. Franke und zwei Kollegen, die er noch von der Uni kennt, haben das Start-Up vor drei Jahren an den Start gebracht. Nach dem Firmen- und Forschungssitz wird jetzt der nächste Standort aufbaut, eben dort, wo früher Rotorblätter hergestellt wurden. Die Halle, in der der Gründer an diesem Montagmorgen steht, ist noch weitestgehend leer. Aber zwei Maschinen sind schon startklar und unter anderem dafür zuständig, die Paneele von ihrem Alurahmen zu trennen. Außerdem stapeln sich schon die ersten in Rente geschickten Module. Und zeigen: Nicht nur der Aufbau von Solaranlagen ist ein Zukunftsmarkt, sondern auch deren Rückbau.
Bislang waren es deutschlandweit zehntausend Tonnen im Jahr, die außer Dienst gestellt wurden – für die kommenden Jahre rechnen Fachleute mit hunderttausenden jährlich. "Das ist bereits jetzt der am schnellsten wachsende Elektroschrottstrom", sagt Franke. Vor zwei Jahren wären die potenziellen Investoren seiner Firma noch skeptisch gewesen, ob der Markt fürs PV-Recycling überhaupt schon da ist. "Wenn wir uns jetzt anschauen, wie viele Module wir schon haben, dann stellt uns keiner mehr die Frage." Bei Solar Materials ist es inzwischen ein Wettlauf, für die wachsenden Mengen an PV-Schrott genügend Kapazitäten aufbauen zu können.
Nach zwanzig Jahren kaputte Solarmodule: Ja ist das denn normal?
Nur, wo es doch – im energiehistorischen Kontext wohlgemerkt – mit dem Sonnenstrom gerade erst so richtig losgegangen ist, darf man sich fragen, warum wir uns jetzt schon wieder um den Rückbau kümmern dürfen. Und am besten fragen wir uns das dort, wo ein großes PV-Modul aus recycelten Materialien neben dem Gebäude steht – hundert Kilometer südlich, am Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik auf dem Halleschen Weinberg Campus. "Also zwanzig Jahre sind eigentlich für so ein technisches Gerät ein ziemlich langer Zeitraum." Diesen Rüttler gibt es von Andreas Obst, der sich als Chemiker hier mit dem Recycling ausgedienter Solarmodule beschäftigt. "Wenn Sie sich mal anschauen, wie lange Sie beispielsweise Ihr Telefon benutzen, da kommen Sie mit zwanzig Jahren nicht hin."
Erwischt. Manche Paneele schaffen es sogar auf dreißig Jahre. (Und vor dreißig Jahren begann Nokia gerade erst damit, sein Renommee als Handyweltmarktführer aufzubauen.) Diese tatsächlich hohe Lebensdauer hängt mit der aufwendigen Bauweise zusammen, die so ein Modul zu einem ziemlichen – nun ja – Klumpatsch macht. "Also wir haben zum einen die Solarzellen, die sind eingekapselt in einer Polymerfolie, haben da noch eine Glasschicht oben drauf und die werden von einem Aluminiumrahmen gehalten." Neben Alu und Glas stecken besonders in der Solarzelle wertvolle Rohstoffe, allen voran Silizium und Silber. Und ein Silberkettchen würde ja nun auch niemand freiwillig entsorgen.
Für die Rückgewinnung gibt es verschiedene Möglichkeiten, erklärt Obst, thermische, chemische, mechanische. Gängig ist es, die außer Dienst gestellten Paneele zu schreddern und anschließend die einzelnen Rohstoffe im Granulat zu trennen. Nur funktioniert das eben nicht zu hundert Prozent genau, hier seien Kompromisse zulasten der Reinheit notwendig. Solar Materials aus Magdeburg dreht den Spieß einfach um: Man spare sich die Sorgen beim Sortieren, indem man sich eben am Anfang direkt Mühe gebe, um es mal mit Fridolin Frankes Worten zu sagen. Ein Ansatz, dem der Chemiker Andreas Obst viel abgewinnen kann: "Er zielt ja vor allen Dingen darauf ab, zum einen, sehr hochwertiges Glas zurückzugewinnen, ohne starke Verunreinigung durch Metall und Silizium. Und zum anderen, was die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens eben sehr stark nach vorn bringt, die Rückgewinnung von Silber."
Im Jahr 2023 gehe fast ein Fünftel der Weltsilberproduktion auf die Solarindustrie zurück, erklärt Obst, "und es gibt aktuell weltweit noch keinen Recyclingprozess im industriellen Maßstab, der das Silber zurückgewinnt." Gleichzeitig gehe der Silberpreis stark nach oben und es ist nicht abzusehen, dass die Branche ihren Verbrauch zurückfährt, schon alleine, weil es in Sachen Haltbarkeit und elektrischer Leitfähigkeit in den Paneelen eine bessere Figur als Kupfer macht.
Nun ist ja jedes Modulmodell ein bisschen anders gebaut. Um besser abschätzen zu können, wie viel Silber in den ausgedienten Platten aufs Recycling wartet, haben Andreas Obst und sein Team den Magdeburgern unter die Arme gegriffen. Am Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, zu dem auch das Center in Halle gehört, atmet man seit Jahrzehnten Photovoltaikluft, demnach liegt dort auch ein gehöriger Wissensschatz über die Zusammensetzung verschiedener Solarpaneele. Mittels einer automatisierten Datenerfassung und einer Datenbank mit hunderten Proben, kann Solar Materials effizienter sehen, wie groß die Glasdicke oder wie hoch der Silber- und Schadstoffgehalt in einem Modul ist, so Obst. Das funktioniere "über den Barcode, der auf den Modulen am Typenschild vorhanden ist und mit dem dann eben die Maschine entsprechend auf den optimalen Parametersatz eingestellt wird, um dieses Modul zu verarbeiten." Das freut auch die Lieferanten, die dann je nach enthaltendem Silber angemessen vergütet werden können. Oder: "Wenn diese Module sehr wenig Wertstoffe, aber viele Schadstoffe enthalten, das eben dem Anlieferer entsprechend in der Belastung aufzuerlegen."
Ausgediente Photovoltaik-Paneele: Von wegen Müll!
Vor ein paar Jahren saß Fridolin Franke noch an der Marktanalyse, inzwischen steht er am künftigen Dreh- und Angelpunkt seines Unternehmens. Beziehungsweise so ziemlich genau in der Mitte der großen Halle am Industriehafen, in die sich in den nächsten Monaten noch weitere Maschinen der Marke Eigenbau und auch Roboter gesellen werden. Zwanzig Prozessstationen soll sie enthalten, die erste industrielle Recyclinglinie des Unternehmens. Für das nächste Jahr ist dann die nächste Linie im Hallenschiff nebenan geplant. 20.000 bis 25.000 Tonnen pro Jahr, das ist die Ziellinie ab 2026.
Wenn der junge Unternehmer das mit seiner sachlichen Art so sagt, kommt man nicht auf die Idee, dass es an diesem Plan etwas zu rütteln gibt. Man glaubt es ihm eben einfach. Nur ganz kurz wird Franke dann doch noch ein kleines bisschen emotionaler: "Ich glaube, es müssen einfach noch viel mehr Menschen begreifen, dass in den Produkten, die wir haben, Rohstoffe drin sind und das als Rohstoffquelle begreifen und nicht als Müll." Eine entscheidende Einstellung, nicht nur für die Umwelt, sondern für Deutschland und Europa, wie er sagt. "Um unsere Abhängigkeit von anderen Regionen in der Welt zu reduzieren und weil es einfach verschenktes Potenzial ist, wenn wir nicht recyceln." Und Potenzial wirft man eben genauso wenig auf den Müll wie Silber.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 02. November 2024 | 00:00 Uhr
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