Studie aus Leipzig Intelligente Schwärme? Manchmal ist es auch nur Physik
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16. Januar 2023, 09:52 Uhr
Wenn Vögel oder Fische in großen Schwärmen agieren, vermuten wir dahinter oft bewusstes Verhalten. Daher der Begriff Schwarmintelligenz. Offenbar kann die Ursache aber auch in physikalischen Mechanismen liegen. Das zeigt eine neue Studie aus Leipzig.
Das faszinierende Zusammenspiel eines Vogelschwarms, wer hat nicht schon die geradezu magischen Bilder gesehen. Wie schaffen es die Vögel, sich so koordiniert zu bewegen? Untersuchungen eines italienischen Forschungsteams bei Starenschwärmen haben gezeigt, dass sich ein Vogel immer an den sieben Vögeln orientiert, die ihm am nächsten sind. Zu denen versucht er ungefähr die Position zu halten. Außerdem tendieren Vögel dazu, Bewegungen zu folgen, die sich in die Mitte des Schwarms richten. Das hat wahrscheinlich Sicherheitsgründe. Denn werden sie unterwegs angegriffen – von Greifvögeln zum Beispiel – dann bietet ein dichter Schwarm Schutz.
Bei Heuschrecken sind es Pheromone
Wenn Heuschreckenschwärme sich auf den Weg machen, dann wiederum sind Pheromone im Spiel. Die Wanderheuschrecken verfügen demnach über bestimmte Sinneszellen, die diese Pheromone wahrnehmen: Die sogenannten basikonischen Sensillen steckten in den Fühlern der Heuschrecken. Bereits wenn wenige Heuschrecken zusammenkommen, beginnen sie, einen Lockstoff zu bilden, der auf andere Tiere wirkt. Wanderheuschrecken jeden Alters und beiderlei Geschlechts werden davon angezogen.
Mikroschwimmer mit eigenem Antrieb
Forschende der Uni Leipzig haben nun experimentell bewiesen, dass Schwärme und ihre Bewegungen auch ganz einfachen physikalischen Mechanismen folgen können. Wichtig war dabei die "vollständige Kontrolle über die internen Zustände, Strategien und Wahrnehmungs-Reaktions-Schaltkreise der Individuen", beschreiben es die Wissenschaftler um Prof. Dr. Frank Cichos und Prof. Dr. Klaus Kroy. Um das zu erreichen, nutzte das Team synthetische Mikroschwimmer, die biologischen Systemen nachempfunden wurden. Diese sogenannten thermophoretische Schwimmer nutzen inhomogene, also ungleichmäßige Temperaturverteilungen auf ihrer Oberfläche aus, um sich mittels des erzeugten Temperaturgradienten fortzubewegen. (Hier finden Sie eine detaillierte Beschreibung)
Kontrolle per Laserheizung
Um die Bewegung ihrer Mikroschwimmer kontrolliert anzuregen, setzten die Forscher eine Art Laserheizung ein. Abgesehen von der allgegenwärtigen Brownschen Zufallsbewegung konnte so die "Kontrolle über die physikalischen Parameter und Navigationsregeln der einzelnen Kolloide" ermöglicht werden, so Cichos, der an der Uni Leipzig Experte für Molekulare Nanophotonik ist. Schon mit einer sehr einfachen und generischen Navigationsregel, die von allen Schwimmern identisch befolgt wurde, ergab sich ein überraschend komplexes Schwarmverhalten. Diese Regel bestand in einer zeitverzögerten Reaktion und sie führte zu einer Reaktion der kleinen Partikel, die der von natürlichen Schwärmen vom Mückentanz bis zum Straßenverkehr entsprach. Da alle Wahrnehmungs-Reaktions-Wechselwirkungen in der lebenden Welt zeitverzögert geschehen, sollten diese Erkenntnisse auch das Verständnis dynamischer Musterbildung in natürlichen Schwarm-Ensembles fördern, schlussfolgern die Forscher. Sie sehen ihr experimentelles System als Baukasten für zukünftige systematische Untersuchungen "von zunehmend komplexerem und möglicherweise noch unbekanntem Schwarmverhalten", so Cichos. "Und vielleicht erklärt es auch, warum Hundewelpen bei der Fütterung häufig den Futternapf umkreisen."
Links/Studien
Die Studie "Spontaneous vortex formation by microswimmers with retarded attractions" ist in nature communications erschienen.
gp/pm
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. April 2021 | 15:12 Uhr