Science vs. Fiction | Stranger Things Von Vogelschwärmen bis Brain-to-Brain-Interfaces: So kann ein Hive Mind funktionieren
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07. Juli 2022, 13:09 Uhr
Mehrere Lebewesen teilen sich ein Bewusstsein. Ein Hive Mind ist beliebter Stoff für Science-Fiction. So zum Beispiel in der Netflix-Serie Stranger Things. Dort in der fiktiven Parallelwelt "Upside Down" hängen alle Lebewesen zusammen, Pflanzen genauso wie Tiere. Das bedeutet: Wird einer angegriffen, spüren es alle; hat einer etwas gesehen, sehen es alle. Das klingt natürlich erstmal nicht nach etwas, was es in unserer realen Welt geben könnte. Oder vielleicht doch?
"Hive" ist das Englische Wort für "Schwarm" oder "Bienenstock". Da ist es naheliegend, erstmal bei den Schwarmtieren nachzugucken, wenn wir wissen wollen, wie ein Hive Mind funktionieren kann. Es gibt viele Tiere, die in Schwärmen leben: Vögel, Insekten, Fische und sogar Fledermäuse. Rom zum Beispiel ist bekannt für seine Staren-Schwärme. Die Vögel fliegen in riesigen Schwärmen über der Stadt. Dabei haben sie oft kein konkretes Ziel. Der Schwarm wabert mehr vor sich hin. Aber – und das ist der entscheidende Part – ohne sich in die Quere zu kommen. Wie schaffen die das?
Eine Forschungsgruppe um Andrea Cavagna vom Institut für komplexe Systeme in Rom hat die Staren-Schwärme in Rom untersucht und herausgefunden, dass sich ein Vogel immer an den sieben Vögeln orientiert, die ihm am nächsten sind. Zu denen versucht er ungefähr die Position zu halten. Außerdem tendieren Vögel dazu, Bewegungen zu folgen, die sich in die Mitte des Schwarms richten. Das hat wahrscheinlich Sicherheitsgründe. Denn werden sie unterwegs angegriffen – von Greifvögeln zum Beispiel – dann bietet ein dichter Schwarm Schutz. Das interessanteste für uns ist aber: Der Schwarm agiert als Einheit. In der kann jeder Vogel eine Bewegung initiieren, der dann alle anderen Folgen. Dadurch kommt dieses Wabern zustande.
Königin der Chemie
Ein Vogelschwarm ist allerdings kein perfekter Vergleich für den Hive Mind in Stranger Things. Denn dort gibt es ja einen, der den Hive Mind kontrolliert. Den "Mind Flayer". Deswegen geht unser nächster Blick in den Bienenstock. Dort kontrolliert die Königin ihre Arbeiterinnen auch in gewisser Weise. Und zwar macht sie das chemisch über Pheromone. Pheromone sind Botenstoffe. Damit kommunizieren die Bienen. Pheromone reichen allerdings nicht unendlich weit. Die Königin sendet sie aus und dann werden die von den Arbeiterinnen reproduziert. Quasi wie eine Telefonkette. So wird die "Nachricht" der Königin weitergetragen. Die Pheromone sind übrigens auch der Grund, warum die Königin die einzig fruchtbare Biene ist. Die unterdrücken die Fruchtbarkeit der Arbeiterinnen.
Die Bienen kommen also schon sehr nah an einen Hive Mind heran. Aber so ein richtiger Hive Mind ist noch schneller. Die Pheromon-Telefonkette breitet sich ja nicht mit Lichtgeschwindigkeit aus. In einem Hive Mind sind Informationen aber immer für alle verfügbar. Und das klingt ganz stark nach Internet. Nur eben zwischen Köpfen und nicht zwischen Computern. Und an so etwas in der Art wird geforscht. Das nennt sich Brain-to-Brain-Interface. Also eine Schnittstelle zwischen zwei Gehirnen.
Eine Forschungsgruppe der Washington University hat 2013 ein Experiment durchgeführt, in dem ein Mensch einen anderen ferngesteuert hat. Klingt verrückt, aber hat funktioniert. Und zwar per Elektroenzephalografie (EEG). Das sind diese Hauben voller Elektroden. Brain-to-Brain-Interfaces sind überhaupt nur möglich, weil wir Gehirnaktivität messen können. Die Gehirnzellen leiten nämlich elektrische Signale weiter. Die Signale kann man messen. Und andersherum kann man das Gehirn auch mit elektrischen Signalen stimulieren. In dem Experiment an der Washington University haben die Forschenden das mit der sogenannten Transkraniellen Magnetstimulation gemacht. Dabei ist eine Spule über dem Kopf platziert und das Magnetfeld der Spule induziert elektrische Signale im Gehirn.
Gedankenübertragung beim Computerspielen
Das Experiment hat folgendermaßen funktioniert: Zwei Wissenschaftler, Rajesh Rao und Andrea Stocco, sitzen in verschiedenen Räumen. Rao sitzt vor einem Computerspiel, bei dem man die Leertaste drücken muss um zu schießen. Stocco sitzt neben einer Tastatur. Rao sieht das Spiel und verspürt den Drang, die Leertaste zu drücken. Aber er denkt quasi nur daran und tut es nicht. Diese Gehirnaktivität wird jetzt von den Elektroden an seinem Kopf registriert und an einen Computer geschickt. Dann übers Internet an den Computer im Raum von Stocco und dann über eine Spule an Stoccos Gehirn. Und dann hat Stocco wirklich die Leertaste gedrückt. Ohne dass er selbst es wollte. Dabei hat er übrigens Ohrstöpsel getragen, damit er nicht von Geräuschen beeinflusst wird.
Jetzt ist der erste Gedanke natürlich, dass das Ganze eher gruselig ist, weil uns jemand fernsteuern könnte. Die Forschungsgruppe betont da aber, dass man mit dieser Technologie Menschen nicht gegen ihren Willen beeinflussen kann.
Es wäre übertrieben zu sagen, dass dieses Experiment der erste Schritt in Richtung Hive Mind für Menschen ist. Fakt ist aber auch, dass es Hive-Mind-ähnliche Lebensformen in unserer realen Welt gibt – natürlich nicht so extrem wie in der Science-Fiction. Ob es für uns Menschen erstrebenswert ist oder nicht, in einem Hive Mind zu leben ist natürlich nochmal eine ganz andere Frage.