Raumfahrt Rotierende Raumstationen: Blue Origin will künstliche Schwerkraft herstellen

01. August 2021, 05:00 Uhr

Schon im Science-Fiction-Film "2001 – Odyssee im Weltraum" von 1968 dreht sich eine Raumstation um ihre eigene Achse, um künstlich Schwerkraft zu erzeugen. Die Menschen können sich deshalb aufrecht in der Raumstation bewegen. Was Hollywood schon lange demonstriert, ist bislang in der Realität noch nicht möglich. Doch Jeff Bezos' Raumfahrtfirma Blue Origin will diese Fiction zusammen mit der NASA bald in die Tat umsetzen. Was dazu nötig ist, erklärt MDR WISSEN Reporter Guido Meyer.

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Januar 2021, irgendwo im Westen von Texas – das US-Raumfahrtunternehmen Blue Origin testet erfolgreich seine Rakete New Shepard. Sechs Monate später sitzen Menschen an Bord und starten zu einem Suborbitalflug. Die Firma will hoch hinaus – dorthin, wo die Konkurrenzunternehmen SpaceX und Boeing schon sind: ins All. Auch wenn die Tests bislang größtenteils erfolgreich verliefen – bis in den Weltraum hat es die Firma noch nicht geschafft. Das soll spätestens im kommenden Jahr gelingen mit der New Glenn-Rakete. Und dann will Blue Origin gleich etwas Neues ausprobieren: Am Ziel angekommen, im All, sollen kleine Raketentriebwerke die Kapsel in Rotation versetzen – ganz so, wie schon vor mehr als einem halben Jahrhundert von der Science-Fiction vorgemacht.

Von der Fiktion zur Wirklichkeit

Norbert Henn vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt erklärt, wie rotierende Raumschiffe funktionieren könnten:

Es müssten außen, am äußeren Umfang, Triebwerke sitzen, die von Zeit zu Zeit gezündet würden, weil die Drehung aufgrund der noch restlich vorhandenen Reibung im All mit der Zeit natürlich runtergeht, d.h. es müsste von Zeit zu Zeit neu angetrieben werden, in regelmäßigen Intervallen.

Norbert Henn, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Genau das ist der Plan von Blue Origin. Um die Kapsel im All in Rotation zu versetzen, sollen die Antriebsdüsen zünden, die eh schon vorhanden sind. Diese Lageregelungstriebwerke haben normalerweise die Aufgabe, das Raumschiff auf seinem Flug auf Kurs zu halten.

Rakete New Glenn
Mit "New Glenn" will auch Blue Origin ins All fliegen. Bildrechte: Blue Origin

Das Trägheitsproblem wäre, ein solches System überhaupt erstmal auf diese Drehzahl zu bringen. Die müsste sicherlich nicht so hoch sein wie die irdische Drehzahl – die Erde dreht sich ja innerhalb von 24 Stunden einmal um sich selbst. Aber was ich mir schwierig vorstelle, ist, dass überhaupt erst einmal auf diese Drehzahl zu bringen.

Norbert Henn, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Genau deswegen fängt Blue Origin bescheiden an: Zunächst einmal soll die drehende Kapsel nur Mondschwerkraft erreichen. Die Anziehungskraft auf dem Mond ist nur etwa ein Sechstel so stark wie irdische Gravitation. Das entspräche elf Drehungen einer Raumkapsel um die eigene Achse pro Minute. In dieser Zeit wollen Ingenieure Experimente und Hardware an Bord der Kapsel unter Mondbedingungen testen. Denn die US-Raumfahrtbehörde NASA will in wenigen Jahren zurück zum Mond. Und irgendwo und irgendwie muss man schließlich üben.

Bis zum Mond und noch weiter

Aber die Pläne reichen noch weiter: Im kommenden Jahrzehnt sollen Menschen gar zu einer mehrjährigen Mission zum Mars aufbrechen.

Für Mars-Missionen wäre es von Vorteil, wenn die Raumschiffe über künstliche Schwerkraft verfügen würden. Ein Drittel der Erdanziehung würde ausreichen. So stark ist nämlich auch die Anziehungskraft auf dem Mars. Die Astronauten müssten sich dann nicht erst anpassen, sondern könnten nach der Landung sofort aussteigen und mit ihrer Arbeit loslegen.

David Smitherman, Marshall Space Flight Center, NASA

David Smitherman beschäftigt sich im Büro für fortgeschrittene Konzepte beim Marshall Space Flight Center der NASA in Huntsville, Alabama, mit künstlicher Schwerkraft. Sie ließe sich herstellen, indem ein Raumschiff um sein Zentrum rotiert – so wie es Blue Origin im kommenden Jahr vormachen will.

Es gäbe einen Abschnitt in der Mitte des Raumschiffs, in dem Schwerelosigkeit herrschen würde. Aber in einem sich drehenden Rad außerhalb gäbe es Schwerkraft.

David Smitherman, Marshall Space Flight Center, NASA

Ganz außen, auf den Außenwänden des Raumschiffs, könnten Menschen aufrecht stehend laufen. Die Wände werden zum Boden. Klingt komisch, aber die Astronauten selbst würden es gar nicht merken, dass sie sich wie ein Hamster im Rad verhalten. Bis die ersten Menschen sich an Bord einer Raumkapsel um die eigene Achse drehen, wird es noch einige Zeit dauern. Außer in Science-Fiction-Filmen ist solch ein Konzept noch nie in die Tat umgesetzt worden. Aber Blue Origin traut sich nun zumindest die unbemannte Variante zu – wenn alles weiter so erfolgreich läuft wie bislang.

Wozu ist eigentlich nötig?

2024 sollen die ersten NASA-Astronauten mit der Artemis-Mission nach 52 Jahren Pause endlich wieder auf dem Mond landen. Die Bedingungen herzustellen, die auf dem Mond herrschen sind aber schwer. Bei Parabelflügen kann zwar eine Mondschwerkraft erzeugt werden, aber sie hält nur wenige Sekunden an. Trainings im Vorfeld unter Mondbedingungen durchzuführen, ist so schwer praktikabel. Blue Origin dagegen möchte die gesamte Kapsel in eine Art Zentrifuge verwandeln und könnte so eine mondähnliche Schwerkraft erzeugen, die bis zu zwei Minuten aufrechterhalten werden kann.

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