Ethik Jede*r muss: Warum Resteretten keine Privatangelegenheit ist
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19. September 2021, 10:00 Uhr
Lebensmittel in die Tonne oder noch verwerten? Aus ethischer Sicht gibt es hier kein Oder. Denn der Umgang mit Lebensmitteln ist nicht dem freien Willen eines jeden einzelnen Menschen überlassen. Es hängt einfach zu viel dran.
Okay, natürlich ist es Ihnen vollkommen selbst überlassen, ob Sie mit unserer neuen Web-App MDR-Resteretter versuchen, ein kleines bisschen die Welt zu retten oder nicht. Allerdings nur in Bezug auf die App. Denn die Frage, ob Sie sich mit Lebensmittelabfällen auseinandersetzen müssen oder Sie die eher einen feuchten Kehricht interessieren können, die, sorry, dürfte sich gar nicht stellen.
Aus ethischer Sicht zumindest. Nicht nur in Bezug auf Lebensmittelabfälle, sondern was generell unser Ernährungsverhalten betrifft. Zu diesem Ergebnis kommt die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, im Gespräch mit dem Blog Ernährungsmedizin. Ihre Auseinandersetzung mit dem Thema kommt nicht von ungefähr: die Dimensionen der Ernährungsverantwortung waren das Thema der diesjährigen Jahrestagung des Deutschen Ethikrats. Eine Institution, die sonst v.a. durch Stellungnahmen zu Themen wie Impfungen oder Abtreibung im Licht der Öffentlichkeit steht.
Niemand kann sich zurücklehnen
Bei Ernährungsthemen gebe es nicht nur eine*n Verantwortliche*n, hier müsse man von einer Multiakteursverantwortung sprechen, so Buyx im Interview. Die Verantwortung für das Ernährungsverhalten lasse sich zum Beispiel dritteln – mit gleichen Anteilen für Unternehmen, Politik und Individuen. "Natürlich darf man dem Individuum nicht zu viel überstülpen, aber man kann die individuelle Verantwortung nicht völlig rausnehmen", so die Medizinethikerin. "Niemand kann sich zurücklehnen und sagen, er selbst trage in diesem System gar keine Verantwortung."
Der Grund, dass Essen nicht nur Privatsache sei, liege in der Konsequenz des Handelns. Alena Buyx nennt Krankheitskosten, soziale Kosten und ökologische Kosten als Beispiele. Das betrifft natürlich auch Lebensmittelverschwendung als Teil unserer Ernährung. Wer durch sein Einkaufsverhalten billige Erzeuger*innenpreise fördert, unterstützt auch die Vernichtung von Lebensmitteln auf dem Feld, deren Ernte sich nicht mehr lohnt. Vor dem Hintergrund, dass fünfzig Prozent der weggeworfenen Lebensmittel in Privathaushalten anfallen, erübrigt sich die ernsthafte Frage nach einer individuellen Verantwortung ohnehin.
Unterschiedliche Privilegien, Anstupsen erlaubt
Es gibt nur einen Haken: Nicht alle Menschen hätten das Privileg, mit den gleichen Ressourcen Entscheidungen zu treffen. Finanziell gut situierte Bildungsbürger hätten da viel mehr Kapazitäten. So kann es auch in der Verantwortung anderer Akteure liegen, Individuen die ethisch richtigen Entscheidungen nahezulegen. Ganz ohne Verbote. Buyx verweist auf das Nudging-Konzept. Das heißt so viel wie "Anstups-Konzept". Und darum geht's: Durch mehr oder weniger unterschwellige Initiativen Menschen dazu zu bringen, das eigene Verhalten zu reflektieren.
Mehr oder weniger, weil Nudging erwiesenermaßen auch dann funktioniere, wenn es transparent kommuniziert werde, um den Manipulationsvorwurf zu entkräftigen. So könne eine Angebotsänderung in der Betriebskantine dafür sorgen, das Ernährungsverhalten zu verändern. Zum Beispiel: Fleisch wird weniger angeboten oder ist etwas versteckter platziert, neben kostenpflichtigen Softdrinks wird auch kostenfreies Wasser angeboten.
Und, sind wir mal ehrlich: Auch mit der MDR-Resteretter-App betreiben wir als öffentlicher Akteur so etwas wie Nudging und nehmen unsere ethische Verantwortung wahr. Mit dem Ziel, dass Nutzende ihr Wegwerfverhalten hinterfragen. Verhaltensänderung eingeschlossen.
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