Lebensmittelverschwendung Ist das MHD nur noch bis 2022 haltbar?
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31. Oktober 2021, 10:00 Uhr
Das Mindesthaltbarkeitsdatum sorgt bei jeder zünftigen Feier und jedem Kaffeetisch für ausreichend Gesprächsstoff. Zu viel, findet die EU. Denn das MHD ist auch Ursache für allerhand grundlos weggeworfene Lebensmittel. Zeit, es zu reformieren – 2022 könnte es nun soweit sein. Aber welche Optionen gibt es überhaupt?
Sind Sie eine Sparfüchsin? Oder ein Sparfuchs? Und haben zudem das Herz am rechten Fleck? Beides zusammen macht sich möglicherweise am Kühlregal bemerkbar, wenn der Sechs-Euro-Wildlachs aus norwegischem Fjordfang nur noch die Hälfte kostet, weil das Verfallsdatum ran ist, Sie sich das Filet endlich mal leisten können und im gleichen Zuge den Fisch vor der Tonne retten. Das Biomüsli mit dem "-10%"-Aufkleber löst derweil weit weniger Euphorie aus. Auch hier ist das Datum ran, das Ersparnis hält sich dennoch in Grenzen.
Plötzlich macht sich eine Diskrepanz bemerkbar, die in unseren Landen und Läden immer noch dafür sorgt, dass viel zu viel genießbare Lebensmittel in der Tonne landen. Auf Lebensmittelverpackungen aus Supermarkt, Bioladen und Späti können grundsätzlich drei Arten von Daten stehen: Das Mindesthaltbarkeitsdatum, das Verbrauchsdatum oder gar kein Datum. Der Lachs (oder auch die Forelle, ganz wie Sie wollen) unterscheidet sich in seiner Beschaffenheit von einem Müsli dahingehend, dass dem Fisch zwischen Fang und Verzehr nur wenig Zeit bleibt, bevor der Genuss gesundheitlich bedenklich ist. Beim Müsli und anderen Trockenwaren kann außer Lebensmittelmotten nicht viel passieren und selbst die halten sich nicht an aufgedruckte Stempel (leider, muss man sagen).
Der Fisch braucht seinen Stempel, die Nudel eher nicht
Dass ein Verbrauchsdatum notwendig ist – Hackfleisch hat auch eins, oder die Salatmischung aus der Tüte –, daran besteht kein Zweifel. Hier geht's um die Gesundheit der Konsument*innen. Das Mindesthaltbarkeitsdatum hingegen dürfte bei vielen Menschen trotz fortwährender Medienpräsenz immer noch ähnliche Sorgen auslösen, in dem Moment, in dem es überschritten wird. Ist aber eigentlich ein vollkommen anderes Konzept. Das MHD ist eher sowas wie die zwei, drei Jahre Garantie auf Ihren neuen Waschtrockner: Innerhalb der MHD-Phase können Verbrauchende ein optisch und geschmacklich einwandfreies Produkt erwarten, so wie sie innerhalb der Garantie ein Gerät erwarten können, das ordnungsgemäß wäscht und trocknet.
Wie genau das MHD von Hersteller*innen festgelegt wird, erschließt sich nicht sofort. Und klar, bei einer Garantie ist es immer gut, auf Nummer sicher zu gehen und das Datum vielleicht noch ein bisschen vorzuziehen. Andererseits: Glauben Sie wirklich, dass sich eine Packung trockene Spirelli ein halbes Jahr nach MHD im Kochtopf anders verhält? Und selbst wenn: Eine Nudel, die geschmacklich nicht mehr auf der Höhe ist, hat nichts mit einer potenziellen Fischvergiftung zu tun. Aber immerhin: Bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aus dem Frühjahr, gaben 89 Prozent der Deutschen an, bei abgelaufenem MHD die Genießbarkeit zu prüfen, nur vier Prozent würden das Produkt sofort entsorgen.
Ist "best before" best practice?
Das Schreckgespenst MHD wird seit Jahren diskutiert (nicht nur in Deutschland, wie diese britsche Comedy zeigt). Und im Zuge dessen auch dorthin gezeigt, wo es etwas besser läuft. Der englischsprachige Raum bedient sich an der Begrifflichkeit "Best before". Hier wird suggeriert: "Also am besten schmeckt's vor dem Datum, aber danach geht auch noch." Klar, verleitet natürlich trotzdem, sich den Joghurt ganz hinten im Regal zu schnappen und auch bei den Angelsächsinnen und -sachsen ist nicht alles Gold was glänzt: Selbst das englische Pendant zum Verfallsdatum "use by" sei in seiner Bedeutung nicht scharf genug von "best before" abgegrenzt, findet die EU-Kommission.
Für 2022 steht nun eine Revision der EU-Lebensmittel-Informationsverordnung an. In diesem Zusammenhang forderte das Bündnis Lebensmittelrettung innerhalb eines Drei-Punkte-Papiers bereits zur Bundestagswahl, dass sich Deutschland generell für eine Abschaffung des MHDs bei Produkten mit sehr langer Haltbarkeit starkmache. Salz oder Wein haben jetzt schon kein Datum, die Liste könnte aber deutlich länger sein. Und zum Beispiel um Reis, Nudeln & Co ergänzt werden. Na ja, und natürlich auch Konserven, die häufig auch Jahre nach abgelaufenem MHD noch verzehrt werden können. Schnuppern hilft.
Eine Frage des Vokabulars
Nur gibt es wohlweislich nicht nur Lachs und Spirelli im Supermarktregal. Was ist also mit Milch, Teewurst und verganem Cashew-Camembert? Eine Art MHD wäre hier zur Orientierung nicht schlecht, aber das Vokabular sollte überarbeitet werden – auch das fordert das Bündnis Lebensmittelrettung. "Schmeckt am besten bis mindestens" wäre da vielleicht ein Fortschritt. Und ein "Bitte nicht mehr essen nach" könnte das Datum auf Fisch und Hack stärken. Ein weiterer Impuls des Bündnisses ist es, das MHD – oder wie es in Zukunft auch heißen mag – nicht mehr nach dem Gusto der Hersteller*innen zu vergeben. Sondern nach wissenschaftlichen Kriterien.
Der Thinktank Centrum für Europäische Politik (cep) plädiert indes ebenfalls dafür, sich von europäischer Ebene mit einer klareren Kommunikation der Mindesthaltbarkeitsdaten auseinanderzusetzen. "Wir halten nichts davon, auf das Mindesthaltbarkeitsdatum komplett zu verzichten. Im Gegenteil: Wir plädieren dafür, beide bislang gebräuchlichen Angaben verpflichtend zu machen", das sagt Patrick Stockebrandt, Jurist beim cep. Durch die Angabe, bis wann ein Lebensmittel eine garantierte Qualität hat und auch bis wann es bedenkenlos verzehrt werden kann, könne Missverständnissen vorgebeugt werden.
Guter Kaffee, aber ohne Garantie
Auch der Unterschied zwischen Qualität und Ungenießbarkeit wäre so deutlich: "Kaffee und Gewürze sind beispielsweise noch lange genießbar, verlieren aber Aroma", sagt Anneke von Reeken, Ernährungsexpertin bei der niedersächsischen Verbraucherzentrale gegenüber dem Spiegel. Dass sich damit von heute bis morgen eine Verbesserung am Verschwendungshorizont einstellt, sei aber utopisch: "Daran müssen sich Verbraucher gewöhnen, das kann zu Missverständnissen führen."
Wofür sich auch Berlin und Brüssel letztendlich stark machen, ist ohnehin nur ein kleiner Beitrag zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen. Nicht in den Kaufhallen, sondern bereits in der Produktion fliegt zu viel in die Tonne. Und in Privathaushalten, die für die Hälfte der Lebensmittelabfälle verantwortlich sind? Da sind Produkte der Wegwerfklassiker, die gar kein Datum haben. Bananen, Gurken, Äpfelchen – die frischen Dinge eben. Und natürlich Backwaren. Ein Laib Graubrot mit Stempel im Krustenmehl sähe aber auch nicht sonderlich appetitlich aus.
Retten Sie Lebensmittel vor der Tonne! Und sparen Sie dabei kräftig Geld. Machen Sie mit, bei den MDR-Resterettern – unsere Web-App zum Protokollieren von weggeworfenen Lebensmitteln.
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