Science vs. Fiction Der Joker: Warum das Psychopathen-Klischee gefährlich ist
Hauptinhalt
03. Mai 2021, 17:00 Uhr
In der Filmbranche wimmelt es von psychisch-kranken Killern. Ein Paradebeispiel: Der Joker – der wohl bekannteste Gegenspieler von Batman. Eiskalt und ohne ein Zeichen von Reue bringt er Menschen um. Ein klassischer Psychopath – oder doch nicht? Was machen Klischees von psychisch-kranken Kriminellen mit uns und unserer Gesellschaft?
Sie finden, diese Männer zu töten, ist witzig? // Oh ja und ich bin es leid so zu tun, als wäre es nicht so. Ich habe die Typen einfach getötet, weil sie furchtbar waren.
Joaquin Phoenix in seiner Paraderolle, zurecht oskarprämiert. Als Joker sitzt er ohne jegliche Schuldgefühle in einer Talkshow und redet über die Morde, die er begangen hat. Eiskalt, abgeklärt, sicher, dass er im Recht ist. Der klassische Psychopath – natürlich! Das Hollywood-Klischee von einem Killer. Und das nicht ohne Grund, denn spiegelt es nicht, was wir irgendwie alle fürchten? Jemand, der geistig krank ist, dessen Beweggründe und Handlungen wir nicht nachvollziehen können? Der vielleicht sogar aus reinem Vergnügen Böses tut? Doch diese Angst ist ebenso wie das Hollywood-Klischee natürlich völliger Unsinn, sagt die Psychologin Pia Kabitzsch vom YouTube-Kanal psychologeek: "Nicht alle Psychopathen sind gewalttätig oder töten Menschen."
Ganz im Gegenteil, viele Psychopathen – sie machen immerhin 2% der Bevölkerung aus – versprühen unfassbar viel Charme und sind so manipulativ, dass sie gut mit ihrer Umwelt zurechtkommen. Einen Psychopathen zu erkennen, ist also oft gar nicht so einfach – zumal Psychopathie keine eigenständige Diagnose ist, sondern die krasseste Form einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Die zeichnet sich vor allem durch Gefühllosigkeit, Mangel an Empathie und Schuldgefühlen und der Ablehnung sozialer Normen aus. Aber ab welchem Ausmaß spricht man von einem Psychopathen?
Es gibt eine Checklist nach Robert Hare, das ist ein kanadischer Psychologe und der hat 20 Kategorien definiert, woran man einen Psychopathen erkennen kann. Je nachdem wie stark die Symptome auftreten, kann man so zwischen 0 und 2 Punkte verteilen und dann hat man einen Score und je nachdem wie hoch der ist, ist man Psychopath oder nicht.
Der Joker hat noch nicht mal einen hohen Score
Normalerweise füllen Psychologen diese Checklist nach langen Gesprächen, in Kombination mit Gerichtsakten und Gutachten aus. Weil der Joker eine fiktive Figur ist, macht Pia Kabitzsch eine Ausnahme und kommt für ihn auf einen Score von gerade einmal 16. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass man erst ab 25 von einem hohen Score spricht und erst ab 30 von einem Psychopathen. Das bedeutet, der Joker hat zwar mit großer Wahrscheinlichkeit eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, ein Psychopath ist er aber nicht.
Wie genau solche Persönlichkeitsstörungen entstehen, darüber ist sich die Fachwelt nicht einig, doch Betroffene berichten oft von Misshandlungen in der Kindheit. So auch beim Joker. Der Film mit Joaquin Phoenix zeigt ihn ebenso als Opfer, wie als Täter. Und schafft so eine inhaltliche Verbindung, die gefährlich ist. Denn in der Realität werden die wenigsten psychisch Erkrankten gewalttätig oder kriminell.
Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass psychisch Kranke eher Opfer von Gewalt werden als Gesunde.
Der Psycho-Killer
Trotzdem hält sich das Bild vom psychisch-kranken Killer hartnäckig – dafür brauchen wir nicht nach Hollywood zu schauen. Eine Untersuchung der deutschen Dramaturgin Eva-Maria Fahmüller zeigt, dass auch renommierte deutsche Sendungen wie "Tatort" oder "Polizeiruf" dieses Klischee bedienen.
Fahmüller untersuchte 24 Krimis, in denen Menschen mit schweren psychischen Problemen auftauchen und stellte fest, in der Hälfte der Darstellungen waren sie Täter*innen, in sechs weiteren gehörten sie zumindest zum Verdächtigenkreis. Dass das nicht die Realität widerspiegelt, zeigen Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde.
Danach werden in Deutschland aktuell etwa 10.000 Menschen behandelt, die wegen einer schweren psychischen Störung straffällig geworden sind. Verglichen mit den rund 17,8 Millionen Personen, die jedes Jahr von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, macht das nur 0,06 Prozent aus.
Schluss mit der Stigmatisierung
Man muss natürlich auch sagen, dass es einige Störungsbilder gibt, wo das Risiko für Gewalt höher ist als in der normalen Bevölkerung. Umso wichtiger ist es aber, dass diese Menschen Hilfe bekommen.
Und auch das zeigt der Film: Am Anfang geht der Joker noch zu einer Sozialarbeiterin und bekommt Medikamente. Dafür werden dann aber die Mittel gestrichen und die Abwärtsspirale des Jokers nimmt richtig Fahrt auf. Um solche Schicksale zu vermeiden, benötigt es gute und sichtbare Hilfsangebote. Sind Betroffene aber immer wieder mit Klischees und Vorurteilen konfrontiert – und sei es nur in Film und Fernsehen – suchen sie sich seltener Hilfe.
Ohne diese Hilfe steigt bei einigen Störungsbildern, wie zum Beispiel Schizophrenie, aber tatsächlich das Risiko, dass die Betroffenen gewalttätig werden. Dadurch entstehe eine Art Teufelskreis zwischen der Stigmatisierung - der tatsächlichen Straffälligkeit - der öffentlichen Wahrnehmung und den daraus resultierenden Vorurteilen. Wir täten also gut daran uns immer die Faktenlage vor Augen zu führen: Menschen mit psychischen Erkrankungen sind selten Kriminelle, sie sind viel öfter Opfer und vor allem natürlich eins: Krank, mit dem Recht, dass ihnen geholfen wird.
Info: Wenn Sie noch mehr zur Diagnose des Jokers erfahren möchten oder sich schon immer gefragt haben, was passiert eigentlich bei Zaubertricks in unserem Gehirn – schauen Sie doch mal auf unserem YouTube-Kanal "Science vs. Fiction" vorbei. Dort finden Sie auch die aktuelle Folge "Ist der Joker ein Psychopath" mit der Psychologin Pia Kabitzsch.
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/b541114b-c1d8-474a-aa89-f71a64000b16 was not found on this server.