Science versus Fiction Ohne Raumanzug im Weltall: Wir sehen schwarz und das Blut kocht in den Adern
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13. Januar 2022, 08:25 Uhr
Es ist ein typisches Szenario in Science-Fiction-Abenteuern. Nach Katastrophen treiben Astronauten ohne oder mit undichten Schutzanzügen im Weltraum. Meist wird bei einem Schlag das Visier beschädigt. Je nach Fantasie des Regisseurs werden sie schockgefrostet, explodieren, ersticken oder gehen auf wie ein Hefekloß. Was würde wirklich passieren? Es gibt zum Glück keinen Präzedenzfall. MDR WISSEN hat trotzdem nachgefragt. Was würde mit uns passieren, wenn wir nackt durch den Weltraum schweben?
Wenn Science-Fiction-Filme im Weltall spielen, geht's meistens um imposante Schlachten oder um feindselige Aliens, die uns bedrohen. Dabei ist das Weltall selbst die größere Gefahr – denn ohne Raumanzug erwartet uns dort der sichere Tod. Wer hier merkt, dass sein Raumanzug ein Loch hat, dem bleiben nur wenige Sekunden, um sich zu retten.
Was passiert mit unserem Körper im Weltall?
Der Weltraum ist lebensgefährlich für uns. Doch nicht nur wegen der kosmischen Strahlung oder der niedrigen Temperaturen. Nein, für Ärztin Florence Randrianarisoa (aka Dr. Flojo auf funk)ist das Vakuum das eigentliche Problem. "Ob Du überleben kannst, hängt extrem stark davon ab, wie schnell du wieder in Sicherheit bist", erklärt sie MDR WISSEN. "Denn schon nach ein paar Sekunden im Vakuum treten Schäden ein, die irreparabel und lebensgefährlich sein können. Du selbst könntest dich aus eigener Kraft auch nur in den ersten Sekunden retten, danach wirst du nämlich schon bewusstlos."
Explodieren, ersticken, schockfrosten: Hollywood greift Szenario auf
Das greift Hollywood natürlich gerne auf. Doch so richtig scheinen sich die Filmschaffenden nicht einig zu sein, wie wir genau sterben würden. Ersticken die Menschen wie in "Guardians of the Galaxy"? Werden wir schockgefrostet wie in "Sunshine" oder "Mission to Mars"? Oder explodieren wir sogar wie in "Outland"?
Vakuum des Weltalls löst sofort tödliche Prozesse aus
Was wann genau passiert, ist schwer zu sagen. Zu schnell passieren zu viele Dinge auf einmal schätzen Experten. Zudem gibt es keinen Präzedenzfall. Fest steht: Das Vakuum löst innerhalb weniger Sekunden in unserem Körper eine Reihe tödlicher Prozesse aus.
Werden wir durch den plötzlichen Überdruck im Körper explodieren?
Der Film "Outland" skizziert als mögliches Szenario, dass wir im Weltall explodieren könnten. Wie real ist das? Ärztin Florence Randrianarisoa erklärt: "Nein, das ist Quatsch. Dafür ist der Druckunterschied nicht groß genug. Unsere Haut ist extrem dehnbar und hält viel aus. Die zerreißt keiner so schnell – auch nicht das Weltall." Trotzdem mache der Druckunterschied ein Überleben im Weltall unmöglich.
Wie wirkt das Vakuum auf unseren Körper
Damit scheinen sich auch die Macher der Simpsons beschäftigt haben. In der Folge "Simpsons & Total Recall" lassen sie aus ihren Figuren die Augen förmlich herauspoppen. "Ja, das kann tatsächlich passieren!", erklärt Randrianarisoa. "Um dies zu verstehen, müssen wir begreifen, was das Vakuum für unseren Körper bedeutet: Denn im Vakuum gibt es keinen Druck, wie hier bei uns auf der Erde."
Unser Blut verwandelt sich in Gas
Wenn der Druck plötzlich abfällt, können sich Flüssigkeiten schnell in Gas wandeln. Das passiert, weil durch den Druckabfall der Siedepunkt gesenkt wird. Das kennen Bergsteigerinnen und Bergsteiger sehr gut: Je höher man kommt, desto schneller kocht Wasser, weil der Druck mit der Höhe abnimmt. Im Weltall ist dieser Effekt so extrem, dass der Siedepunkt unter unsere normale Körpertemperatur von 37 Grad Celsius sinkt.
Salopp gesagt: Deine eigene Körpertemperatur bringt die Flüssigkeiten in deinem Körper zum kochen.
Experiment: Körperwärme kann Wasser zum Kochen bringen
Die Vorstellung, dass die Körpersäfte – wie es Goethe so schön formuliert hat – im lebendigen Leib zu kochen beginnen, ist sicherlich schauderhaft. Sie entstammt jedoch nicht nur einer bloßen Berechnung. Dass die eigene Körpertemperatur Wasser zum Kochen bringen kann, lässt sich auch mitten auf der Erde in einem Experiment darstellen. Jeder kann es zu Hause testen.
Erlenmeyer-Kolben lässt Wasser in der Hand kochen
MDR Wissen hat es ausprobiert: Dazu füllt man Wasser in einen Erlenmeyer-Kolben, verschließt ihn fest und verringert den Druck dem Kolben. Weil der Druck geringer wird, sinkt auch der Siedepunkt des Wassers – und zwar unter die Körpertemperatur von 37 Grad. Die Wärme der Hand wirkt auf diese Weise wie eine Kochplatte. Je länger die Hand den Kolben hält, desto mehr erwärmt sich das Wasser – bis es kocht.
Ausführlicher erklärt das James vom Action Lab:
Bläschen im Blut lassen Kreislauf zusammenbrechen
Ist der Mensch im Weltall dem Vakuum ausgesetzt, beginnt sein Blut in den Adern also förmlich zu kochen. Dabei bilden sich im Blut und im Gewebe kleine Bläschen aus Wasserdampf. Unser Körper erkennt diese als Fremdkörper und bildet Thromben und Embolien. Damit verstopfen die Blutgefäße, die Durchblutung stoppt und der Kreislauf bricht zusammen.
Was passiert durch das Vakuum mit den Augen?
Im Auge gibt es viele Flüssigkeiten. Diese würden sich wie das Blut erhitzen und ebenfalls Gasbläschen bilden, die sich ausdehnen. "Im schlimmsten Fall könnten die Augen sogar platzen", erklärt Ärztin Randrianarisoa. "Bevor das aber alles passiert, müsste uns eigentlich schon schwarz vor Augen werden. Die Netzhaut ist nämlich das am stärksten durchblutete Gewebe, die Gasblasen verschließen jedoch die Blutgefäße. Wenn die Netzhaut nicht mehr durchblutet wird, wird einfach alles schwarz. Wahrscheinlich sogar noch bevor du bewusstlos wirst."
Hilft Luft anhalten beim Überleben?
Die Überlebenschancen im Weltall sind also mehr als gering. Doch hilft es vielleicht, zumindest um ein bis zwei Minuten zu gewinnen, die Luft anzuhalten? Fehlanzeige! "Genau das ist ein extrem gefährlicher Trugschluss! Dieser Schuss geht wortwörtlich nach hinten los", erklärt Randrianarisoa. Die eingeschlossene Luft dehnt sich im Körper aus. "Es entsteht ein Überdruck, das Trommelfell und auch die Lunge können platzen."
Die gerissene Lunge füllt sich mit Blut. Im Grunde können wir also eher vom Ertrinken als vom Ersticken sprechen.
"All the Air out of your lungs you hear me? All the air out of your lungs" – "Raus mit der Luft" dieser Tipp aus dem Film "Event Horizon" erscheint der Ärztin durchaus sinnvoll. Obwohl auch dies nur wenige Sekunden zusätzlich schafft, bevor man letztlich doch stirbt.
Schockfrosten im All ist ein Mythos
Falsch ist der Mythos vom Schockfrost im All. Es ist zwar im Weltall unvorstellbar kalt – bis zu Minus 270 Grad. Trotzdem würde unser Körper nicht so schnell auskühlen – auch dies ist im Vakuum begründet. Auf der Erde geben wir unsere Körperwärme an die Umgebungsluft ab – genauer gesagt an Atome oder Moleküle in der Luft. "Aber im Vakuum sind so unglaublich wenig Teilchen im Raum, dass wir unsere Körperwärme nicht an diese übertragen können", erklärt Ärztin Randrianarisoa. Ein Schockfrosten innerhalb weniger Sekunden sei Quatsch. Trotzdem würden wir irgendwann gefrieren. "Unser Körper kann die Wärme nämlich auch über Strahlung abgeben. Das dauert nur einfach extrem viel länger."
Wie lange kann ich theoretisch im All überleben?
Bevor wir erfrieren, ist es jedoch wahrscheinlicher, dass die Sonne unsere Haut verbrannt hat. "Hier auf der Erde schützt uns unsere Erdatmosphäre vor der kosmischen Strahlung", erklärt Ärztin Randrianarisoa. "Schon der Sonnenbrand im Sommer zeigt, was Strahlung mit unserem Körper anrichten kann. Im All ist die Belastung um ein Vielfaches größer." Der Raumanzug schützt also nicht nur vor dem Vakuum, sondern auch vor der kosmischen Strahlung. Die NASA schätzt die Zeit im Weltall bis zum Tod auf maximal 80 Sekunden – es wird also ganz schnell gehen, wenn wir überhaupt so weit kommen.
Letztendlich juckt uns die Strahlung auch nicht mehr wirklich, weil alle anderen Dinge, die wir schon aufgezählt eigentlich das weitaus größere Problem sind.
Um das nochmal zusammenzufassen: Ohne Anzug im Weltall würden wir innerhalb weniger Sekunden das Bewusstsein verlieren, innerlich kochen, anschwellen, unsere Augen und unsere Lunge würden platzen und wir an unserem eigenen Blut ertrinken. Am Ende verstrahlt der Kosmos unsere Körper. Klingt doch nach tollen Aussichten.
NASA-Unfall 1965: Mann verlor nach 14 Sekunden das Bewusstsein
Dass die Überlegungen durchaus real sein können, zeigt ein Unfall bei der NASA in der Vakuumkammer 1965: Der Raumanzug einer Test-Person hatte ein Loch. Durch dieses Loch war sie knapp 30 Sekunden im Unterdruck. Nach nur 14 Sekunden verlor sie das Bewusstsein, bemerkte jedoch noch vorher, wie das Wasser auf der Zunge anfing zu kochen. Die Testperson hat es überlebt – doch ein klitzekleines Loch hätte sie fast das Leben gekostet.
Was passiert eigentlich mit unserer Leiche im Weltall?
Das Sterben und der Tod im Weltall gelten also als relativ sicher. Doch was passiert eigentlich mit unserer Leiche? "Es kommt drauf an, wo wir uns gerade befinden. Wenn eine Hitzequelle in der Nähe ist, verdampft das Wasser und wir wandeln uns zur Mumie", prognostiziert Ärztin Randrianarisoa. Die Haut würde eintrocknen und porös werden, durch die Poren würden die Gase aus dem Inneren entweichen. "In allen anderen Fällen würden wir wahrscheinlich einfach einfrieren."
Ewig konserviert im All
Ohne Raumanzug im Weltall, also nackt im Kosmos würden wir zwar nicht explodieren, schockgefrieren oder sofort verbrennen, dafür kochen aber unsere Körperflüssigkeiten, unser Blutkreislauf bricht zusammen, die Körperzellen platzen und wir quellen um ein Vielfaches auf. Wahrscheinlich alles parallel. Wer noch die Luft anhält, dem platzt währenddessen die Lunge. Schöne Aussichten, oder?
Zwei gute Nachrichten gibt es aber am Ende doch: Es dauert nur 15 Sekunden, bis wir das Bewusstsein verlieren und die meisten von uns werden wohl niemals in diese Situation kommen.
Info: Wenn Sie mehr über die morbiden Aussichten im Weltall wissen möchten, den Iron Man-Anzug, Lembasbrot oder Zombies, schauen sie doch mal auf unserem YouTube-Kanal "Science vs. Fiction" vorbei. Dort finden Sie die aktuelle Folge zur Frage, was passiert, wenn wir ohne Raumanzug im All unterwegs sind.
(kt)
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