Zweifel am Dänemark-Modell Wer rechte Themen übernimmt, nützt rechten Parteien – und schadet sich selbst
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26. April 2024, 12:14 Uhr
Können etablierte Parteien der AfD Stimmen abjagen, indem sie ihre Positionen übernehmen? Die Annahme ist verbreitet, lässt sich aber in Studien kaum belegen. In der Vergangenheit führte die Übernahme rechter Positionen durch Parteien der Mitte häufig sogar zu einer Stärkung des rechten Milieus.
Im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2007 prägte der rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen angesichts der Versuche seines Konkurrenten Nicolas Sarkozy, ebenfalls rechtere Positionen zu besetzen, den Spruch: "Les gens préfèreront toujours l'original à la copie" – auf Deutsch: Die Menschen bevorzugen immer das Original, nicht die Kopie. Bei der darauffolgenden Wahl landete seine Tochter Marine Le Pen allerdings hinter Sarkozy, auf Platz vier. Ein Beweis dafür, dass Le Pen falsch lag?
Aus Forschungsperspektive ist umstritten, inwiefern die Vereinnahmung rechter Politiken durch Parteien der politischen Mitte eine wirkungsvolle Strategie sein kann. "Die Logik dieser Strategie scheint erst einmal ganz intuitiv: Wir haben Wählerinnen und Wähler, die wählen Rechtsaußen, weil ihnen die Beschränkung der Immigration wichtig ist – und die Frage ist, wie gewinnt man diese Wähler wieder zurück?", sagt der Politikwissenschaftler Werner Krause. Häufig versuche man dann, diese Themen ebenfalls zu bedienen, in der Hoffnung, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Positionen wiederfinden und bei der nächsten Wahl nicht mehr für Rechtsaußen-Parteien stimmen.
Erfolgsmodell dänische Sozialdemokratie?
Eine Studie von Bonnie Meguid galt in dieser Hinsicht lange als richtungweisend. Sie fand 2005 heraus, dass Nischenparteien tendenziell an Stimmen verlieren, wenn etablierte Parteien sich ihre Positionen aneignen. Als prominentes Beispiel für die Umsetzung dieser Strategie gilt die politische Taktik der sozialdemokratischen Partei in Dänemark: Als dort die rechtspopulistische "Dänische Volkspartei" an Stimmen gewann, änderten die Sozialdemokraten ihre politischen Ziele in puncto Immigration und sprachen sich ebenfalls für eine harte Begrenzung des Zuzugs aus. Die Grafik zeigt, wie die Stimmenanteile für die Dänische Volkspartei in den darauffolgenden Jahren abnahmen.
Der Kopenhagener Politikwissenschaftler Frederik Georg Hjorth betont in einem Interview mit Spiegel Online, aus seiner Sicht sei Dänemark tatsächlich ein Beispiel dafür, dass eine Anpassung an rechte Positionen manchmal funktionieren könne. In diesem Fall zumindest habe die Strategie die rechtspopulistische Dänische Volkspartei geschwächt. Mit einem Nebeneffekt allerdings: das gesamte politische Spektrum verschob sich nach rechts. Die Sozialdemokraten setzten sich unter anderem für Abschiebungen nach Syrien ein, trotz Krieg. Ein "taktisches Zugeständnis", nennt Hjorth das.
"Es ist tatsächlich so, dass Dänemark in der öffentlichen Diskussion inzwischen zu einem vermeintlichen Paradebeispiel dafür geworden ist, dass die Aneignung rechter Politiken durch den Mainstream funktionieren kann, aber ich denke, wir müssen da wesentlich vorsichtiger sein", betont Werner Krause. Unabhängig von der politischen Strategie der Sozialdemokraten habe sich die öffentliche Meinung in Dänemark in den vergangenen Jahren verändert. "Wenn wir beispielsweise Umfragedaten anschauen, dann ist Immigration gar nicht mehr das wichtigste Thema, sondern es ist tatsächlich die Klimapolitik, die mittlerweile von der dänischen Bevölkerung als wichtigstes Thema wahrgenommen wird." Darüber hinaus sei die Dänische Volkspartei innerlich zerstritten gewesen und somit weniger attraktiv für Wählerinnen und Wähler geworden. Dazu seien in Dänemark mittlerweile zwei neue rechtspopulistische Parteien entstanden, an die die Dänische Volkspartei ebenfalls Stimmen verloren habe. "Das ganze Wahlergebnis auf diese eine Strategie zurückzuführen, ist aus meiner Sicht irrtümlich", findet Krause.
Funktioniert das Dänemark-Modell in Sachsen?
Dennoch wird das "Dänemark-Modell" aktuell häufig medial thematisiert – und in Deutschland als politische Strategie gegen das Erstarken der AfD diskutiert. Aktuellen Umfragen zufolge wird die rechtspopulistische Partei bei den Landtagswahlen in Sachsen im September die stärkste Kraft sein. Auch CDU-Ministerpräsident fordert aktuell eine starke Begrenzung der Immigration, zuletzt sprach er sich Anfang März für eine Obergrenze von 40.000 bis 60.000 Menschen aus, die jährlich nach Deutschland kommen sollen dürfen.
Eine breit angelegte Studie der Politikwissenschaftler Denis Cohen (Uni Mannheim), Werner Krause (Uni Potsdam) und Tarik Abou-Chadi (Uni Oxford) hat untersucht, was passiert, wenn sich etablierte Parteien an den rechten Rand annähern. Die Forschenden analysierten Wahl- und Umfrageergebnisse in 13 westeuropäischen Ländern zwischen 1967 und 2017.
Die Befunde der Studie legen nahe, dass eine Orientierung an Dänemark dabei genau der falsche Weg sein könnte. Die Forschenden finden keine Belege dafür, dass die Aneignung strengerer Politiken gegen Immigration durch die politische Mitte die Unterstützung für Rechtsaußen-Parteien verringert. Werner Krause, einer der Studienautoren, sagt: "Wir haben herausgefunden, dass das Kalkül nicht aufgeht, so Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen: Im 'besten Fall' passiert gar nichts – und im schlimmsten Fall stärkt diese Strategie sogar noch die Rechtsaußen-Parteien".
Im 'besten Fall' passiert gar nichts – und im schlimmsten Fall stärkt diese Strategie sogar noch die Rechtsaußen-Parteien
Parteien der Mitte können kontroverse Aussagen legitimieren
Dass diese Parteien von einer Annäherung durch die politische Mitte profitieren können, hängt damit zusammen, dass sich das politische Spektrum nach rechts verschieben kann. Politische Aussagen, die viele Menschen vielleicht noch verurteilen, wenn sie von einer Rechtsaußen-Partei kommen, werden mitunter bereitwillig angenommen, wenn sie aus der politischen Mitte kommen. Das zumindest impliziert eine weitere Studie, die aktuell als Preprint veröffentlicht ist, also noch nicht umfassend durch andere Forschende überprüft wurde. Die Forschenden fanden mittels eines Experiments in Deutschland heraus, dass dieselbe normenverletzende Aussage weniger kritisch aufgenommen wurde, wenn sie von einem Vertreter der CDU kam. War die Aussage dagegen mit der AfD assoziiert, neigten Menschen eher dazu, sie zu verurteilen. Parteien der politischen Mitte können kontroverse Aussagen auf diese Weise also auch legitimieren.
Welche Strategie funktioniert gegen Rechts?
Diese Befunde legen nahe, dass eine Politik der Annäherung an Rechtsaußen für viele Parteien gefährlich sein kann. Welche Strategie könnte dann funktionieren? Werner Krause sagt: "Wir wissen aus der Forschung eigentlich meistens ziemlich gut, was nicht funktioniert. Was hingegen funktioniert, ist wesentlich komplexer – insbesondere dann, wenn Rechtsaußen-Parteien sich schon etabliert haben." Aus seiner Sicht gibt es drei wesentliche Punkte, die Parteien wie die CDU im Umgang mit der AfD beachten sollten.
Erstens müsse die sogenannte "Brandmauer gegen Rechts", also die feste Absprache, keine Koalitionen mit dem Rechtsaußen-Lager einzugehen, sicher stehen. Wenn Parteien Koalitionen dieser Art als Perspektive aufmachen, könne das die Rechtsaußen-Parteien stärken, prognostiziert Krause: "Das haben wir in den Niederlanden beispielsweise sehr gut gesehen, dort wurden mögliche Regierungskoalitionen dieser Art vor der Wahl nicht ausgeschlossen – und am Ende ist das Rechtsaußen-Lager aus der Wahl als stärkste Kraft hervorgegangen." Darüber hinaus sollten etablierte Parteien darauf achten, sich nicht nur auf Immigrationsthemen zu konzentrieren. Krause betont, aus seiner Sicht gebe es in diesem Bereich durchaus Probleme, die man lösen müsse, insbesondere wenn es um Integration gehe, aber wichtig sei dabei immer auch, wie man über Immigration spreche: "Das ist auch eine Frage des Framings: Wenn man versucht, eine humanistische Perspektive auf Integration in die öffentliche Debatte einzubringen, dann macht das auch etwas mit Wählerinnen und Wählern – also welche Argumente existieren eigentlich im öffentlichen Raum?"
Der dritte Baustein in einer möglichen Strategie gegen Rechtsaußen-Parteien: Probleme abseits der Immigrationsdebatte lösen. Werner Krause betont, aus seiner Sicht gehe es dabei auch um die Klimakrise, die Unsicherheiten in der Bevölkerung auslöse. Aber auch materielle Themen, wie der Reallohnverlust durch Inflation seien sehr wichtig: "Wir wissen auch, in den ostdeutschen Bundesländern arbeiten 20 Prozent der Menschen für Mindestlohn – das sind ganz akute Probleme, für die es Lösungen braucht."
Links/Studien
Die drei im Artikel zitierten Studien in chronoligischer Reihenfolge zum Nachlesen:
- Competition Between Unequals: The Role of Mainstream Party Strategy in Niche Party Success
- Does accommodation work? Mainstream party strategies and the success of radical right parties
- Preprint-Studie: How Mainstream Politicians Erode Norms
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 20. April 2024 | 13:06 Uhr
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