Rechtslinguistik Von Schachtelsätzen und Interessenkonflikten – Was Juristensprache so kompliziert macht
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10. September 2024, 11:43 Uhr
Rechtssprache wirkt kompliziert, selbst auf Juristen. US-Forscher haben sich der Fragestellung angenommen, warum das so ist. Sind die Erkenntnisse auf Deutschland übertragbar?
Oft erscheinen Gesetze wie ein Buch mit sieben Siegeln. Eine Forschergruppe des Massachusetts Institute of Technology (MIT) verglich juristische Sprache in einer jüngst erschienenen Studie gar mit Zaubersprüchen. Die Kognitionswissenschaftler ließen in verschiedenen Experimenten Laien Gesetzestexte verfassen und stellten dabei fest, dass selbst die Nicht-Juristen die im Englischen für die Rechtssprache typischen Satzeinschübe verwendeten. "Die Menschen scheinen zu verstehen, dass es eine implizite Regel gibt, die besagt, dass Gesetze so klingen sollten, und sie schreiben sie auf diese Weise", sagte Hauptautor Edward Gibson. "Die Rechtssprache hat irgendwie diese Tendenz entwickelt, Strukturen in andere Strukturen einzubauen, und zwar auf eine Weise, die für menschliche Sprachen nicht typisch ist."
Rechtssprache als komplexe Fachsprache
Dieses Verschachteln von Sätzen und Aussagen trete auch dann auf, wenn nicht erst nachträglich Informationen und Definitionen in bereits bestehende Texte eingefügt werden, sondern werde von Nicht-Juristen von Beginn an adaptiert. Daraus leitete die Gruppe um Gibson ab, dass die Rechtssprache, deren Stil die Autoren als verworren beschreiben, eine besondere Art von Autorität ausstrahlen soll. Doch lassen sich diese Erkenntnisse auf deutschsprachige Gesetzestexte und deren Entstehung hierzulande übertragen? Experten sind skeptisch.
Tinka Reichmann, Translatologin an der Universität Leipzig, erklärt: "Es ist aus meiner Sicht etwas schwierig, von 'der' Rechtssprache zu sprechen, da die Bandbreite juristischer Texte sehr groß ist. Man bemüht sich zwar um Verständlichkeit, dennoch sind Rechtstexte in der Realität eher komplex und berühren eine große Anzahl von Bereichen." Weniger versuchten Juristen Laien aus dem Diskurs auszuschließen. "Im deutschen Recht scheint es mir eher so zu sein, dass die Rechtswissenschaft, die Gesetzgebung und die Rechtsprechung aufgrund der Komplexität der Themen auch auf eine immer komplexere Fachsprache zurückgreift." Und allgemein neige deutsche Fachsprache zu komplizierten, langen Satzgebilden, was im Englischen nicht typisch ist.
Gesetze müssen bestimmt und klar sein
Zu Verwirrung komme es, weil die juristische Fachsprache mit Alltagsbegriffen gespickt ist, die allerdings Fachbegriffe sind. Das begründe sich in der notwendigen Präzision, die ein Gesetzestext mit sich bringen muss, sagt Winfried Kluth, Rechtswissenschaftler an der Martin-Luther-Universität in Halle: "Die verwendeten Worte haben eine eigene, meistens engere Bedeutung. Deswegen haben wir auch in vielen Gesetzen einen Paragrafen 2, dort steht Begriffsbestimmung. Und dort wird das Verständnis von den verwendeten Begriffen in diesem Gesetz auch genau festgelegt. Das heißt, wir haben nicht Alltagssprache, sondern eine Fachsprache." Dies diene der Bestimmtheit, die zentral sei. "Das führt eben auch dazu, dass wir eine formalisierte Sprache haben, um eine möglichst große Genauigkeit zu erzeugen. Jetzt gibt es dazwischen aber auch das Thema gute oder schlechte Gesetzgebung."
Demokratische Gesetzgebung bringt komplexe Texte mit sich
Kluth, der Studienanfänger an der MLU lehrt, wie man Gesetzestexte schreibt, kritisiert die Unnahbarkeit juristischer Sprache in der Praxis. "Es wird vor allen Dingen zu wenig Zeit in die Gesetzgebungstechnik und die Verständlichkeit von Gesetzen investiert. Es wird hier was noch eingeschoben und noch angehängt." Dies liege auch an diversen Interessen unterschiedlicher Akteure, wie Abgeordneter, Parteien oder Ministerien. Der demokratische Prozess bringe die Komplexität von Gesetzen also mit sich.
Und auch eine nachträgliche Überarbeitung böte einige Hürden, erklärt Kluth: "Denn sprachliche Vereinfachungen haben häufig auch inhaltliche Veränderungen zur Folge. Und das ist dann in dem politischen Berlin oder auch anderswo auf europäischer Ebene eine große Herausforderung, noch mal festzustellen, ob jetzt wirklich in der verbesserten sprachlichen Form auch inhaltlich das Gleiche drinsteht, was man vorher als Kompromiss verabschiedet hat. Also es ist gar nicht trivial, einfache Gesetze zu machen, wenn dem Gesetz ein komplizierter politischer Kompromiss zugrunde liegt." Mit viel Zeit sei so etwas möglich, doch an der mangele es oft.
Autorität, Verständlichkeit und Akzeptanz als Spannungsfeld
Die von den MIT-Forschern festgestellte Autorität, die in Gesetzestexten stecke, liege in der Natur der Sache, so Kluth. "Rechtsregeln sollen ja befolgt werden. Insofern hat das Recht als solches einen entsprechenden Geltungsanspruch. Eine gewisse Nüchternheit, Klarheit und Bestimmtheit gehören eben auch dazu. Deswegen ist die sprachliche Klarheit auch manchmal Ausdruck von Nüchternheit und von Autorität, weil es eine technische Sprache ist." Doch dies bringe auch Probleme mit sich, sagt Lutz Kuntzsch von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS). Nicht nur Gesetzestexte stellten sich oft kompliziert dar. Auch die Verwaltungssprache, in die juristische Passagen eingebettet sind, stellt viele Menschen vor Verständnisprobleme. Diese behindern auch die Akzeptanz von behördlichen Schreiben, sagt Lutz Kuntzsch. Bürokratische Hürden verkomplizierten eine einfachere Sprache, die von mehr Menschen verstanden wird.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR Exakt | 03. Juli 2024 | 20:45 Uhr
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