Pflegerin an Patientenbett auf einer Intensivstation
Medizinisches Personal in der Intensivmedizin hat oft mit psychosomatischen Beschwerden zu kämp
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Stress Ausnahmesituation Intensivstation: Psychologische Hilfe für Intensivpfleger und Ärzte am Limit

03. Juni 2024, 17:29 Uhr

Das Geschehen auf einer Intensivstation ist weit entfernt von dem, was uns im Alltag vertraut ist. Es ist ein Ort der Extreme für Patienten, Angehörige und Mitarbeitende. Es ist der Ort, der Leben retten, aber auch die psychische Gesundheit aller Beteiligten gefährden kann. Wie sich dieses Risiko abfedern lässt, wird derzeit unter anderem an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg erforscht.

Porträtfoto einer Frau mit einer rosa Bluse.
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Wer auf einer Intensivstation arbeitet, ist an einem Ort der Extreme im Einsatz, mit mehr Verantwortung, Zeitdruck und Pflegeaufwand als in jedem anderen Bereich. Meist hängt das Leben der Patienten am seidenen Faden und nicht zuletzt das Können der Fachkräfte, deren Erfahrung und Entscheidungen über Leben und Tod entscheiden.

Die Medizintechnik, die zum Einsatz kommt, ist hochkomplex und erfordert entsprechende Kompetenz. Hinzu kommt wie überall im Gesundheitswesen der Personalmangel, der mehr Arbeitsbelastung für weniger Schultern bedeutet. Was das für die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden bedeutet, haben zahlreiche Studien untersucht.

75 Prozent der Intensivpfleger klagen über psychosomatische Beschwerden

75 Prozent der Pflegekräfte klagen über psychosomatische Beschwerden. Nicht selten haben die Betroffenen trotz einer gewissen Routine und einer entsprechenden Ausbildung mit erheblichem Stress zu kämpfen, mit Ängsten und Depressionen, mit dem Gefühl des Ausgebranntseins. Die Folgen: Erkrankungen und die Überlegung von etwa 30 Prozent der Mitarbeitenden, den Beruf oder zumindest die Station zu verlassen. Damit wäre noch weniger Personal vor Ort.

Damit es möglichst gar nicht erst so weit kommt, entwickelt die Otto-von-Guericke-Universtität Magdeburg unter Federführung der Universitätsmedizin Ulm und in Zusammenarbeit mit der Charité Berlin derzeit ein Konzept, um die Teams sowie auch Patienten und Angehörige auf Intensivstationen langfristig psychisch zu entlasten und psychosozial zu versorgen.

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Entlastung durch gezielte und langfristige psychosoziale Unterstützung

Nach einer systematischen Analyse bereits vorhandener Studien und Erkenntnisse untersuchen die Forschenden die Situation aller Beteiligten und deren Unterstützungsbedarf in Einzelinterviews und durch eine Onlinebefragung. Auf dieser Basis wird ein Interventionsplan mit entsprechenden Maßnahmen entwickelt.

Dazu gehören unter anderem Trainings, die die psychische Belastbarkeit stärken und helfen, Bewältigungs- und Stressabbaustrategien zu entwickeln. Darüber hinaus bietet Supervision die Möglichkeit, auch extreme Erlebnisse und Erfahrungen im Einzel- oder Gruppengespräch zu reflektieren.

Neuer Ansatz bezieht alle Beteiligten ein

International gibt es bereits Empfehlungen für die psychosoziale Unterstützung in allgemeinen Notfallsituationen. Auch die speziellen Gegebenheiten auf Intensivstationen und in der Akut- und Notfallmedizin wurden untersucht, besonders in den Jahren der Coronapandemie. Der Tenor aller Analysen: die hohe Arbeitslast, die große Verantwortung und der Umstand, neben der medizinischen und pflegerischen Fürsorge auch die psychischen Belastungen der Patienten und Angehörigen mitzutragen, wird von Betroffenen dauerhaft als extrem belastend empfunden.

Gleichzeitig beklagen sie mangelnde Unterstützung und Anerkennung seitens des Arbeitgebers und der Vorgesetzten. Dazu gehört auch die Anerkennung der Belastung und Probleme, also die psychosoziale Versorgung, für die jetzt in Ulm, Magdeburg und Berlin systematisch ein Konzept entwickelt wird.

Neu an diesem integrativen Ansatz ist, dass er sich an alle Betroffenen richtet, also nicht nur an Mitarbeitende, sondern auch an Patienten und Angehörige. Denn werden Patienten und Angehörige psychisch entlastet, wird es damit auch das medizinische und pflegerische Personal.

Pilotstudie testet psychologische Hilfe für Mitarbeiter von Intensivstationen auf Praxistauglichkeit

Nach Auswertung vorhandener Studien und der aktuell laufenden Befragung erstellen die Forschenden in einem weiteren Schritt einen Maßnahmenplan. Dieser umfasst unter anderem den Einsatz einer psychologischen Fachkraft pro Stationsteam. Im Rahmen einer Pilotstudie soll die Machbarkeit all dessen auf acht Intensivstationen der beteiligten Universitätskliniken auf ihre Praxistauglichkeit getestet werden, ab Sommer 2025 auch in Magdeburg.

Wird diese bestätigt, untersucht eine Wirksamkeitsstudie, inwiefern sich mit den vorgesehenen Mitteln die psychische Belastung minimieren lässt. Wer das Projekt "IPS-Pilot - Integrierte Psychosoziale Versorgung in der Intensivmedizin" unterstützen möchte und betroffen ist oder war, weil er Fachkraft ist oder ein Angehöriger beziehungsweise als Patient Erfahrungen auf einer Intensivstation gesammelt hat, kann an der Online-Befragung teilnehmen. Sie ist anonym und nimmt etwa 15 bis 20 Minuten Zeit in Anspruch.

Psychosomatische Beschwerden bei Gesundheitspersonal allgemein häufig

Auch wenn sich das IPS-Pilotprjekt der Fürsorge auf den Intensivstationen zuwendet, ist die Gefährdung der psychischen Gesundheit bei Pflegekräften in allen Bereichen Realität. Das belegt auch eine aktuelle Studie des Fachbereiches Psychologie der PFH Hochschule Göttingen in Zusammenarbeit mit der Universität Wien und der Fernuniversität Hagen.

Dafür hatten die Forschenden die psychische Gesundheit von Gesundheitsfachkräften in Deutschland und Österreich während der COVID-19-Pandemie über die Jahre 2020 bis 2022 untersucht. Daten von 421 Fachkräften aus dem Gesundheitswesen zeigten, dass die psychische Belastung des Gesundheitspersonals im Verlauf der Pandemie konstant geblieben ist, ohne Anzeichen von Gewöhnung an die belastende Situation oder die neuen Umstände.

Extremer Stress im Krankenhaus: Pflegekräfte sind besonders betroffen

Die Studie unterschied die drei Berufsgruppen Ärztinnen und Ärzte, Rettungskräfte und Krankenschwestern und Krankenpfleger. Das Eegebnis: Das Pflegepersonal war zu jedem Zeitpunkt am stärksten psychisch belastet. Es zeigten sich deutlich mehr Symptome von Angststörungen und Depression sowie eine insgesamt schlechtere psychische Gesundheit als die anderen Teilnehmenden.

Während beispielsweise 24 Prozent der Ärztinnen und Ärzte von mittleren oder schweren Symptomen von Depression berichteten, waren es bei den Pflegekräften 36 Prozent. Die aktuellen Erkenntnisse der Studie untermauern die Ergebnisse anderer Studien, in denen festgestellt wurde, dass das Pflegepersonal im Vergleich zu anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen stärker betroffen war.

Die Ergebnisse sind besorgniserregend, auch angesichts des weiter zunehmenden Mangels an Pflegefachkräften.

Stephan Weibelzahl, Professor für Psychologie

Laut aktueller Berechnungen des Statistischen Bundesamts (Destatis) wird die Zahl der verfügbaren Pflegekräfte bereits im Jahr 2034 um 90.000 unter dem erwarteten Bedarf liegen. Die Alterung der Gesellschaft wird in Deutschland die Situation weiter verschärfen. Bis zum Jahr 2049 werden Modellrechnungen zufolge voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen. Auch dahin gehend seien die Ergebnisse der Göttinger Studie besorgniserregend, gibt Stephan Weibelzahl, Professor für Psychologie an der PFH und einer der Co-Autoren der Studie zu bedenken. Denn die Situation auf den Stationen wird sich dadurch weiterhin verschärfen.

Auf der Covid-19-Station, einem Bereich der Operativen Intensivstation vom Universitätsklinikum Leipzig, bereiten eine Ärztin (l) und eine Schwester einen Patienten für eine Untersuchung vor. 1 min
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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 20. April 2021 | 19:00 Uhr

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