Ernährung Probiotische Lebensmittel auch Pro fürs Abnehmen?
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07. September 2020, 16:23 Uhr
Keine schöne Verpackung, dafür ist die Wirkung umso medizinischer: Probiotische Molkereiprodukte strahlen gesundheitsbewusste Verbraucherinnen und Verbraucher gern aus dem Kühlregal an. Probiotische Bakterienstämme sollen sogar beim Abnehmen helfen, das legt aktuelle Forschung aus Italien nahe. Doch Vorsicht!
Diese Studie spielt den Trinkjoghurtvermarktern aber sowas von in die Karten! Sie wissen schon: Fläschchen aus dem Kühlschrank, Deckel abziehen und hinterkippen. Fühlt sich an wie ein Snack, schmeckt wie eine Süßigkeit, soll aber ganz was Gutes sein: Förderlich für die Abwehrkräfte und die Verdauung, sagt die Werbung. Alles dank der untergemischten probiotischen Bakterienkulturen. Die Verbraucherschutzexpertinnen von Foodwatch verliehen einem Tinkjoghurthersteller dafür im Jahr 2009 den Negativpreis "Goldener Windbeutel" – für die dreisteste Werbelüge des Jahres. Zwei Jahre später gab es die nächste Schelte mit dem Windbeutel für den gleichen Hersteller – ebenfalls für ein probiotisches Joghurtprodukt. Haben die Foodwatcher der Großmolkerei zu früh die Ohren lang gezogen? Möglicherweise wendet sich jetzt das Blatt.
Diät mit probiotischen Lebensmitteln
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Universität Ostpiemont im norditalienischen Alessandria sagen jetzt: Probiotische Lebensmittel helfen, in der Kindheit Fettleibigkeit zu bekämpfen. Verbunden mit einer Diät zwar, aber die Ergebnisse zeigen: Kinder, die eine Diät mit probiotischen Lebensmitteln unterstützen, verlieren mehr Gewicht als solche, die nur auf Diät sind. Dieses "Probiotisch" muss also ganz was Besonderes sein.
Besonders, wie so alles Leben auf der Erde. Probiotisch kommt von Probiotikum, was so viel heißt wie "für das Leben". Im Grunde werden so Lebensmittel bezeichnet, die lebende Mikroorganismen enthalten. Das sind Bakterien, etwa Milchsäurebakterien in Joghurts, die sich – wenn alles klappt – im Darm einnisten und dort für ein angenehmes Klima sorgen. Dieser Effekt wurde bedingt nachgewiesen, aber gerade das Einnisten ist so eine Sache. So verweist die Neue Zürcher Zeitung auf Forschung, die zeigt, dass das nicht selbstverständlich ist. Bei manchen Menschen könnten die Bakterien einfach durchrauschen, ohne im Darm hängen zu bleiben. Die eigene Darmflora könne die Einnistung verhindern. Zudem seien frühere Studien über die positiven Effekte von Probiotika nicht wasserdicht, da man einst nur Stuhlproben und keine genetische Analyse der Darmflora durchführen konnte. Denn die zeige: Probiotika im Stuhl bedeutet nicht gleich Probiotika in der Darmschleimhaut.
Probiotika: Pro schlanke Taille
Wenn sie allerdings einmal im Darm angekommen sind (und ein bisschen bleiben), kann das für das Abnehmen durchaus hilfreich sein, so die Forschenden aus Italien. Und zwar dann, wenn die Probiotika dabei helfen, die Zusammensetzung der Darmflora wiederherzustellen. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass da was dran ist. Von den hundert untersuchten übergewichtigen Kindern zeigten die, die eine Diät mit Probiotika-Unterstützung bekommen haben, u.a. einen verringerten Taillenumfang und BMI.
Auch die Studienleiterin trägt das Pro im Namen: Dr. Flavia Prodam erklärt, dass probiotische Ergänzungsmittel bisher ohne Nachweise verabreicht würden. "Unsere Ergebnisse zeigen die Sicherheit und Wirksamkeit von zwei probiotischen Bakterienstämmen bei der Behandlung von Fettleibigkeit in einer jungen Bevölkerungsgruppe." Nun wolle man indivuelle Behandlungsstrategien für geeignete Patientinnen und Patienten entwickeln.
Klar ist: Das funktioniert bisher nur mit den untersuchten Bakterienstämmen. Ein handelsübliches Trinkjoghürtchen nach dem anderen zu verzehren, dürfte das Problem hingegen verstärken. Die klassische Variante eines bekannten Probiotik-Drinks enthält pro hundert Gramm ganze zehn Gramm Zucker. Das sind nach Herstellerangaben bereits zwölf Prozent des Tagesbedarfs eines erwachsenen Menschen und sicher nicht hilfreich für eine Kur, bei der Gewichtsverlust im Fokus steht.
Das Verbraucherportal Utopia weist zudem darauf hin, dass sich Antibiotikarückstände in Milchprodukten negativ auf die Darmflora auswirken können. Solche Rückstände wurden bereits in konventionellen Produkten gefunden, deren Milchanteil aus Massentierhaltung stammt. Antibiotika sind – das verrät schon das Wort – quasi das Gegenteil von Probiotika. Wenn probiotische Milchprodukte, dann in Bioqualität.
Ungeachtet dessen, gehen solche Molkereiwaren weg wie warme Semmeln. Die Gesellschaft für Innovative Marktforschung bescheinigt, dass mindestens siebzig Prozent der Deutschen nicht abgeneigt sind, probiotische Produkte zu sich zu nehmen – nur drei Prozent lehnen eindeutig ab. 1,2 Millionen Deutsche – so viele Menschen, wie im Ballungsraum Leipzig-Halle wohnen – konsumieren probiotische Milchprodukte jeden Tag. Und: 2018 entfielen sieben Prozent des Umsatzes von Nahrungsergänzungsmitteln auf probiotische Produkte für die Verdauung.
Probiotische Hausmannsküche
Statt einem Blick ins Drogerie- oder Supermarktregal hilft vielleicht auch einer in die Vorratskammer: Viele Lebensmittel sind probiotisch, ohne dass ein Spot diese Funktion ins rechte Licht rücken würde. "Sauerkraut – aktiviert Abwehrkräfte" war im Werbefernsehen bisher zumindest nicht zu vernehmen. Trotzdem sind neben Vitaminen auch probiotische Milchsäurebakterien enthalten. Zumindest, solange das Kraut roh ist – also nicht erhitzt und nicht pasteurisiert.
Auch gut: Naturbelassener Apfelessig oder Mixed Pickles, also zum Beispiel saure Gürkchen. Aber nur, wenn die durch eine traditionelle Milchsäuregärung haltbar gemacht wurden und nicht einfach in Essig eingelegt wurden. Ansonsten? Hie und da ein Spaziergang an der frischen Luft. Und nicht ganz so viel Mist futtern. Sollte auch helfen.
Infos zur Studie
Die Präsentation Supplementation with Bifidobacterium breve BR03 and Bifidobacterium breve B632 favoured weight loss and improved insulin metabolism in children and adolescents with obesity in the BIFI-OBESE cross-over, randomized placebo-controlled trial fand am 7. September im Rahmen der Konferenz e-ECE 2020 der Europäischen Gesellschaft für Endokrinologie statt.
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