Umwelt-Forschung Sind Chemikalien aus Plastik schädlich für uns?
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11. März 2022, 12:00 Uhr
Schäden für Lebewesen, Böden und den Menschen – das kann Plastikmüll in der Umwelt zur Folge haben. Sogenannte Leachates, Additive, die aus dem Kunststoff austreten, beschäftigen Forschende immer mehr. Mithilfe starker UV-Strahlung und Röntgenfluoreszenzanalyse ermitteln sie seine Folgen auf die Umwelt. Denn langfristig könnten sie Einfluss nehmen auf Mensch und Ökosysteme.
100 Eiffeltürme Plastik entstehen pro Jahr
Mehr als 353 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert die Welt jährlich. Eine Masse, die etwa 100 Eiffeltürmen entspricht. Müll, der Tag für Tag anfällt, und von dem nur ein geringer Teil richtig recycelt wird. Das zeigte ein Bericht der OECD, der Organisation, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Industriestaaten fördern soll. Das heißt: Die Welt wird seit ein paar Jahrzehnten mit Plastik überschwemmt und die Tendenz ist steigend. Der Bericht beschreibt damit ein Problem, zu dem auch Deutschland beiträgt.
Auch hierzulande wächst das Aufkommen von Verpackungsmüll seit Jahren beständig an, zeigte eine Bestandsaufnahme des Umweltbundesamts (Kartons und Glasbehälter eingeschlossen). Nicht wenig davon landet in der Umgebung und könnte Böden, Tiere und Pflanzen schaden, sagen Forschende. Plastik ist ihnen zufolge ein echte Baustelle, die es anzugehen gilt. Um die Auswirkungen der Vermüllung besser zu verstehen, unterziehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Material aufwändigen Tests. Annika Jahnke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig ist Expertin für solche Untersuchungen. Gemeinsam mit der Challenge-Podcast-Redaktion von MDR WISSEN untersuchte die Wissenschaftlerin, wie alltägliche Verpackungsgegenstände auf Umwelteinflüsse reagierte.
Nach ihrer Sicht besteht auch ein Problem in den Stoffen, die dem Plastik absichtlich hinzugefügt werden. Additiven, die das Plastik färben, es weich oder lebensmittelecht machen.
"Meistens besteht das Plastik an der Außenseite aus einer Schicht, die UV-Stabilität bewirkt, damit zum Beispiel Sonnenlicht das Produkt nicht verändern kann. Innen ist ein Material, was mit dem Lebensmittel verträglich ist. Dazwischen steckt möglicherweise noch ein Trägermaterial. Es sind Verbundmaterialien, die sehr komplex sind."
Verwitterung in der Umwelt wird im Labor beschleunigt
Diese Stoffe, sagt Annika Jahnke, können in die Umgebung abgegeben werden. Um diese Effekte auf die Umwelt untersuchen zu können, wird die Verwitterung in einer Laborsituation nachgestellt und simuliert. "Es ist eine große Herausforderung in der Kunststoff-Forschung, da einfach alles extrem lange dauert in der Umwelt. Deshalb muss man immer versuchen, die Prozesse zu beschleunigen, gleichzeitig aber so realistisch wie möglich zu gestalten, damit man eben Vorhersagen für die Zukunft treffen kann", erklärt Annika Jahnke.
Doch: Wie sollen Forschende verstehen, welchen Effekt diese Materialien haben, wenn sich gelinde gesagt kaum nachvollziehen lässt, wie lange ein Schokoriegel-Tütchen überhaupt schon draußen lag? Oftmals behelfen sich Umwelt-Forschende mit Haltbarkeitsdaten auf dem Plastik, die Hinweise geben können über den Zeitraum, den das Plastik schon in der Umgebung lag. Oder mit Verpackungen, die nur in einem bestimmten Zeitraum hergestellt wurden, anhand derer sich dann zurückverfolgen lässt, wie lange das Plastik möglicherweise schon in der Umgebung lag.
Doch warum sollte man sich solche Mühen überhaupt machen? Welchen Zweck hat das? Es wird dann wichtig, wenn es darum geht eine Antwort auf die Frage zu finden, wie viel Gewinn eine Gesellschaft macht, wenn sie Plastik herstellt, für Berechnungen von Umwelt-Risiko-Szenarien, bei denen abgewogen wird, inwiefern Umwelt-Folgen hinterher teurer sind, als der Gewinn, der aus der Herstellung und Nutzung von Plastik entsteht. Plastik, die nicht einmal fünf Jahre genutzt wird, machen fast zwei Drittel aller Kunststoffabfälle aus, heißt es in dem OECD-Bericht. Es ist kurz in Gebrauch, aber enorm haltbar.
Aus dem Plastik treten Metalle aus
Um dieser zunehmenden Vermüllung etwas entgegenzusetzen, erforscht Annika Jahnke am Helmholtz-Zentrum wie Plastik, dass starker UV-Strahlung ausgesetzt wird, reagiert. Sie schaut sich an, was passiert, wenn es ins Wasser fällt, ob es Metalle oder Chemikialen freisetzt, einfach nur zerbröselt oder absinkt. Dafür untersuchte sie: einen Kaffeebecher-Deckel, eine Gummibären-Tüte, einen Trinkjoghurt und eine Schokoriegelverpackung aus dem Kühlregal. Gegenstände, die gut und gerne so auch in der Umgebung rumfliegen und typischen Plastikmüll ausmachen.
Acht Tage, die rund 500 Tagen in der Umwelt entsprechen, bestrahlte die Wissenschaftlerin die Proben. Ihr erstes Fazit: Vor allem der Schokoriegel aus dem Kühlregal löste sich unter der starken UV-Strahlung besonders schnell auf und hinterließ Rückstände im Probenwasser.
Da ist ja so eine metallische Beschichtung auf der Innenseite, die sich schon relativ stark aufgelöst hat.
Um herauszufinden, was aus dem Plastik austrat, gingen die Proben ans Fraunhofer Institut für Keramische Technologien und Systeme (IKTS) in Dresden. Dort analysierte ein Team um Chemikerin Annegret Potthoff sie weiter mittels Röntgenstrahlen. Ein Prozess, der etwa drei Wochen dauerte. Heraus kommt bei den Analysen: In dem Plastik waren die Metalle Titan und Aluminium enthalten. Sie ließen sich auch im Wasser nachweisen. Zwar nur in sehr geringen Mengen. Aber dennoch.
Die Analyse zeigte, dass diese beiden Elemente aus dem Plastik in das Wasser übergegangen sind.
Heißt das jetzt, dass so eine Schokoriegel-Hülle in der Umgebung giftig ist für die Umwelt und den Menschen? Bei der Beantwortung dieser Frage zeigt sich Annegret Potthoff vorsichtig. Die Toxizität von Chemikalien aus Plastik steht noch in Frage. Stand heute lässt sich erst einmal sagen, sie treten aus dem Plastik aus. Und sie gehen in die Umwelt über.
Sind Plastikauslaugungen schädlich?
Das Wissen über diese Stoffe ist aber noch viel zu gering. "Sicherlich ist es nie gut, wenn Chemikalien unkontrolliert in die Umwelt kommen, aber es sind nicht pauschal alle dieser Additive schädlich. Gerade Kunststoff, der lebensmittelecht sein soll und dafür sorgt, dass der Saft in der Flasche nicht verdirbt, dürfte auch im Umweltbereich keinen schädlichen Einfluss haben", so Annegret Potthoff. Hinweise auf Unsicherheiten in diesem Forschungsbereich kommen auch von Forschenden aus Norwegen. Sie wiesen zwar nach, dass sich durch Stoffe, die sich aus Plastik herauslösen, in Zellkulturen toxische Wirkung zeigen lassen. Allerdings traten bei diesen Proben mehrere Tausend Chemikalien aus, von denen nur ein Bruchteil analysiert werden konnte, was in Anbetracht der vielen Stoffe kaum aussagekräftig ist.
Nicht zuletzt, fügt Annika Jahnke bei, "kann es an der starken Beschleunigung liegen, die für den Simulations-Effekt nötig war. In freier Wildbahn könnte das Plastik an Büschen hängen bleiben und weniger Sonnenlicht abbekommen". Doch die Teilchen, in die sich der Schokoriegel zersetzte, sind nicht von der Hand zu weisen, und stellen ein Problem dar, wenn sie in der Umwelt sind. Je kleiner die Partikel werden, desto eher können sie von Lebewesen mit der Nahrung aufgenommen werden oder fälschlicherweise für Nahrung gehalten werden.
"Sie können – auch wenn sie wieder ausgeschieden werden – trotzdem einen Effekt im Organismus hervorrufen", sagt Annika Jahnke. Die Zersetzung von Plastik bedeutet, dass es sich schlechter wieder einsammeln lässt und so länger in der Umwelt verbleibt. Und noch ein ganz anderes Problem entsteht. Es löst sich in seine ursprünglichen Bestandteile auf. Kohlenstoff und Wasser. Dabei entsteht Kohlenstoffdioxid, ein Treibhausgas und damit Mit-Verursacher des Klimawandels. "Dass Kohlendioxid in den Größenordnungen entsteht, die den Klimaveränderungen antreiben, gilt es zu vermeiden", warnt Annegret Potthof vom Fraunhofer Institut.
Und ob sich der Müll einfach irgendwann ganz auflösen wird? Um das mit Sicherheit sagen zu können, braucht es mehr Studien und vor allem sehr viel mehr Zeit. 450 Jahre könnte es dauern. So lange braucht eine Flasche aus PET (Polyethylenterephthalat), ein Standardmodell, das sich in jedem Supermarkt finden lässt, mindestens, bis sie sich vollständig zersetzt hat. Denkt man an 100 Eiffeltürme pro Jahr an Plastikmüll, scheint das sehr lang. Sicher lässt sich wohl nur sagen: Wenn Plastik mineralisiert und aus dem Kreislauf entschwindet, dann in zeitlichen Dimensionen, die für das menschliche Gehirn kaum vorstellbar sind. Die Weltgemeinschaft scheint sich langsam der Dimension des Problems bewusst zu werden: Denn bis 2024 soll ein international bindendes Abkommen gegen die Plastikvermüllung ausgehandelt werden.