Spinne aus dem Mittelmeerraum Streifenmuster und makabre Fortpflanzung: Wespenspinne breitet sich in Deutschland aus
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30. August 2024, 08:39 Uhr
Sie wandert vom Mittelmeer gen Norden, weil es hier nun gemütlich warm geworden ist. Die Wespenspinne ist der perfekte Mix zwischen Wespe und Spinne. Die wahre Macht hat bei der Spezies aus dem Mittelmeerraum das Weibchen.
Sie hängt wie ein Warnschild in den Wiesen: Die Wespenspinne, benannt nach dem markant gemusterten Stechinsekt, kann anders als ihre Namensgeberin nicht stechen. Trotzdem erobert der wärmeliebende Achtbeiner, ursprünglich vor allem ums Mittelmeer zu Hause, das nördliche Europa - wohl in Folge des Klimawandels. Spinnenfreunde wie -phobiker dürften die Art deshalb immer häufiger zu Gesicht bekommen.
Streifenmuster zur Tarnung
Weil es zudem weiße Elemente enthält, heißt die Wespen- auch Zebraspinne. Beides passt: Einerseits bewirken die Streifen wie beim Zebra ein optisches Verschwimmen mit der Umgebung, also Tarnung. Andererseits sind sie ein Beispiel für Nachahmung: Bestimmte Arten schützen sich, indem sie sich der Gestalt gefährlicher Tiere wie Wespen anpassen, um Feinde abzuschrecken. Bei der Wespenspinne tut das nur das Weibchen; das Männchen erscheint blass-braun. Dazu erklärt der Biologe Roland Mühlethaler vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu): "Erwachsene Männchen sind eigentlich nur daran interessiert, ein Weibchen zu finden."
Kannibalismus im Dienste der Vielfalt?
Laut Nabu-Biologe Mühlethaler droht den Wespenspinnen-Männern nach der Fortpflanzung der Tod. "Normalerweise werden die Männchen direkt nach der Paarung vom Weibchen gefressen." Evolutiv sei das sinnvoll: "Sie dienen somit als Nahrung auch der Reifung der Eier."
Die Arachnologische Gesellschaft, eine Vereinigung von Spinnentier-Experten, erklärt dazu: Womöglich verhindere der Kannibalismus, dass sich ein Männchen mit mehreren Weibchen paare und so die Genvielfalt verringert.
Weibchen ist fünfmal größer als das Männchen
Zwischen den Geschlechtern besteht übrigens ein gewaltiger Größenunterschied. Während es das Weibchen auf bis zu 25 Millimeter bringt und zu den größten heimischen Spinnenarten zählt, wird das Männchen nur um die fünf Millimeter lang.
Dichtes Zickzackgeflecht
Beide Geschlechter weben besondere Netze: Sie haben mittig ein dichtes Zickzackgeflecht. Zu dessen Zweck gibt es der Arachnologischen Gesellschaft zufolge mehrere Hypothesen. "Erstens: Das Muster dient dem Netz als 'Stabiliment', das das Netz beim Aufprall großer Insekten vor der Zerstörung schützen soll." Zweitens könne es die Spinne tarnen, da ihre Zeichnung dem dahinterliegenden Zickzackmuster ähnele – man denke ans Zebra. Drittens: "Das Netzmuster soll für Insekten eine attraktive Wirkung im ultravioletten Bereich haben (Stichwort: Landebahn)."
Beute wird wie in Klarsichtfolie eingewickelt
Verfangen sich darin zum Beispiel Heuschrecken, schreiten die Wespenspinnen zur "wrap attack", wie es vom Fachbereich Biologie der Universität Hamburg heißt. "Dabei ziehen sie mit den Hinterbeinen tausende von Spinnfäden aus den Spinnwarzen und wickeln das Insekt wie in Klarsichtfolie ein." Wespenspinnen hielten Insekten deutlich in Schach, erklärt die Arachnologische Gesellschaft.
Wespenspinne vertilgen pro Hektar 4,5 Millionen Kleintiere
Eine Untersuchung bei Jena habe ergeben, dass allein diese Art pro Hektar Wiese rund 4,5 Millionen Kleintiere im Jahr vertilge – also um die 80 Kilogramm Frischmasse. So einen fleißigen Fliegenfresser sollte doch jeder gern im Garten haben, dürfte man meinen. Doch die Spinne hat nicht den besten Ruf; viele Menschen ekeln sich vor ihr. In der christlich geprägten Kultur mag das darin wurzeln, dass die Spinne laut Wissenschaftlichem Bibellexikon in der Heiligen Schrift durchgehend negativ konnotiert wird. Ihr Gewebe gelte etwa als fragil und daher als Sinnbild für gottloses Leben.
Wespenspinnen profitieren von Blutsaugerplage in Bayern
Dabei könnte man den Achtbeinern das Mückenmampfen ja durchaus als Nächstenliebe auslegen. Gerade in jenen Gebieten Bayerns, die jüngst vom Hochwasser betroffen waren. Dort sind derzeit besonders viele Wespenspinnen zu sehen – sie profitieren von der flutbedingten Blutsaugerplage, wie Nabu-Biologe Mühlethaler sagt.
Der Wind als Partner zur Verbreitung
Damit sich Wespenspinnen im Garten wohlfühlen, muss man nicht viel tun – eher weniger. So sollte in ein paar Ecken ungestört Gras wachsen, auch den Winter über. Denn die Mutter stirbt im Herbst; ihre Babys aber verharren in einem Kokon, den sie erst im Frühjahr verlassen. Und dann geschieht geradezu Märchenhaftes: Der Nachwuchs klettert auf hohe Halme und sondert einen Faden ab, wie "Steinbachs Naturführer" schreibt. "Dieser schwebt im Wind davon und trägt schließlich, nachdem er immer weiter verlängert wurde, die winzige Jungspinne mit sich." "Blowin' in the Wind" ist also nicht nur ein Stück Musikgeschichte von Bob Dylan. Es ist auch die erfolgreiche Verbreitungsstrategie einer ganz besonderen Spinnenart.
tomi/kna
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Garten | 18. August 2024 | 08:30 Uhr
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