Atemwegsinfekte Erkältungen, Grippe und Kopfläuse: Die Rückkehr der Alltagserkrankungen
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19. Oktober 2021, 12:13 Uhr
Seite dem Ende vieler Corona-Beschränkungen zirkulieren gewöhnliche Infektionen wieder. Kopfläuse suchen Kitas heim. Gefährlich könnte es werden, wenn Grippe- und Coronafälle gemeinsam Kliniken überlasten.
- Lungenentzündungen - großer Anstieg an RS-Virus, ähnlich wie sonst im Februar.
- Keime haben Lockdown und Pandemie überlebt.
- Auch Grippezahlen steigen bereits an.
Wo haben sich die Infektionen nur all die Zeit versteckt? Schulen und Kitas werden bereits seit dem Sommer wieder von allerlei Erregern heimgesucht. Seit Sportvereine, Museen und die Gastronomie wieder öffnen dürfen und an vielen Orten auch die Besucherzahlen nicht mehr beschränkt werden, seit auch Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen wieder den Normalbetrieb aufgenommen haben, seitdem zirkulieren wieder allerlei Atemwegsinfekte und Kinderkrankheiten. Kaum eine Einrichtung, die in diesen Tagen keinen Läusealarm hat und auch auf den Kinderstationen in den Krankenhäusern haben Ärztinnen und Pflegerinnen alle Hände voll zu tun.
Kinderkliniken in Mitteldeutschland sehen massiven Anstieg der Krankenhausaufnahmen wegen RSV
Der Kinderarzt Ralph Grabitz und seine Kollegen am Universitätsklinikum in Halle haben bereits in den Sommerferien die ersten Kinder mit einer Lungenentzündung behandelt, die vom Respiratorischen Synzytialvirus (RSV) ausgelöst werden. Seitdem ist die Zahl der Fälle immer weiter gestiegen, auch bei anderen Kindermedizinischen Einrichtungen in Sachsen-Anhalt. "Diese Auslastung entspricht zahlenmäßig der in einem durchschnittlichen Februar, in der Spitze der winterlichen Infektsaison", sagt Grabitz.
Ganz ähnlich ist das Bild an der Kinderklinik am Universitätsklinikum Jena. Dort stellt Direktor James Beck fest: "Auch wir verzeichnen seit einigen Tagen vor allem bei den kleinen Kindern einen massiven Anstieg an Atemwegsinfektionen. Das betrifft etwa zwei Drittel der Stationskapazität." Und sein Kollege Reinhard Berner, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus in Dresden, ergänzt. "Im Schnitt sind es derzeit täglich etwa 15 Kinder, die die Uni-Kinderklinik stationär betreut, davon einige auf der Intensivstation."
Wie haben Kinderkrankheiten und Läuse die Pandemie und ihre Hygieneregeln überlebt?
Überraschend kommt diese Entwicklung keineswegs. Die US-Biologin Rachel Baker und ihr Team hatten bereits im Juni 2020 gewarnt, dass Abstands- und Hygieneregeln, die die Ausbreitung von Covid-19 bremsen sollten, zugleich bewirken, dass die Anfälligkeit der Bevölkerung für alle mögliche anderen Atemwegsinfektionen steigern könnte. Denn, zumindest für RSV ist das gut belegt, je länger eine Infektion mit dem Virus her ist, desto mehr Menschen werden wieder empfänglich für eine neue Ansteckung. Da die Hygieneregeln die Zirkulation sehr vieler Atemwegserreger gestoppt haben, sind nun sehr viele Menschen auf einmal wieder ansteckbar. Und diese Infektionswelle ist nun offenbar in vollem Gang.
Doch wie haben die Keime die Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns eigentlich überstanden? Wo haben sich all die Läuse eingenistet in der Zeit, in der sie keine neuen Kopfhäute mehr befallen konnten, weil Kindertagesstätten und Schulen geschlossen waren? "Die können sich praktisch überall verstecken. Wir Erwachsenen tragen viele Erreger in uns, aber das Immunsystem hält sie in Schach. Sie kommen erst wieder zum Vorschein, wenn unsere Immunsystem unter Druck steht", sagt Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum in Leipzig. Läuse hingegen haben in ihrem Eistadium, also als Nissen, vielleicht irgendwo in einer schlecht gewaschenen Wintermütze überlebt. Bakterien, die beispielsweise Durchfälle auslösen können, wiederum können als Sporen lange Zeit inaktiv in der Umwelt überleben – bis sie das richtige Klima und die richtige Umgebung praktisch wieder aufwecken.
Gefahr: Wenn mehrere Infektionswellen zur gleichen Zeit ihren Höhepunkt erreichen
Kiess sieht die Situation noch relativ entspannt. Auch in seiner Klinik müssen zwar Kinder beatmet werden. Die Entwicklung sei aber grundsätzlich natürlich. Solange es keine Impfung gibt (US-Impfstoffhersteller Novavax war vor einigen Jahren mit seinem RSV-Impfstoffkandidaten gescheitert) muss jedes Kind die Infektion einmal durchmachen. "Wir alle haben als Kleinkinder sechs bis acht Infekte pro Jahr durchgemacht", erinnert sich Kies. "Da die Kinder wegen der Pandemie monatelang stark isoliert und ohne soziale Kontakte mit anderen Kindern waren, konnten sie keine Immunabwehr aufbauen. Das ist die Ursache für die aktuelle Dynamik", ergänzt der Jenaer Klinikdirektor James Beck.
Zwar ist die Situation für die Krankenhäuser aktuell noch kontrollierbar. Doch die Kliniken sehen eine große Gefahr für die kommenden Monate. "Sollten von einer Grippe-Welle Kapazitäten beansprucht werden oder die Zahl der stationär zu behandelnden COVID-19-Patientinnen relevant zunehmen, kann es auch zu einer Überlastung der Behandlungskapazitäten kommen", sagt Ralph Grabitz für die Hallenser Uniklinik. Zwar bedroht Corona in erster Linie Erwachsene, aber auch ein großes Krankenhaus kommt an die Grenze seiner Möglichkeiten, wenn viele Patienten jeden Alters zur gleichen Zeit behandelt werden müssen.
Heftige Krankheitswelle möglich
Nach den Kindern könnte die Erkältungswelle nun auch bei den Erwachsenen so richtig losgehen. Das Grippeweb, ein von regelmäßigen Umfragen gespeistes Monitoring von Atemwegsinfekten beim Robert Koch-Institut sieht bereits einen deutlichen Anstieg von Erkältungskrankheiten bei Erwachsenen. Anfang Oktober stieg demnach die Zahl der wöchentlich gemeldeten Infekte bei den über 18-Jährigen mit über sechs Prozent gegenüber Ende September. Noch sei nicht absehbar, wie sich die Lage im weiteren Verlauf der Saison entwickelt, warnen Experten im Wissenschaftsmagazin "nature". Doch Mediziner stellen sich bereits auf eine heftige Krankheitswelle ein.
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