Biodiversität In Jena entsteht Deutschlands erste Moos-Professur – und drei andere zur Pflanzenvielfalt
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11. Juni 2024, 17:42 Uhr
Dass ohne Moos nix los ist, wussten schon einige Generationen an Sprücheklopfern. Angesichts der Biodiversitätskrise, neben der eng verwandten Klimakrise unser zweites fundamentales Problem, ist dieser Spruch auch nicht falsch. Nur hat die Sorge um Ökosysteme schon etwas – Pardon – Moos angesetzt. Das neue Senckenberg-Institut für Pflanzenvielfalt in Jena will einen Beitrag leisten, dass sich das ändert. Und geht dabei neue Wege.
Gut, ein Museum sind sie jetzt nicht gerade, die Räumlichkeiten in der Uni Jena am Fürstengraben. Bücher bis zur Decke, manche davon ansehnlich alt, hohe Schränke und auf den Tischen mitunter undurchsichtige Stapel an sogenannten Pflanzenbelegen. Also getrocknete und aufgeklebte Gewächse mit Notiz. So wie im Sachkundeunterricht, nur eben professionell. Frank Hellwig öffnet eine Mappe mit einer schrumpeligen Rose. Die ist sowas wie ein Schatz.
Oder sagen wir: Der Teil eines großen Schatzes, der Herbarium Haussknecht heißt. Der namensgebende Botaniker hat sie Mitte des 19. Jahrhunderts aus Persien mitgebracht. Deshalb ist diese mehr als hundertfünfzig Jahre alte Rose für Herbariumsleiter Frank Hellwig eben nicht nur eine Schrumpelpflanze: "So ein Herbarbeleg, der sammelt Geschichte."
Warum geht es Pflanzenarten schlecht, denen es eigentlich gut gehen müsste?
Neben der Rose aus Persien warten im Herbarium Hausknecht an der Uni Jena noch etwa dreieinhalb Millionen weitere Pflanzenbelege auf neugierige Forschungsaugen. Oder die Linsen der Mikroskope. Mittlerweile geht es den uralten Belegen dabei auch nicht mehr zwangsläufig an den Kragen. Also Forschen ohne kaputt machen – Frank Hellwig nennt das minimalinvasiv: "Mit den neuen Methoden, die wir jetzt benutzen können, dann kann ich hier meinetwegen aus einem Stückchen Blatt die DNA extrahieren für Verwandtschaftsforschung."
In der Biodiversität ist das Wissen von 3,5 Milliarden Jahren Evolution gespeichert
Das Herbarium bekommt auf seine alten Tage jetzt frischen wissenschaftlichen Wind und wird zentraler Bestandteil des neuen Senckenberg-Instituts für Pflanzenvielfalt in Jena. Dort wollen die neue Leiterin Christine Römermann und ihr Team unter anderem mehr über die Prozesse herausfinden, die zur Veränderung einer Pflanzenart führen. Und letztendlich dazu, dass Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten. Zum Beispiel, warum Arten zurückgehen, denen es eigentlich gut gehen müsste.
"Sie wächst in einem Schutzgebiet, das Schutzgebiet wird gut gemanagt und trotzdem sehen wir, dass es Arten nicht gut geht in diesem Schutzgebiet", sagt Christine Römermann. "Wir versuchen dann auch zu überlegen, welche Aktivitäten werden jetzt benötigt, um die Populationen auch wieder aufzubauen."
Rückgang der genetischen Vielfalt dramatischer als Artensterben
Dass Ökosysteme durch den menschlichen Einfluss aus den Fugen geraten und Arten sich ihrer der Breite oder komplett zurückziehen, hat Folgen. Finanzielle sind es zuerst, später entziehen wir uns unserer Existenzgrundlage. Das klingt nach Klimawandel und ist sozusagen artverwandt. Die beiden fundamentalen Krisen sind miteinander verzahnt und bedingen einander. "In der Biodiversität sind das Wissen und die Informationen von mehr als 3,5 Milliarden Jahren natürlicher Evolution gespeichert", sagt Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. "Und man muss hier hervorheben, dass der Rückgang der genetischen Vielfalt um Größenordnung dramatischer ist als der Rückgang von Arten." Denn Biodiversität sei nicht nur Artenvielfalt, sondern vor allem genetische Variation.
Mit neuen digitalen Forschungsmethoden, selbstverständlich auch KI-gestützt, soll es in Jena künftig effizienter werden, Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen und Ökosystemen besser verstehen zu können. Um zum Beispiel herauszufinden, welche Pflanzenarten sich besser an den Klimawandel oder veränderte Landnutzung anpassen können und künftig dominieren werden.
"Jeder Art reagiert anders auf den Klimawandel", sagt Christine Römermann. "Und auch hier kann zum Beispiel die KI wertvolle Methoden liefern, um automatisiert über hunderttausende Belege, Informationen über blühende oder nichtblühende Individuen herauszubekommen." An ihre neue Arbeit als Institutsleiterin geht Christine Römermann aber auch mit einer gehörigen Portion Demut heran: "Nur was wir kennen, können wir auch schützen und wenn wir eben irgendwann nicht mehr die Arten kennenden, helfen uns auch keine KI-basierten Apps mehr."
Deutschlands erste Moosprofessur
Insgesamt vier Professuren wird das neue Institut für Pflanzenvielfalt bekommen. Darunter auch eine erstmal eher unerwartete: Deutschlands erste Moos-Professur.
"Es gibt viel zu wenig Moos-Forschung, wenn ich überlege, wie wichtig Moose auch für Ökosysteme sind", so Römermann. "Die spielen eine ganz große Rolle für die CO2-Fixierung, zum Beispiel. Wir haben eine ganz wichtige Moos-Sammlung, die mit zu den fünf wichtigsten weltweit gehört. Und das birgt natürlich einen unglaublichen Schatz, dass wir jetzt auch mit den Moosen in die Vergangenheit zurückgehen können, um letztendlich zu sehen, wie sie sich verändert haben."
Wer die Professur für Ökologie und Evolution der Moose bekommt, steht noch aus. Einzelkämpferin ist Christine Römermann aber bis dahin nicht: Neben dem Team vor Ort besteht bereits ein weltweites Netzwerk von Sammlungen und Biodiversitätsforschenden.
Den Beweis hat Herbariumsleiter Frank Hellwig gerade auf dem Tisch – eine Leihanfrage: "Hier liegt gerade eine von der Universität von Vermont in Nordamerika. Und da wird um die Ausleihe vom Pflanzen gebeten, das ist ein weltweites Netzwerk, was gut funktioniert auf Gegenseitigkeit." Das neue Institut ist also wie auch das alte Herbarium vor allem: ein weiteres Puzzlestück.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 11. Juni 2024 | 17:10 Uhr
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